In Memoriam
Warum Anzeigen zum Totengedächtnis immer beliebter werden
Von Kirsten Dietrich
#Immer häufiger gedenken Angehörige in Zeitungsanzeigen an die Verstorbenen
(AP Archiv)
Nicht nur am ursprünglichen Todestag schalten Angehörige von
Verstorbenen Anzeigen. Oft sind diese Gedächtnisanzeigen sind besonders
persönlich formuliert. Manche haben fast rätselhafte Züge, senden Botschaften,
die niemand außer dem Urheber der Anzeige entschlüsseln kann.
"Nun bist du schon vier Jahre nicht mehr bei uns, aber es gibt keinen Tag, an
dem wir nicht an Dich denken."
Anzeige auf der Mitte zwischen
Geburtstagen im 14-Tage-Abstand:
"Dankbar erinnern wir uns
an unsere Großeltern
Die vor 100 Jahren geboren wurden."
"Der Tod tritt dann ein, wenn das Unfassbare Wirklichkeit
wird.
Vor zwei Jahren hast Du den Kampf gegen Deine Krankheit und wir
Dich für immer verloren.
Gemeinsam unsere Kinder großzuziehen
Und
zusammen zu leben
Miteinander alt zu werden
Ungelebte
Träume
Was bleibt, ist die Frage nach dem Warum
Nie gibt es eine
Antwort
In unendlicher Traurigkeit: Deine Claudia mit Timo, Martin und
Christina"
Traueranzeigen sind atemlos. Die Zeit zwischen Tod und
Beerdigung ist hektisch, eine Organisationsaufgabe. Die Anzeige muss und will
informieren: Wann und wo ist die Beerdigung, welche Bestattungsform wurde
gewählt, wünschen die Hinterbliebenen Blumen oder lieber eine Geldspende. Die
Gedenkanzeigen nach ein, zwei, drei, fünf oder auch dreieinhalb Jahren sind
anders: stiller, trauriger vielleicht. Zu organisieren ist nichts mehr, nur die
Trauer ist geblieben. Und der Wunsch, sie zu teilen. Auch wenn dafür gar kein
öffentlicher Ort, kein Ritual mehr vorgesehen ist.
Gerard: "So übers Jahr verteilt finde ich immer kleine Sätze, Aphorismen,
kleine Gedichte, und die sammel ich und leg mir die schon in den Kalender so um
den Jahrestag von Florians Tod. Wenn Tag dann naht und die Anzeige aufgegeben
werden soll, dann guck mir das durch und dann schau ich, was für dieses Jahr
passt. Das ist nicht nur in Memoriam - ich denke an Florian - sondern ich geb
ihm jedes Jahr ne kleine Message. Ist wie kleine Zwiesprache mit ihm."
”Tagesspiegel” vom 29.6.08
"”In
memoriam
Florian Gérard
17.10.1976 Berlin – 1.7.2000
Dublin
Tod kann dein Bild nicht aus der Welt vertreiben
Es gibt
so vieles, was wir Dir erzählen
möchten!
www.trauer-um-florian.de""
Links unten auf der
Anzeige: ein kleines, einfach gemaltes Segelboot. Seit acht Jahren gibt Gabriele
Gérard Anzeigen für ihren Sohn auf. Er starb mit 23, ganz plötzlich.
Gerard: "Das ist zum Einen für mich selbst notwendig, diesen
Tag, der ja mein Leben und das Leben der Menschen um mich rum geändert hat, dass
diesem Tag gedacht wird, das tun wir auch neben der Anzeige in einem kleinen
Gedenktreffen hier bei uns, vielleicht ist es auch der Wunsch, die Menschen zu
erinnern, die das sehen, dass wieder ein Jahr vorbei ist und Florian nicht
vergessen ist."
Gabriele Gérard dokumentiert die Erinnerung an
ihren Sohn auf einer umfangreichen, liebevoll eingerichteten Website. Genauso
liebevoll lebt sie mit Fotos des Sohnes: von Bücherregalen, vom Kamin, unter dem
Glas des Couchtisches hervor schaut ein zugänglich und freundlich aussehender
junger Mann mit langen, lockigen Haaren.
