Montag, 30. Januar 2023

Das Leben das ich selbst gewählt


 

Ehe ich in dieses Erdenleben kam
Ward mir gezeigt, wie ich es leben würde.
Da war die Kümmernis, da war der Gram,
Da war das Elend und die Leidensbürde.
Da war das Laster, das mich packen sollte,
Da war der Irrtum, der gefangen nahm.
Da war der schnelle Zorn, in dem ich grollte,
Da waren Hass und Hochmut, Stolz und Scham.

Doch da waren auch die Freuden jener Tage,
Die voller Licht und schöner Träume sind,
Wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage,
Und überall der Quell der Gaben rinnt.
Wo Liebe dem, der noch im Erdenkleid gebunden,
Die Seligkeit des Losgelösten schenkt,
Wo sich der Mensch der Menschenpein entwunden
als Auserwählter hoher Geister denkt.

Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute,
Mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel.
Mir ward gezeigt die Wunde draus ich blute,
Mir ward gezeigt die Helfertat der Engel.
Und als ich so mein künftig Leben schaute,
Da hört ein Wesen ich die Frage tun,
Ob ich dies Leben mich getraute,
Denn der Entscheidung Stunde schlüge nun.

Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme
„Dies ist das Leben, das ich leben will !“
Gab ich zur Antwort mit entschlossner Stimme.
So war`s als ich ins neue Leben trat
Und nahm auf mich mein neues Schicksal still.
So ward ich geboren in diese Welt.
Ich klage nicht, wenn`s oft mir nicht gefällt,
Denn ungeboren hab ich es bejaht.

 

Hermann Hesse

Bild: Animation eines Fotos von Florian und mir 



 

Freitag, 27. Januar 2023

Das Lied von der Anderwelt

 

Es gibt einen See in der Anderwelt,
drin sind alle Tränen vereint,
die irgend jemand hätt‘ weinen sollen
und hat sie nicht geweint.

Es gibt ein Tal in der Anderwelt,
da gehen die Gelächter um,
die irgend jemand hätt‘ lachen sollen
und blieb stattdessen stumm

Es gibt ein Haus in der Anderwelt,
da wohnen wie Kinder beinand‘
Gedanken, die wir hätten denken sollen
und waren’s nicht imstand.

Und Blumen blüh’n in der Anderwelt,
die sind aus Liebe gemacht,
die wir uns hätten geben sollen
und haben’s nicht vollbracht.

Und kommen wir einst in die Anderwelt,
viel Dunkles wird sonnenklar,
denn alles wartet dort auf uns,
was hier nicht möglich war.

(Michael Ende)

 

Montag, 23. Januar 2023

Wir gehen

"Wir gehen

jeder für sich

den schmalen Weg

über den Köpfen der Toten

– fast ohne Angst –

im Takt unsres Herzens,

als seien wir beschützt,

solange die Liebe nicht aussetzt.“

Hilde Domin

 

Freitag, 20. Januar 2023

Im Gedenken an Lilli

 


 "Heute wäre dein 14. Geburtstag gewesen" 

"Lilly comes when you stop to call her
Lilly runs when you look away
Lilly leaves kisses on your collar
Lilly, Lilly, Lilly, Lilly, stay!"
 
(aus pink martini "hang on little tomato")
 
Kathrin für Lilli

💫💫💫💫💫💫💫

 


Wer ein Kind verliert, wird Einsamkeit neu kennenlernen. Weil niemand gerne über dieses Kind spricht. Keiner stellt sich freiwillig diesem Schmerz. In einer Gesellschaft, die von ewiger Jugend träumt und in der Krankheit und Tod als mit allen Mitteln zu vermeidendes Unglück gelten, ist das Sterben von Kindern bis heute ein Tabu. 'Lilium Rubellum' begleitet eine Frau auf diesem Weg: Eine ungewollte Schwangerschaft. Die Diagnose, nicht mit dem Leben vereinbar. Der Abschied. In dem auf Tatsachen basierenden Roman, der allen Genrezuweisungen entkommt, hat die Autorin eine enorme lyrische Kraft gebündelt. Diese vereint sie geschickt mit Informationen und Erfahrungen, die sie die letzten Jahre durch Betreuung betroffener Eltern und Interviews mit Fachpersonal gesammelt hat. Die zentrale Frage nach dem Wert des Lebens in unserer Zeit, wird hier radikal vor Augen geführt.

