Donnerstag, 26. April 2018

Die Trauer


Die Trauer ist keineswegs bloss ein Gefühl, vielleicht gar ein miserables Gefühl. Denn Gefühle kann man künstlich erzeugen, z.b.mit Hilfe von Drogen, Psychopharmaka oder mittels elektrischer Reizungen bestimmter Hirnareale. Gefühle kann man abstumpfen oder sogar auslöschen, z.b.durch Abhärtung, Drill, Manipulation.
Mit der Trauer verhält es sich anders. Sie sitzt
tief im Herzen, im geistig-seelischen Zentrum
einer Person und ist weder herbeizuzaubern noch wegzuillusionieren.Sie ist viel mehr als ein Gefühl, nämlich ein Wissen um ein verlorenes Kostbares. Nichts kann dieses Wissen ausradieren. Selbst Betäubungsmittel verhindern nicht, dass es in jedem Augenblick des Aufwachens sofort wieder zur Stelle ist. Genauso kann nichts den Verlust ungeschehen machen. Ersatzobjekte irgend welcher Art verdeutlichen nur noch intensiver
die Unersetzlichkeit des Verlorenen. Ferner kann nichts das Kostbare entwerten. Gerade im Verlust brennt sich seine Werthaftigkeit überschmerzlich ins Bewusstsein ein. Den Trauernden begleitet jenes Wissen wie eine

 nicht abzuschaltende Flüsterstimme auf seinem weiteren Lebensweg, von Zeit zu Zeit lauter oder leiser werdend, aber stets wehmütig vom einst Kostbaren erzählend. Ja, der Trauernde ist ein Wissender, in vielerlei Hinsicht.
Doch seltsam: das nicht abzuschüttelnde Wissen um das Verlorene kann ihm bei der Bewältigung seines Leids helfen. Es öffnet ihm gleichsam Tore der Erkenntnis. Sollte er sie durchschreiten, wandelt er sich - und mit ihm wandeln sich seine Gefühle. Er wächst aus der Trauer in eine neue, hellsichtigere Form seines Menschseins hinein.

aus "in der Trauer lebt die Liebe weiter" von Elisabeth Lukas


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