Sonntag, 26. Oktober 2014

Du, weißt du ...


Du, weißt du, wie ein Rabe schreit?
Und wie die Nacht, erschrocken bleich,
nicht weiß, wohin zu fliehn?
Wie sie verängstigt nicht mehr weiß:
Ist es ihr Reich, ist es nicht ihr Reich,
gehört sie dem Wind oder er ihr,
und sind die Wölfe mit ihrer Gier
nicht zum Zerreißen bereit?
Du, weißt du, wie der Wind schrill heult
und wie der Wald, erschrocken bleich,
nicht weiß, wohin zu fliehn?
Wie er verängstigt nicht mehr weiß:
Ist es sein Reich, ist es nicht sein Reich,
gehört er dem Regen oder der Nacht
und ist der Tod, der schauerlich lacht,
nicht sein allerhöchster Herr?
Du, weißt du, wie der Regen weint?
Und wie ich geh’, erschrocken bleich,
und nicht weiß, wohin zu fliehn?
Wie ich verängstigt nicht mehr weiß:
Ist es mein Reich, ist es nicht mein Reich,
gehört die Nacht mir, oder ich, gehör’ ich ihr,
und ist mein Mund, so blaß und wirr,
nicht der, der wirklich weint?

4.3.1941 (aus Selma Meerbaum-Eisinger.: Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. 
Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund.
Hrsg. von Jürgen Serke, 1984)

Bild: Ari Scheffer

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