"Und manchmal, während wir so schmerzhaft reifen, dass wir beinahe daran sterben, erhebt sich aus allem, was wir nicht begreifen, ein Gesicht und sieht uns strahlend an" Rainer Maria Rilke
Dienstag, 27. Juli 2021
Grief
Montag, 26. Juli 2021
Fragil
Freitag, 23. Juli 2021
Die schwersten Wege
werden alleine gegangen,
die Enttäuschung, der Verlust,
das Opfer,
sind einsam.
Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu
ob wir es vermögen.
Die Hände der Lebenden die sich ausstrecken
ohne uns zu erreichen
sind wie die Äste der Bäume im Winter.
Alle Vögel schweigen.
Man hört nur den eigenen Schritt
und den Schritt den der Fuß
noch nicht gegangen ist aber gehen wird.
Stehenbleiben und sich umdrehn
hilft nicht. Es muss
gegangen sein.
Nimm eine Kerze in die Hand
wie in den Katakomben,
das kleine Licht atmet kaum.
Und doch, wenn du lange gegangen bist,
bleibt das Wunder nicht aus,
weil das Wunder immer geschieht,
und weil wir ohne die Gnade
nicht leben können:
die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags,
du bläst sie lächelnd aus
wenn du in die Sonne trittst
und unter den blühenden Gärten
die Stadt vor dir liegt,
und in deinem Hause
dir der Tisch weiß gedeckt ist.
Und die verlierbaren Lebenden
und die unverlierbaren Toten
dir das Brot brechen und den Wein reichen -
und du ihre Stimmen wieder hörst
ganz nahe
bei deinem Herzen.
Dienstag, 20. Juli 2021
Die Zeit steht still
Die Zeit steht still. Wir sind es, die vergehen.
Und doch, wenn wir im Zug vorüberwehen,
Scheint Haus und Feld und Herden, die da grasen,
Wie ein Phantom an uns vorbeizurasen.
Da winkt uns wer und schwindet wie im Traum,
Mit Haus und Feld, Laternenpfahl und Baum.
So weht wohl auch die Landschaft unseres Lebens
An uns vorbei zu einem andern Stern
Und ist im Nahekommen uns schon fern.
Sie anzuhalten suchen wir vergebens
Und wissen wohl, dies alles ist nur Trug.
Die Landschaft bleibt, indessen unser Zug
Zurücklegt die ihm zugemessnen Meilen.
Die Zeit steht still. Wir sind es, die enteilen.
Mascha Kaléko
Sonntag, 18. Juli 2021
Gesucht: Ein Irgendwo von dazumal …
Irgendwo, in diesem vom Lärm erdrosselten Leben,
Muss es, so träume ich dann und wann, ein schweigendes
Wärterhaus geben,
Mit ein paar Bäumen davor, und einem Vogel, der singt.
Von fern, das Gebirg. Man meint, in den Wolken zu schweben.
Und die Stille ringsum! Es ist eine Stille, die klingt.
Wieder beglückt mich der Duft der blühenden alten
Kastanien,
Den ich, unvergessen, so lang über Länder und Meere hin
trug …
Rosen zieh ich mir nicht, auch keine verwöhnten Geranien.
Feldblumen frisch auf den Tisch im bäuerlich irdenen
Krug!
Nachbarlich grüßt mich vom Dorf zur Vesperstunde das
Läuten.
Das Eichhorn erkennt meinen Gang. Und es flieht vor mir
nicht mehr das Reh.
Vier Mal spiegelt der Bach mir das wechselnde Antlitz der
Zeiten.
Mein Kompass: Sonne und Wind. Meine Zeitungen: Spuren
im Schnee.
– Wie seltsam: der erste Tag, und ich fühle mich selig,
zuhause!
Vertraut ist mir die Landschaft längst. Sah alles so oft schon
im Traum:
Den Brunnen, den Urväterrat und den offnen Kamin in der
Klause;
Petroleumlampe zur Nacht und Bänke aus knorrigem Baum.
… Irgendwo, in diesem vom Fortschritt zertretenen Leben,
Muss es – ich träume es gar zu oft – ein solches Wärterhaus
geben.
Dort sitze ich öfters, im Geist, an dem himmlischen Frieden
mich labend,
Und Blicke, schweigend zumeist, in den sinkenden
Lebensabend.
Mascha Kaléko
Donnerstag, 15. Juli 2021
Regen
Da draußen regnet es weit und breit.
Es regnet graugraue Verlassenheit.
Es plaudern tausend flüsternde Zungen.
Es regnet tausend Erinnerungen.
Der Regen Geschichten ums Fenster rauscht.
Die Seele gern dem Regen lauscht.
Der Regen hält dich im Haus gefangen.
Die Seele ist hinter ihm hergegangen.
Die Insichgekehrte ist still erwacht,
Im Regen sie weiteste Wege macht.
Du sitzt mit stummem Gesicht am Fenster,
Empfängst den Besuch der Regengespenster.
Bild: Pinterest
Mittwoch, 14. Juli 2021
Sieh, so ist der Tod im Leben
Sieh, so ist Tod im Leben. Beides läuft
so durcheinander, wie in einem Teppich
die Fäden laufen; und daraus entsteht
für einen, der vorübergeht, ein Bild.
Wenn jemand stirbt, das nicht allein ist Tod.
Tod ist, wenn einer lebt und es nicht weiß.
Tod ist, wenn einer gar nicht sterben kann.
Vieles ist Tod; man kann es nicht begraben.
In uns ist täglich Sterben und Geburt,
und wir sind rücksichtslos wie die Natur,
die über beidem dauert, trauerlos
und ohne Anteil. Leid und Freude sind
nur Farben für den Fremden, der uns schaut.
Darum bedeutet es für uns so viel,
den Schauenden zu finden, ihn, der sieht,
der uns zusammenfaßt in seinem Schauen
und einfach sagt: ich sehe das und das,
wo andere nur raten oder lügen.
Rainer Maria Rilke
Foto: Heute bei Florian
Donnerstag, 1. Juli 2021
Für Florian zum 21. Sterbetag
Heinrich Heine
💔💔💔💔
Lass mir noch ein wenig Zeit hier. Das Leben kann schön sein - ab und zu und immer wieder!