Im Spiegel sehe ich mich an –
Augen, in denen ich mich konzentriere,
ein Mund, der Worte formt und um den etwas spielt,
was mein ganzes Leben ausdrückt,
Hände, mit denen ich Kontakt aufnehme
und die manchmal deutlicher sprechen als der Mund,
Füße, die mich in die Not
und wieder aus ihr heraus getragen haben,
unsichtbar aber jede Sekunde spürbar, das Herz,
die Pumpe und das Sinnbild für den Mittelpunkt meines Wesens
und darin, darunter oder darüber die Seele, unmessbar,
für die Naturwissenschaftler nicht da
und doch eine innere Wahrheit,
die mich unverwechselbar macht.
Das bin ich im Spiegel und in meiner berührbaren Haut.
In meinen Augen liegt meine Seele.
Durch sie gerät die Welt zu mir
und durch sie gebe ich mich zu erkennen.
Sie sieht mich an und erkennt mich, sie zittert und bebt.
Ich bin das, was kein Gewicht,
keine Farbe, keine Substanz hat
und doch dichte Wirklichkeit ist.
Wenn ich so in den Spiegel schaue,
wirkt mein Leben wie ein Pferd ohne Reiter,
die endlosen Steppen des Lebens vor sich.
Da begreife ich, in einem Anfall von Mut,
dass ich mich auf den Rücken des Pferdes schwingen muss:
Ich muss die Zügel ergreifen.
Energie schießt durch mich hindurch,
die Augen stellen sich scharf, die anderen Sinne folgen,
die Hände spüren die Zügel, erkennen ihre Fähigkeit zu führen,
meine Beine legen sich um den Leib des Pferdes,
mein Oberkörper neigt sich nach vorne,
verschmilzt mit dem Pferd, um Pfeil zu sein.
Meine Seele wird beseelt von ihrem Ziel.
Alles in mir wirkt zusammen.
Ich bin, der ich werde,
und ich werde, der ich schon immer war.
Siehst du den Lichtpfeil,
spürst du die Kraft meines Wesens,
merkst du, dass es mich nur einmal gibt?
Ulrich Schaffer
Bild: Julio Romero de Torres
Bild: Julio Romero de Torres
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