Freitag, 31. Mai 2013

Schlaflied für die Sehnsucht


O lege, Geliebter,
den Kopf in die Hände
und höre, ich sing' Dir ein Lied.
ich sing' Dir von Weh und von Tod und vom Ende,
ich sing' Dir vom Glücke, das schied.

Komm, schließe die Augen,
ich will Dich dann wiegen,
wir träumen dann beide vom Glück.
Wir träumen dann beide die goldensten Lügen,
wir träumen uns weit, weit zurück.

Und sieh nur, Geliebter,
im Traume da kehren
wieder die Tage voll Licht.
Vergessen die Stunden, die wehen und leeren
von Trauer und Leid und Verzicht.

Doch dann - das Erwachen,
Geliebter, ist Grauen -
ach, alles ist leerer als je -
Oh, könnten die Träume mein Glück wieder bauen,
verjagen mein wild- heißes Weh!

Selma Meerbaum-Eisinger

Donnerstag, 30. Mai 2013

Heute bei Florian


Vorhin - beim Herunterladen der Fotos von meinem Besuch bei Florian heute - dachte ich über genau diesen Satz nach: "Heute besuche ich Florian".  Nie sage ich, dass ich auf den Friedhof gehe.. Ich besuche Florian!  

Würde ich Florian besuchen, säßen wir zusammen in einem Café, ich würde ihm zuhören - wie früher,  wenn er mir täglich seine Schulerlebnisse erzählte. Ich hätte heute mehr Geduld als damals.Ich würde ihn ansehen, ich würde sicher ab und zu meine Hand auf seine Hand auf dem Tisch legen; heimlich würde ich die einzelnen grauen Haare suchen, über die er sich lachend beschweren würde. Nein, es wäre ihm egal;  er wäre doch erst 36, würde im Herbst 37 werden. Ich würde in seinem Gesicht lesen, seine Züge studieren und mein großes Glück ein wenig zu verstecken versuchen... Ich würde mir wünschen, dass er viel Zeit mitgebracht habe und mich bei der Umarmung zum Abschied versichern, dass wir uns bald wiedersehen....

Diese Bilder ließen sich nicht aufhalten, sie strömten durch mich hindurch und ich versuchte, mir meinen 23 jährigen Sohn fast 13 Jahre älter vorzustellen... 

Wie soll man einem Menschen, der es nicht "weiss" erklären, wie schmerzhaft solche Gedanken sind, die einfach mit einem Male da sind!  Ein kleiner Satz: "Ich besuche Florian" und eine undliche Trauer, Sehnsucht und Wehmut überfällt mich. 


Ich besuche das Grab meines Sohnes!  Ich sitze auf der blauen Bank, deren Farbe schon wieder blättert, ich schaue auf diesen Ort, der auch nach all den Jahren nichts von seiner "Heiligkeit" eingebüßt hat.  Ich ordne, zupfe, fülle das Wasser im Teich nach und freue mich an der Seerose, die wieder zum Leben erwacht.  Ich habe einen Rosentopf mitgebracht und stelle ihn hinter die weiße Hortensie, deren Blüten noch schwer sind vom vielen Regen. 


Ich lese den Namen auf dem Kupfersegel. Es ist der meines Sohnes: FLORIAN.  Wie sehr liebe ich diesen Namen - nie gab es einen anderen für diesen Jungen.. nie einen Zweifel, dass es ein FLORIAN werden wird..Und ich lese meinen Namen:  Hier liegt ein Teil von mir in der Erde. Mit Florian starb etwas Elementares in mir - und es wächst dort nichts nach!  Ich habe mein einziges Kind verloren!

Ich spreche mit Florian und erzähle ihm, was mir wichtig ist, was mir durch den Kopf strömt.. Ich lausche den Geräuschen um mich herum, Vogelgezwitscher von den hohen Bäumen über seinem Grab. Eine vorbeifahrende S-Bahn und das leise Gespräch zweier junger Männer, die offenbar eine Friedhofstour machen und sich über die Gräber unterhalten. 



Häufig sitzen bei gutem Wetter Menschen auf der blauen Bank, machen eine kurze Mittagspause - oder genießen die Ruhe und den Frieden dieses Ortes.