Gerard: "Das private
Gedenken, das ist mein Leben. Ich denke jeden Tag an Florian, ich lebe ja mit
meinem Sohn, der gestorben ist, der bleibt ja bei mir in meinem Herzen und in
meinen Erinnerungen, dieser Wunsch, den kenne ich auch von vielen anderen
Trauernden, einmal im Jahr diese Trauer, dieses Gedenken, diese Liebe, die man
weiterhin empfindet, auch nach außen zu tragen. Diese Dokumentation: schaut, er
lebt auf irgend eine andere Art weiter, er ist gestorben, aber er lebt weiter."
"Tagesspiegel" vom 2.3.08
"Gedanken an
Dich
Die Spuren deiner Worte.
Die Spuren deiner
Umarmung.
Die Spuren deines Lachens.
Niemand kann sie auslöschen
in mir.
Das mag wohl Liebe sein!
In Gedenken bin ich immer bei
Dir."
Die vertraute Anrede, das persönliche Du herrscht vor in
Gedenkanzeigen. Eine paradoxe Anrede eigentlich: Wer soll gemeint sein?
Gerard: "Von meinem Gefühl mach ich sie für ihn und sag: guck
Florian, ich bin loyal, ich bin treu, ich vergess dich nicht und ich hab dir
eigentlich immer noch ganz viel zu sagen. Einen Satz von diesen vielen Gedanken,
die ich hab, kann ich dir in die Anzeige stellen, und den sollen andere ruhig
lesen."
Knoblauch: "Natürlich kann man das an die Toten selber
richten, aber dann wäre konsequenterweise das eine sehr privatsprachliche
Veranstaltung, die keine Öffentlichkeit sucht. Die Frage ist, ob der Tote
Zeitung liest oder wer Zeitung liest. Das muss man sich erstmal stellen. Das ist
in einer Zeitung formuliert, sucht also eine andere Öffentlichkeit."
Hubert Knoblauch, Soziologe an der Technischen Universität
Berlin, untersucht Veränderungen im Umgang der Gesellschaft mit Tod und Trauer.
Mätzing: "Also das Schlimmste nach dem Tod war ja eigentlich,
nicht mehr die Möglichkeit zu haben, dem anderen seine Liebe zu zeigen. Ist was,
was fast ans seelische Erstickung auch führt, und insofern ist es eine Form im
Grunde genommen einen Funkspruch abzusetzen einmal im Jahr, einen öffentlichen
Funkspruch, auch wenn wir natürlich nicht wissen, ob der wirklich ankommt und
auch nicht unbedingt die Antwort erhält, die wir mit unseren Ohren wahrnehmen
können."
Sich über eine Anzeige an einen geliebten Toten zu
wenden – auch für Heike Mätzing ist das nicht so absurd, wie es klingt. Sie hat
vor viereinhalb Jahren ihren Lebensgefährten verloren, ihren Mann, wie sie ihn
nur nennt. Seitdem gibt sie jedem Todestag eine Anzeige für ihn auf – nicht in
Braunschweig, wo sie lebt, sondern in Berlin, wo er lebte.
"
Mit
meinem Herzen berühre ich Dich wie mit einer Hand…
R.M. Rilke
Prof. Dr.
Frithjof Voss
13. Februar 1936 – 16. Mai 2004"
Mätzing:
"”Es ist schon immer wieder ein Überprüfen: Kannst du das verantworten, das
jetzt öffentlich zu machen? Denn damit muss es dann auch Wahrheit sein. Also
meine Wahrheit. Ich hab zum Beispiel im letzten Jahr gedacht, ich lass es. Nicht
weil ich’s nicht gespürt hätte, sondern weil ich dachte, es reicht doch jetzt.
Dann hab gemerkt, nee, es geht nicht. Es geht nicht ohne dieses öffentliche
Bekenntnis dazu. Und es ist für mich immer wieder ein Ja zu diesem Weg auch. Es
ist ja nicht nur die Anzeige, dahinter steht für mich ein ganzer Lebensentwurf,
der neu gestaltet werden musste nach Tod meines Mannes.""
Genaue
Zahlen lassen sich kaum erheben, aber Indizien sind sichtbar für die These: die
Zahl der Gedenkanzeigen steigt, im Internet sowieso, aber auch ganz klassisch in
der gedruckten Zeitung. Damit reagieren Trauernde auf eine sich verändernde
Gesellschaft. Und sie bleiben doch ganz traditionell. Denn Beerdigungen waren
schon immer gemeinschaftsstiftende Rituale.
