"Und manchmal, während wir so schmerzhaft reifen, dass wir beinahe daran sterben, erhebt sich aus allem, was wir nicht begreifen, ein Gesicht und sieht uns strahlend an" Rainer Maria Rilke
Mittwoch, 28. September 2011
Kastanien
Auf dem glatten hellen Wege
liegen sie, verstreut und müde,
braun und lächelnd wie ein weicher Mund,
voll und glänzend, lieb und rund,
hör'ich sie wie perlende Etüde.
Wie ich eine neue und in meine Hand sie lege,
sanft und zärtelend wie ein kleines Kind,
denk' ich an den Baum und an den Wind,
wie er leise durch die Blätter sang,
und wie den Kastanien dieses weiche Lied
sein muß wie der Sommer, der unmerklich schied,
nur als letzten Abschlied lassend seinen Klang.
Und die eine hier in meiner Hand
ist nicht braun und glänzend wie die andern,
sie ist matt und schläfrig wie der Sand,
der mit ihr durch meine Finger rollt.
Langsam, Schritt für Schritt, wie ungewollt
lass ich meine Füße wandern.
23.9.1939
Selma Meerbaum-Eisinger
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