Vor zwei Tagen schrieb mir eine junge Frau, dass sie dort gesessen habe und so berührt und bewegt war, dass sie zu Hause Florians Namen googelte - und auf meine Seite kam. Fast war es, als würde sie mir von ihm erzählen... Niemand erzählt mehr von Florian. Niemand, der ihn nicht kannte, lernt ihn kennen.. nur über mich. Und nie werde ich müde werden, von Florian zu sprechen, zu schreiben, nicht, solange ich lebe! 

In einigen Wochen jährt sich der Tag, der nie hätte sein dürfen! 13 Jahre und diese lange Zeit wird auf ein Nichts zusammenschmelzen - und die Nachricht mit ähnlicher Wucht auf mein Herz drücken wie DAMALS...  

Ich bin froh, dass wir vorher in Irland sind.  Ich bin froh, dass wir dieses Land haben. 
So schwer mein Herz heute ist, soviel Dankbarkeit kann ich doch für alles empfinden, was Florian uns hinterlassen hat!

Weinen kann ich nicht, aber mein Herz blutet.
 
William Shakespeare



 


Ich möchte leben


Ich möchte leben.
Ich möchte kämpfen, lieben und hassen
und ich möchte den Himmel mit Händen fassen
und möchte frei sein und atmen und schrein.
Ich will nicht sterben.
Nein.

Das Leben ist rot.
Das Leben ist mein.
Mein und Dein.
Warum brüllen die Kanonen?
Warum stirbt das Leben
für glitzernde Kronen?
Dort ist der Mond.
Er ist da.
Nah.
Ganz nah.
Ich muß warten.
Worauf?
Hauf um Hauf
sterben sie.
Ich will leben
und Du Bruder auch.
Atemhauch
geht von meinem und Deinem Munde.
Der Mond ist lichtes Silber im Blau.
Die Pappeln sind grau.
Und Wind braust mich an.
Die Straße ist hell.
Dann...
Sie kommen dann
und würgen mich.
Mich und Dich.
Das Leben ist rot
braust und lacht.
Über Nacht bin ich tot.

Ein Schatten von einem Baum
geistert über den Mond.
Man sieht ihn kaum.
Ein Baum,
ein Leben
kann Schatten werfen
Über den Mond.

Selma Meerbaum Eisinger 
BIld: Duy Huynh

Mittwoch, 29. Mai 2013

Der fehlende Ton

Für Lena Hermine  geboren und gestorben am 29. Mai

Man stelle sich ein Lied vor, das viele viele Töne hat. Das Lied ist wunderschön, weil jeder dieser Töne da ist und seinen Beitrag zur Melodie leistet. Manche Töne sind ganz kurz, andere dagegen ganz laaaaaaaaaang und dann gibt es noch welche die sind dazwischen – mittellang. Aber zurück zu unserem Lied. Plötzlich passiert etwas Unerwartetes mit dem Lied: Jemand lässt einen einzigen Ton herausfallen. Plötzlich klingt die komplette Melodie anders. Es fehlt ein Ton und die anderen Töne, die auf ein Zusammenspiel mit ihm abgestimmt sind, müssen sich an eine leere Stelle in der Notenzeile gewöhnen. Immer wieder, lange Zeit wird das Lied dann ohne diesen bestimmten Ton gespielt – es gibt auch keinen Ersatz für diesen Ton, denn man kann einen Ton nicht so einfach ersetzen. An seiner Stelle steht einfach nichts. Die anderen Töne finden das komisch, dass dieser Platz von nun an ganz leer sein soll und sie entscheiden sich dazu dem verlorenen Ton ein Denkmal zu setzen. Sie setzen ein Pausenzeichen um zu erinnern, dass an diesem Platz einmal ein besonderer Ton saß. Nach einer langen Zeit wird auch dieses Lied auch zu einem gern gehörten Lied. Es ist zwar anders war als das Lied vorher, aber auch die Melodie dieses Liedes klang nach einiger Zeit, als man sich mit der ungewohnten Pause ein wenig vertraut gemacht hatte, wunderschön - aber eben ganz anders!
(c) Kerstin Müller, Aachen 2004
Bild: Dagmar Wassong

Und für Euch, liebe Carmen, lieber Martin und lieber Paul im Gedenken und in Erinnerung
an das kleine Mädchen, das nicht leben durfte. Ich bin heute traurig mit Euch!

