Samstag, 30. Oktober 2021

An meinen Schutzengel



Den Namen weiß ich nicht. Doch du bist einer
Der Engel aus dem himmlischen Quartett,
Das einstmals, als ich kleiner war und reiner,
Allnächtlich Wache hielt an meinem Bett.

Wie du auch heißt - seit vielen Jahren schon
Hältst Du die Schwingen über mich gebreitet
Und hast, der Toren guter Schutzpatron,
Durch Wasser und durch Feuer mich geleitet.

Du halfst dem Taugenichts, als er zu spät
Das Einmaleins der Lebensschule lernte.
Und meine Saat mit Bangen ausgesät,
Ging auf und wurde unverhofft zur Ernte.

Seit langem bin ich tief in deiner Schuld.
Verzeih mir noch die eine - letzte - Bitte
Erstrecke deine himmlische Geduld
Auch auf mein Kind und lenke seine Schritte.

Er ist mein Sohn. Das heißt: Er ist gefährdet.
Sei um ihn tags, behüte seinen Schlaf.
Und füg es, daß mein liebes schwarzes Schaf
Sich dann und wann ein wenig weiß gebärdet.

Gib du dem kleinen Träumer das Geleit.
Hilf ihm vor Gott und vor der Welt bestehen.
Und bleibt dir dann noch etwas freie Zeit,
Magst du bei mir auch nach dem Rechten sehen.

MASCHA KALÉKO 

🌟🌟🌟🌟

 Wo warst du, Schutzengel, als mein Sohn starb.
Auch Steven, der Sohn von Mascha Kaléko starb mit nur 36 Jahren.

Samstag, 23. Oktober 2021

Wie ich ein Blatt fallen sah

 


Hätte ich mich nicht nach
den zum Teil bereits nackten
Zweigen umgedreht, so würde mir
der Anblick des langsam
goldig zu Boden fallenden,
aus üppigem
Sommer stammenden Blattes
entgangen sein. Ich hätte etwas
Schönes nicht gesehen und etwas Liebes,
Beruhigendes und Entzückendes,
Seelenfestigendes nicht empfunden.
Schaue öfter zurück,
wenn es dir dran liegt, dich zu bewahren.
Mit Gradeausschauen ist’s nicht getan.
Die sahen nicht alles, die nicht rund um sich sah’n.
 
Robert Walser


Freitag, 22. Oktober 2021

Weil du nicht da bist

Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe
All meine Einsamkeit auf dies Papier.
Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe.
Die Maiennacht ruft laut. Doch nicht nach mir.

Weil du nicht da bist, ist der Bäume Blühen,
Der Rosen Duft vergebliches Bemühen,
Der Nachtigallen Liebesmelodie
Nur in Musik gesetzte Ironie.

Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel.
Aus fremden Augen starrt die Stadt mich an
Mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel,
Dem ich nicht folgen, nicht entgehen kann.

Hier unterm Dach sitz ich beim Lampenschimmer,
Den Herbst im Herzen, Winter im Gemüt.
November singt in mir sein graues Lied.
»Weil du nicht da bist«, flüstert es im Zimmer.

MASCHA KALÉKO
 

Mittwoch, 20. Oktober 2021

In Erinnerung an Lukas



Du weißt zur Stunde ihn an fernem Ort.

Mit dem Verstand begreifst du seine Ferne.

Es liegen zwischen dir und ihm

ein Himmel Sonne und ein Himmel Sterne.

Und doch trittst du ans Fenster immerfort.

Reiner Kunze

🌟🌟🌟🌟🌟🌟

 

Liebe Andrea, lieber Rob, lieber Christoph,

heute denke ich mit Euch an LUKAS, den ich leider nicht kennen durfte, der aber durch Dich, liebe Andrea, ein junger Mensch bleibt, von dem nun auch ich viele innere Bilder habe💙 

Unsere Söhne sind Menschenfischer. Sie haben uns zu einander geführt und seit so vielen Jahren sind wir uns eng verbunden. 

Die Geburtstage bleiben eine besondere Herausforderung. Ihr werdet an der See sein, in der Weite, Euch den Wind um die Ohren pusten lassen und Eure Erinnerungen über diesen so liebenswerten Sohn austauschen, mal lachend, mal weinend! 

Bei Florian brennt eine Kerze 🕯  für Lukas.

Eure Gabi

wie unter einem aufblühenden Baum


Ob auch die Stunden uns wieder entfernen:
wir sind immer beisammen im Traum,
wie unter einem aufblühenden Baum.
Wir werden die Worte, die laut sind, verlernen
und von uns reden  wie Sterne von Sternen,
alle lauten Worte verlernen:
wie unter einem aufblühenden Baum.

Rainer Maria Rilke


⭐⭐⭐⭐⭐⭐⭐⭐⭐⭐ 

 Foto:  Florians Baum im Garten