Donnerstag, 19. Januar 2023

Was ich mir wünsche

 


 Was ich mir wünsche:

dass der Himmel aufreißt

dass die Nachtschatten

der Kriege schwinden

dass das Morgenlicht

Menschen zur Weitsicht weckt
dass die Mauern
der Unvernunft brechen

dass ein Tag heraufzieht

ohne tödliches Treiben

dass ein Neues wächst

unter der nimmermüden Sonne

Annemarie Schnitt  

💫💫💫💫💫

Foto: an Florians Grab vor einigen Tagen 💓

Mittwoch, 18. Januar 2023

Dienstag, 17. Januar 2023

Zum Einschlafen sagen

Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüßte: die Nacht war kalt.
Und möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf dich gelegt;
und sie halten dich sanft und lassen dich los,
wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.
 
Rainer Maria Rilke



Montag, 16. Januar 2023

Weisse Wolken - Im Gedenken an René



O schau, sie schweben wieder
Wie leise Melodien
Vergessener schöner Lieder
Am blauen Himmel hin!

Kein Herz kann sie verstehen,
Dem nicht auf langer Fahrt
Ein Wissen von allem Wehen
Und Freuden des Wanderns ward.

Ich liebe die Weissen Losen
Wie Sonne, Meer und Wind,
Weil sie der Heimatlosen
Schwestern und Engel sind.
 
Hermann Hesse  

💫💫💫💫💫💫
 
 
Liebe Daniela, zum Tag der Geburt Deines Sohnes sind meine Gedanken bei Dir und bei Deiner Familie. 
Bei Florian brennt die 🕯 Kerze heute für René
Deine Gabriele

 

Freitag, 13. Januar 2023

These Days

 

"These Days"

There were nights and mornings
When you come to me
Found your way into my bones, my joints
Into my veins
Like an animal you coiled your darkness around me
You spelled your name in charcoal
All over my body

But these days
I just walk with you
These days
I let you stay
A little further away
But I walk with you
These days
I'll let you stay

There were summer days and nights
When I was blind to you
You were quiet and you were still
Even when the moon was full
My temporary state of lightness would scare me
After all, I was sure
You were most wrong then, I was daring

But these days
I just walk with you
These days
I let you stay
These days
I just talk with you
These days
I let you stay
A little further away
But I walk with you
These days
I let you stay

The things you've shown me over the years
The roads you blocked and how you'll define me

These days
I just walk with you
These days
I let you stay
These days
I just talk with you
These days, these days


Weine

 


Weine aus die entfesselte Schwere der Angst,

Zwei Schmetterlinge tragen das Gewicht der Welten für dich.

Und ich lege deine Träne in dieses Wort:

Deine Angst ist ins Leuchten geraten.

Nelly Sachs

 

Mittwoch, 11. Januar 2023

Im Gedenken und in Trauer um Boris

 


Jeder hat seine eigene,
geheime, persönliche Welt.
Es gibt in dieser Welt
den besten Augenblick,
es gibt in dieser Welt
die schrecklichste Stunde;
aber dies alles ist uns verborgen.

Und wenn ein Mensch stirbt,
dann stirbt mit ihm sein erster Schnee
und sein erster Kuss und sein erster Kampf...
all das nimmt er mit sich.

Was wissen wir über die Freunde, die Brüder,
was wissen wir schon von unserer Liebsten?
Und über unseren eigenen Vater
wissen wir, die wir alles wissen, nichts.

Die Menschen gehen fort...
Da gibt es keine Rückkehr.
Ihre geheimen Welten
können nicht wieder entstehen.

Und jedes Mal möchte ich von neuem
diese Unwiederbringlichkeit hinaus schreien.


Jewgenij Jewtuschenko

 

💫💫💫💫

Heute habe ich von Boris' Tod erfahren und bin traurig und bestürzt.

Boris war einer von Florian's besten Freunden. Er nannte ihn seinen "intellektuelen" Freund, da die beiden nächtelang diskutieren konnten und sich die Welt zu erklären versuchten. 

Nun sind sie vereint - in einem andren Sein. Es schmerzt sehr.....


Die Clique - hier nach Florians Tod im Sommer 2000

 Ein müder Boris bei Florians Abschiedsfest 1996

May you rest in peace Boris 

💓