Der Friedhof ist der
Ort, an dem die Gemeinschaft sagt, wer zu ihr gehört, sagt der
Religionssoziologe. Und wenn es die einzelnen dann so weit auseinander
verschlägt, dass man sich nicht mehr auf einen gemeinsamen Friedhof verständigen
kann, dann treten andere Rituale in die Lücke. Wie die Gedenkanzeige.
Hubert Knoblauch: "Wir haben zum Beispiel Netzwerke im Internet,
wir haben Bekanntschaften, die mehr oder weniger lokal sind, und das sind unsere
Gemeinschaften. Also werden auch die Erinnerungsorte dieser Kommunikationsformen
anders, sie werden ortloser, wie die Kommunikation insgesamt. Aber das heißt
nicht, dass es sich von den Menschen ablöst, ganz im Gegenteil. Sie wird von der
Lebensgemeinschaft, von Ortsgemeinschaften abgelöst, aber sie muss entsprechend
sich natürlich weiterhin sich an den Menschen festmachen. Die nun nicht mehr
große Gemeinschaften sind, sondern eher in kleineren Gruppen, also vereinzelter,
sozusagen individualisierter auftritt."
Natürlich bestehen
traditionelle Formen des Totengedenkens weiter: der Gottesdienst am Toten- oder
Ewigkeitssonntag, in dem die Namen Toten des vergangenen Kirchenjahres verlesen
werden. Die katholische Messe zum Jahresgedächtnis. Oder auch die Anzeige der
schlagenden Studentenverbindung, in der den toten Bundesbrüdern eine zünftige
Trauerkneipe versprochen wird.
Das Gedenken mobilisiert sich,
und die Gedenkanzeige markiert einen wichtigen Übergangspunkt. Sie informiert
nicht mehr über den Ort, an dem der Tote zu finden ist. Sie macht deutlich,
welche Hinterbliebenen in welcher Beziehung wie intensiv trauern.
Erster Todestag Jugendliche, die auf Weg zu Konzert
verunglückt sind
"Irgendwo da oben?
Sven &
Caspar
Wir denken an Euch und malen Euch viele
Bilder"
Knoblauch: "Individualisierung, das scheint mir nicht das
Wesentliche zu sein, sondern dass wir auf wenige Beziehungen, sehr starke
Beziehungen uns konzentrieren, davon leben, und diese Beziehungen entsprechend
stark emotionalisieren. Zum Beispiel mit der Abnahme der Kinderzahl ist die
Beziehung zu den Kindern viel emotionaler, und wenn ein Kind stirbt oder ein
Elternteil stirbt, dann ist das natürlich eine massive emotionale Belastung,
vermutlich emotional aufwendiger, wenn man das so sagen darf, als das
typischerweise vor 30, 40 50 Jahren der Fall war."
"”…one day we
will meet in another life
Michi
Du fehlst uns so sehr.
In
Liebe: Mami, Papi und Ela""
Der Ton in Gedenkanzeigen ist
familiär, freundlich. Mit "Sie" sprechen höchstens Institutionen diejenigen
dankbar an, die sie im Testament bedacht haben. Ansonsten ist das öffentliche
Gedenken das Privileg derer, die mit den Toten auf du und du stehen. Statt Vor-
und Nachname: Mama, Papa, Schatz. Manche Hinterbliebene nennen ihren Namen gar
nicht mehr, konzentrieren alles auf den des Toten. Die Vertrautheit wird bis ins
Rätsel gesteigert.
Knoblauch: "Die, die’s wissen müssen, wissen
es, die wissen, wer gemeint ist, wenn sie nicht wissen, wer gemeint ist, dann
sind sie nicht gemeint. Das setzt voraus, wie Chiffren auch, wie die Zitate, die
verschlüsselt sein dürfen, die in bestimmten Sprachen, dass wir ein Wissen
unterstellen gerade bei unseresgleichen, also den Dazugehörigen, so werden auch
die Kreise entsprechend bestimmt, eben diese unsichtbaren Kreise, die keine
Lokalgemeinschaften sind."
"Über Deinem Grab schien die Sonne,
als wir bei Dir waren, schön und schmerzhaft zugleich. Du wärest so stolz, wenn
Du wüsstest, wie viel von Dir geblieben ist."
