Vorhin - beim Herunterladen der Fotos von meinem Besuch bei Florian heute - dachte ich über genau diesen Satz nach: "Heute besuche ich Florian". Nie sage ich, dass ich auf den Friedhof gehe.. Ich besuche Florian!
Würde ich Florian besuchen, säßen wir zusammen in einem Café, ich würde ihm zuhören - wie früher, wenn er mir täglich seine Schulerlebnisse erzählte. Ich hätte heute mehr Geduld als damals.Ich würde ihn ansehen, ich würde sicher ab und zu meine Hand auf seine Hand auf dem Tisch legen; heimlich würde ich die einzelnen grauen Haare suchen, über die er sich lachend beschweren würde. Nein, es wäre ihm egal; er wäre doch erst 36, würde im Herbst 37 werden. Ich würde in seinem Gesicht lesen, seine Züge studieren und mein großes Glück ein wenig zu verstecken versuchen... Ich würde mir wünschen, dass er viel Zeit mitgebracht habe und mich bei der Umarmung zum Abschied versichern, dass wir uns bald wiedersehen....
Diese Bilder ließen sich nicht aufhalten, sie strömten durch mich hindurch und ich versuchte, mir meinen 23 jährigen Sohn fast 13 Jahre älter vorzustellen...
Wie soll man einem Menschen, der es nicht "weiss" erklären, wie schmerzhaft solche Gedanken sind, die einfach mit einem Male da sind! Ein kleiner Satz: "Ich besuche Florian" und eine undliche Trauer, Sehnsucht und Wehmut überfällt mich.
Ich besuche das Grab meines Sohnes! Ich sitze auf der blauen Bank, deren Farbe schon wieder blättert, ich schaue auf diesen Ort, der auch nach all den Jahren nichts von seiner "Heiligkeit" eingebüßt hat. Ich ordne, zupfe, fülle das Wasser im Teich nach und freue mich an der Seerose, die wieder zum Leben erwacht. Ich habe einen Rosentopf mitgebracht und stelle ihn hinter die weiße Hortensie, deren Blüten noch schwer sind vom vielen Regen.
Ich lese den Namen auf dem Kupfersegel. Es ist der meines Sohnes: FLORIAN. Wie sehr liebe ich diesen Namen - nie gab es einen anderen für diesen Jungen.. nie einen Zweifel, dass es ein FLORIAN werden wird..Und ich lese meinen Namen: Hier liegt ein Teil von mir in der Erde. Mit Florian starb etwas Elementares in mir - und es wächst dort nichts nach! Ich habe mein einziges Kind verloren!
Ich spreche mit Florian und erzähle ihm, was mir wichtig ist, was mir durch den Kopf strömt.. Ich lausche den Geräuschen um mich herum, Vogelgezwitscher von den hohen Bäumen über seinem Grab. Eine vorbeifahrende S-Bahn und das leise Gespräch zweier junger Männer, die offenbar eine Friedhofstour machen und sich über die Gräber unterhalten.
Häufig sitzen bei gutem Wetter Menschen auf der blauen Bank, machen eine kurze Mittagspause - oder genießen die Ruhe und den Frieden dieses Ortes.
Vor zwei Tagen schrieb mir eine junge Frau, dass sie dort gesessen habe und so berührt und bewegt war, dass sie zu Hause Florians Namen googelte - und auf meine Seite kam. Fast war es, als würde sie mir von ihm erzählen... Niemand erzählt mehr von Florian. Niemand, der ihn nicht kannte, lernt ihn kennen.. nur über mich. Und nie werde ich müde werden, von Florian zu sprechen, zu schreiben, nicht, solange ich lebe!
In einigen Wochen jährt sich der Tag, der nie hätte sein dürfen! 13 Jahre und diese lange Zeit wird auf ein Nichts zusammenschmelzen - und die Nachricht mit ähnlicher Wucht auf mein Herz drücken wie DAMALS...
Ich bin froh, dass wir vorher in Irland sind. Ich bin froh, dass wir dieses Land haben.
So schwer mein Herz heute ist, soviel Dankbarkeit kann ich doch für alles empfinden, was Florian uns hinterlassen hat!
Weinen kann ich nicht, aber mein Herz blutet.
William Shakespeare
4 Kommentare:
Ich verstehe dich... so gut. Auch ich gehe nie "auf den Friedhof", sondern ich gehe ZU LEA. Noch nicht so viele Jahre wie du - erst (oder schon) 1 Jahr und 4 1/2 Monate - und denke immer noch, ich müsste aus diesem Alptraum doch endlich aufwachen. Sie müsste doch nun wieder kommen...
Florian habe ich erst durch dich kennengelernt. Und mir fällt gerade auf, dass ich nicht sagen kann: "Ich kannte ihn." sondern eben "Ich habe ihn durch dich kennengelernt." Und das fühlt sich für mich irgendwie nicht so vergangen an sondern gegenwärtig.
Herzlichst Simone
Ich danke Dir, liebe Simone! Dass Du "Wissende" bist, tut mir leid und weh. Wir sind Hüterinnen der Erinnerung an unsere Kinder. Das werden wir immer sein!
In Verbundenheit
Gabriele
Ach, liebe Gabi, du sprichst mir, wie so oft, aus dem Herzen. Natürlich gehe auch ich nicht auf den Friedhof, sondern mache einen Besuch bei Philip. Und auch ich sehe ihn und mich in einem Café sitzen, höre ihm aufmerksam zu und freue mich über unser Beisammensein.
Doch diese Cafébesuche sind leider nur Wunschträume und werden nie stattfinden... Und das tut einfach nur unendlich weh.
Danke für Florians Seite, auf der ich mich immer wieder verstanden und getröstet fühle.
Herzlichst Bettina
Liebe Bettina,
ja, wir besuchen unsere Kinder.. und das Wissen, dass wir nicht alleine sind, hilft, dieses Leben zu (er)tragen und manchmal ist es auch lebenswert.. aber nichts ersetzt das Glück, das SIE uns gaben!
Fühl Dich umarmt
Gabi
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