Smile, though your heart is aching…
„Wie lange dauert das Morgen?“ – „Die Ewigkeit und ein Tag“
In der Frage und ihrer Antwort scheint die Zeit aufgehoben, verloren und unmöglich zu sein. Die Zeit ist flüchtig…
„Ich glaube, die Vergangenheit ist nichts Vergangenes. Die Vergangenheit ist gegenwärtig in dem Sinne, dass das, was wir in diesem Augenblick sind, sich aus Dingen unserer Vergangenheit gebildet hat. Es ist nicht möglich, dass die Gegenwart nicht durch die Vergangenheit bestimmt wird – sie existiert und ist äußerst präsent. In diesem Sinne sind wir von der Vergangenheit nicht frei und können) nicht behaupten, wir würden etwas Neues erleben. Wir erleben etwas Neues lediglich durch das durch die Vergangenheit Bestimmte. Wäre die Gegenwart vollkommen neu, vollkommen unbefleckt, wenn sie auf diese Weise existierte, dann wäre jedes Ding eine Entdeckung für sich.“
Theo Angelopoulos
Diesen Text möchte ich meinen Gedanken im 24. Jahr der Trauer um Florian voranstellen.
Vergangenheit und Gegenwart. Schwer konnte ich oft erklären, wie präsent ich mit Florian im Hier und Jetzt lebe. Diese wunderbaren Gedanken von Angelopoulos haben mir eine Antwort gegeben.
Die Zeit danach
Am 1. Juli 2000 starb Florian mit 23 Jahren. Niemand war schuld. Er starb einen sanften, schicksalhaften Tod.
Am 1. Juli 2023 beginnt – gefühlt - eine neue Zeit in meinem Leben. Florian wird nach diesem Tag länger unter den Toten weilen, als wir ihn hier unter uns haben durften.
Wie nähert man sich diesem Tag? Ich suche nach Antworten. Bleibt letztlich nicht alles so, wie es jetzt ist? Warum fühlt es sich an, als stürbe Florian erneut, endgültig…
Gegen die Idee, dass wir unsere Toten irgendwann loslassen müssen, habe ich mich immer gewehrt und denke noch heute, dass das Gegenteil richtig ist: Ist unsere Trauer nicht die Wunde, aus der wir leben?
Wäre diese Wunde nicht, müssten wir dieses veränderte, unvollkommene Leben als ein ganz „normales Leben“ leben, oder sagen wir mit einer Amnesie leben, die dieses andere Leben, in denen wir Mütter/Väter lebendiger Kinder waren, in unserer Erinnerung ausgelöscht hat. Aber wir leiden nicht an Amnesie und ich weiß heute, dass die Trauer die Fortsetzung der Liebe ist und nie aufhört.Sie begleitet uns bis zum letzten Atemzug und wir schulden niemandem Rechtfertigung.
Viele lange Jahre habe mich gegen das Unumkehrbare, verwaiste Mutter zu sein, gestemmt, gewehrt und dies hat Kraft gekostet, viel Kraft.
„Heute akzeptiere ich die Zufälle, Fügungen, die Reue und die Schwächen, das Brechen und sogar das Biegen…“ (schreibt Antoine Leiris in seinem Buch „Danach das Leben“*), das ich gerade las. Er nennt den Verlust seiner Frau „die Zeit danach“, vermeidet das Wort „tot und gestorben“. „Die Liebe danach ist eine Geisterliebe. Man muss akzeptieren, dass diese Liebe zu unserem Geist gehört, aber das eine andere, andersartige, entstehen darf“.
Dies ist ein schöner Gedanke: Ich liebe „den Geist“, der Florian heute ist. „I carry you with me – my little ghost inside“. Dieses Gedicht/Gebet habe ich jahrelang täglich gesprochen, ein Ritual. Noch heute spreche ich es, wenn ich an Florians Grab stehe oder an dem Ort auf der Treppe sitze, an dem er sein irdisches Leben verließ.
Beim Durchtauchen meiner Erinnerungen
sammle ich Gefühle wie Blumen und Gräser… Hier ein Lächeln, da ein
schmerzerfülltes Weinen, dort ein wohliger Schauer, ein Seufzer, immer wieder
Tränen.
Wenn ich hier fertig bin, habe ich einen riesigen Strauß beisammen. Den werde
ich in eine Vase stellen – ans Fenster ins Licht, damit er leuchten kann.
Siehst du ihn, Florian?
Ich bin stark und mutig, ich bin herzlich und positiv… Ja, ich bin lebensfroh. Aber bei all‘ der Stärke und Leichtigkeit, die in mein Leben kommen durfte: Ich darf ein Stück untröstlich bleiben!
Gabi im Jahr 2023
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