Freitag, 5. Juni 2020

aus: Schlangenprinzessin





Kinder knüpfen das Band zur Mutter, in dem sie die banalsten Fragen stellen und die obskursten Dinge wissen wollen. Ihre ganze Kindheit hindurch fragen sie, ohne zu ahnen, was sie einmal mit dem ganzen Wissen anfangen werden, ohne zu ahnen, dass jedes Wort, jede Erinnerung, die sie sich von ihrer Mutter holen, ein Glied der Brücke ist, die sie unbewusst bauen. Durch Jahre der Trennung und der Not, während der gesamten Jugend und darüber hinaus steht die unsichtbare Brücke, wird immer länger, je weiter das Kind reist, bis es eines Tages inne hält, die Jahre zählt und erkennt, dass es zum Mann/zur Frau geworden ist, doch nur die in der Kindheit gebaute Brücke aus Worten und Erinnerungen zu überqueren braucht, um zur Mutter zurückzukehren.

Ich hatte meinem Kind eine Geschichte zu erzählen. Ich hatte meine Geschichte vorbereitet. Und dann musste ich erleben, dass sie sich wie eine endlose Ödnis um mich herum ausbreitete, die zu nicht weiter dient, als mich daran zu erinnern, dass es meinen Sohn nicht mehr gibt.


(aus: die Schlangenprinzessen, Gina B. Nahai)

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