Die Trauer ist keineswegs bloss ein Gefühl,
vielleicht gar ein miserables Gefühl. Denn Gefühle kann man künstlich
erzeugen, z.b.mit Hilfe von Drogen, Psychopharmaka oder mittels
elektrischer Reizungen bestimmter Hirnareale. Gefühle kann man abstumpfen
oder sogar auslöschen, z.b.durch Abhärtung, Drill, Manipulation.
Mit der Trauer verhält es sich anders. Sie sitzt
tief im Herzen, im geistig-seelischen Zentrum
einer Person und ist weder herbeizuzaubern noch wegzuillusionieren.Sie ist
viel mehr als ein Gefühl, nämlich ein Wissen um ein verlorenes Kostbares.
Nichts kann dieses Wissen ausradieren. Selbst Betäubungsmittel verhindern
nicht, dass es in jedem Augenblick des Aufwachens sofort wieder zur Stelle
ist. Genauso kann nichts den Verlust ungeschehen machen. Ersatzobjekte
irgend welcher Art verdeutlichen nur noch intensiver die Unersetzlichkeit des Verlorenen. Ferner kann nichts das Kostbare
entwerten. Gerade im Verlust brennt sich seine Werthaftigkeit
überschmerzlich ins Bewusstsein ein. Den Trauernden begleitet jenes Wissen wie eine
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nicht abzuschaltende Flüsterstimme
auf seinem weiteren Lebensweg, von Zeit zu Zeit lauter oder leiser werdend,
aber stets wehmütig vom einst Kostbaren erzählend. Ja, der Trauernde ist ein
Wissender, in vielerlei Hinsicht.
Doch seltsam: das nicht abzuschüttelnde Wissen um das Verlorene kann ihm bei
der Bewältigung seines Leids helfen. Es öffnet ihm gleichsam Tore der
Erkenntnis. Sollte er sie durchschreiten, wandelt er sich - und mit ihm
wandeln sich seine Gefühle. Er wächst aus der Trauer in eine neue,
hellsichtigere Form seines Menschseins hinein.
aus "in der Trauer lebt die Liebe
weiter" von Elisabeth Lukas
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