Mätzing: "Die
Zumutung, die uns da letztendlich aufgebürdet wurde, sich ohne Abschied trennen
zu müssen, und im Grunde genommen ist es ein Ruf oder ein Aufbegehren gegen
diesen Tod und letztlich die Aussage, die Liebe ist einfach stärker als der Tod
und Freund Hein, du hast nicht das letzte Wort. Du kannst uns trennen hier, aber
im letzten hast du keine Macht."
Der Partner von Heike Mätzing
starb plötzlich, ohne Vorwarnung, fern von ihr. Auch das ist sicher ein Grund
dafür, die Auseinandersetzung mit diesem unversehenen Tod so hartnäckig zu
suchen, sich nicht zufrieden zu geben mit einer vermeintlich vernünftigen
Trauer. Als Trotz beschreibt Heike Mätzing ihre Haltung. In Gedenkanzeigen
trifft man auf die Menschen, die mit dem Tod nicht versöhnt sind.
"Lieber Horst, lieber Papa
Durch grobe Fahrlässigkeit
anderer Menschen
Wurdest Du vor einem Jahr brutal und sinnlos
Aus
Deinem Leben gerissen.
Ohne dich wird unser Leben niemals wieder so sein
wie zuvor.
Alrun, Bianca und Oliver"
Zornige Kollegen
erinnern an die Journalistin, die in Russland ermordet wurde. Oder der wütende
Bruder an die Schwester, die in der DDR umkam. Dass die Trauer auch nach Jahren
noch öffentlich ist, gibt der Gedenkanzeige die Kraft, zum politischen Statement
zu werden. Sie schwimmt gegen den Strom. Gabriele Gérard:
Gerard:
"Die Gesellschaft, die wird vielleicht manchmal den Kopf schütteln und sagen,
warum gibt die nicht auf, warum akzeptiert sie nicht, dass der Sohn gestorben
ist. Insofern hat für diese Menschen vielleicht was Trotziges, für mich nicht,
es ist einfach mein Leben, ich muss mit diesem Leben umgehen, das muss ja
niemand, der dieses Schicksal nicht trägt."
"Tagesspiegel"
vom 6.7.08
"Angst dein Gesicht zu vergessen!
Angst deine
Stimme nicht mehr zu hören!
Angst keine Erinnerungen mehr zu haben!
(…)
Ich werde dich immer lieben!
Deine Käthe"
Mätzing: "”Ich finde, wenn man eine wirklich gute Beziehung
hatte, dann kann die nicht mit dem Tod enden. Das ist einfach etwas, was sich
ausschließt. Sie wandelt sich natürlich, man macht seine eigenen Erfahrungen
hier, aber in der Grundsubstanz besteht das weiter. Und das hat ne Form von
Trotz, dass ich das einfach nicht akzeptiere.""
Dem Tod einen
Sinn abringen, und wenn es noch so mühsam ist: diesen Kampf spiegeln viele
Gedenkanzeigen. Hilfe von einer höheren Instanz suchen die wenigsten: Zitate von
Shakespeare bis Rilke werden zu Rate gezogen, Biblisches höchst selten. Auch
Spuren anderer Religion finden sich selten, am ehesten verweisen manche auf
buddhistische Gedanken der Wiedergeburt. Die Trauer ist hochemotional, aber
bewegt sich bewusst abseits der traditionellen Institutionen, sagt der
Religionssoziologe Hubert Knoblauch.
Knoblauch: "Bei all dem
sollte man sich im klaren sein, dass diese Formen völlig außerhalb dessen
stehen, was klassischerweise kirchliche Religiosität ist. Nicht nur emotionale,
religiöse Probleme – es sterben Leute, sie sind weg, wir gehen damit um, das ist
ein Thema der christlichen Religion schon immer – in Formen verhandelt werden,
an denen die Kirche nicht im entferntesten beteiligt ist. Sie hat immer noch
ihren Teil in ihren klassischen Formen, aber hier entstehen neue
Formen."
"Ein Trost, nicht in die grause Zukunft,
sondern
in die Vergangenheit zu blicken.
Im Gedenken an mein
Everl"
Gerard: "”Ich denke ja, im Gegensatz zu den Menschen, die
meinen, dass Trauer was Totes ist – Trauer ist unglaublich lebendig, wenn man
sie lebt. Ich hab das Gefühl, die Zeit ist so kostbar, dass ich sie lieber mit
Sinn gestalte, und in dem Verlust erlebe ich wirklich auch einen ganz großen
Reichtum.""