Dienstag, 2. August 2016

In Sand geschrieben

 

                      In Sand geschrieben

 

 Daß das Schöne und Berückende 
Nur ein Hauch und Schauer sei, 
Daß das Köstliche, Entzückende, 
Holde ohne Dauer sei: 
Wolke, Blume, Seifenblase, 
Feuerwerk und Kinderlachen, 
Frauenblick im Spiegelglase 
Und viel andre wunderbare Sachen, 
Daß sie, kaum entdeckt, vergehen, 
Nur von Augenblickes Dauer, 
Nur ein Duft und Windeswehen, 
Ach, wir wissen es mit Trauer. 
Und das Dauerhafte, Starre 
Ist uns nicht so innig teuer: 
Edelstein mit kühlem Feuer, 
Glänzendschwere Goldesbarre; 
Selbst die Sterne, nicht zu zählen, 
Bleiben fern und fremd, sie gleichen 
Uns Vergänglichen nicht, erreichen 
Nicht das Innerste der Seelen. 
Nein, es scheint das innigst Schöne, 
Liebenswerte dem Verderben 
Zugeneigt, stets nah am Sterben, 
Und das Köstlichste: die Töne 
Der Musik, die im Entstehen 
Schon enteilen, schon vergehen, 
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen 
Und umweht von leiser Trauer, 
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer 
Lassen sie sich halten, bannen; 
Ton um Ton, kaum angeschlagen, 
Schwindet schon und rinnt von dannen. 
So ist unser Herz dem Flüchtigen, 
Ist dem Fließenden, dem Leben 
Treu und brüderlich ergeben, 
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen. 
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen, 
Uns in ewigem Wandel treibende 
Wind- und Seifenblasenseelen, 
Zeitvermählte, Dauerlose, 
Denen Tau am Blatt der Rose, 
Denen eines Vogels Werben, 
Eines Wolkenspieles Sterben, 
Schneegeflimmer, Regenbogen, 
Falter, schon hinweggeflogen, 
Denen eines Lachens Läuten, 
Das uns im Vorübergehen 
Kaum gestreift, ein Fest bedeuten 
Oder wehtun kann. Wir lieben, 
Was uns gleich ist, und verstehen, 
Was der Wind in Sand geschrieben.

 

Hermann Hesse

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