Freitag, 30. Oktober 2020

Dein Leben

 

Dein Leben
zwischen Staub
und Sternen
zwischen Gestern
und Morgen
zwischen Schlaf
und Wachen
für einen Augenblick
herausgelöst aus
dem Fluss der Zeit
erweckt zum Sein
unter dem Atem
des Himmels

 Annemarie Schnitt

Mittwoch, 28. Oktober 2020

Herbsttag

 


Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Aus: Das Buch der Bilder


Dienstag, 27. Oktober 2020

Ein Trauerlied




Eine schwarze Taube ist die Nacht
... Du denkst so sanft an mich.

Ich weiß, dein Herz ist still,
Mein Name steht auf seinem Saum.

Die Leiden, die dir gehören,
Kommen zu mir.

Die Seligkeiten, die dich suchen,
Sammele ich unberührt.

So trage ich die Blüten deines Lebens
Weiter fort.

Und möchte doch mit dir stille stehn,
Zwei Zeiger auf dem Zifferblatt.

O, alle Küsse sollen schweigen
Auf beschienenen Lippen liebentlang.

Niemehr soll es früh werden,
Da man deine Jugend brach.

In deiner Schläfe
Starb ein Paradies.

Mögen sich die Traurigen
Die Sonne in den Tag malen.

Und die Trauernden
Schimmer auf ihre Wangen legen.

Im schwarzen Wolkenkelche
Steht die Mondknospe.
... Du denkst so sanft an mich.

Else Lasker-Schüler

 

Sonntag, 25. Oktober 2020

Im Herbst

 

Im Herbst sammelte ich alle meine Sorgen
und vergrub sie in meinem Garten.
Und als der April wiederkehrte und
der Frühling kam, die Erde zu heiraten,
da wuchsen in meinem Garten schöne Blumen,
nicht zu vergleichen mit allen anderen Blumen.
Und meine Nachbarn kamen, um sie anzuschauen,
und sie sagten zu mir:
Willst du uns, wenn der Herbst wiederkommt,
zur Saatzeit, nicht auch Samen dieser Blumen geben,
damit wir sie in unseren Gärten haben? 
 
Khalil Gibran

 

Freitag, 23. Oktober 2020

Das Leben ..



Das Leben des Menschen beginnt nicht im Mutterleib, ebenso wie es nicht im Grab endet. Dieses weite Firmament, das jetzt erfüllt ist vom Licht des Mondes und der Sterne, ist bevölkert von Geistern, die sich in Liebe umfangen, und von Seelen, die gegenseitigen Einverständnis verschmelzen..."

Aus: "Gebrochene Flügel"

von Khailil Gibran

 

Dienstag, 20. Oktober 2020

Trauermeer - Im Gedenken an Lukas

Trauer ist wie das Meer,
meterhohe Wellen
im Aufruhr des Sturms
strudelnd mit Sog in die Tiefe

Trauer ist wie das Meer
silberglänzende Stille
zartes Kräuseln an der Oberfläche
und in der Tiefe eine eigene Welt

Trauer ist wie das Meer
hinterm Horizont geht es weiter
die Wellen kommen immer wieder
an den Strand meines Herzens

Trauer ist wie das Meer
Steine und Muscheln
Strandfunde im Alltag
Erinnerungsschätze

Trauer ist wie das Meer
seltenste Perlenfunde
mit atemberaubendem Erinnerungslüster
so unendlich kostbar

****UH

Für Lukas im Gedenken 💖

Und für Euch, liebe Andrea, lieber Rob, weil Ihr nicht am Meer sein könnt! 💙💙