Dienstag, 28. Mai 2013

Ich setzte den Fuß in die Luft...



Ich setzte den Fuß in die Luft,
und sie trug.

Hilde Domin
Bild: Duy Huynh

Montag, 27. Mai 2013

Es fragt uns keiner


Es fragt uns keiner,
ob es uns gefällt,
ob wir das Leben lieben oder hassen,
wir kommen ungefragt auf diese Welt
und müssen sie auch ungefragt verlassen. 

Mascha Kaléko
Bild: Edward Hopper

Sonntag, 26. Mai 2013

Ich kam, ich weiß nicht woher


Ich kam, ich weiss nicht woher,
Ich bin, ich weiss nicht wer,
Ich leb, ich weiss nicht wie lang,
Ich sterb und weiss nicht wann,
Ich fahr, ich weiss nicht wohin,
Mich wunderts, dass ich fröhlich bin.

Martin von Biberach
Bild: Daniel Ridgway Knight


Samstag, 25. Mai 2013

Again and again

  Again and again, however we know the landscape of love
and the little churchyard there, with its sorrowing names,
and the frighteningly silent abyss into which the others
fall: again and again the two of us walk out together
under the ancient trees, lie down again and again
among the flowers, face to face with the sky.
R.M. Rilke
Translated by Stephen Mitchell
Für meinen geliebten Mann und Freund zum Geburtstag.  Ein Bild aus fernen Tagen - aufgenommen von Florian am Strand von Castlegregory. Dass Florian fester Teil unserer Beziehung und Liebe geblieben ist- das ist wundervoll! Happy Birthdy, Hans-Jürgen!
 
 

Donnerstag, 23. Mai 2013

Man muss sich hüten..



Man muss sich hüten,
in den Erinnerungen zu wühlen,
sich ihnen auszuliefern,
wie man auch ein kostbares Geschenk
nicht immerfort betrachtet,
sondern nur zu besonderen Stunden
und es sonst nur wie einen verborgenen Schatz,
dessen man sich gewiss ist, besitzt;
dann geht eine dauernde Freude und Kraft
von dem Vergangenen aus.


Dietrich Bonhoeffer
Foto: Birgit Botschen-Mehler

Ich weiß nicht, ob ich diese Gedanken von Bonhoeffer so teilen mag.
Alles hat seine Zeit in der Trauer und es gibt Zeiten,
in denen wir den einzigen Trost im "Wühlen in den Erinnerungen"
finden.... und dann kommt eine andere Zeit.
Wunderbar die letzten Zeilen:
"Dann geht eine dauernde Freude und Kraft
von dem Vergangenen aus..."     

Dienstag, 21. Mai 2013

Wenn Kinder sterben "Menschen hautnah"


Diese Dokumentation möchte ich Euch 
ans Herz legen!

Sollte es nicht....




Sollte es nicht drüben einen Tod geben,
dessen Resultat irdische Geburt wäre?
Wenn ein Geist stirbt, wird er Mensch.
Wenn ein Mensch stirbt, wird er Geist.

Novalis

Danke, liebe Birgit für das Foto!

Montag, 20. Mai 2013

A song on the end of the world



On the day the world ends
A bee circles a clover,
A fisherman mends a glimmering net.
Happy porpoises jump in the sea,
By the rainspout young sparrows are playing
And the snake is gold-skinned as it should always be.
On the day the world ends
Women walk through the fields under their umbrellas,
A drunkard grows sleepy at the edge of a lawn,
Vegetable peddlers shout in the street
And a yellow-sailed boat comes nearer the island,
The voice of a violin lasts in the air
And leads into a starry night.
And those who expected lightning and thunder
Are disappointed.
And those who expected signs and archangels' trumps
Do not believe it is happening now.
As long as the sun and the moon are above,
As long as the bumblebee visits a rose,
As long as rosy infants are born
No one believes it is happening now.
Only a white-haired old man, who would be a prophet
Yet is not a prophet, for he's much too busy,
Repeats while he binds his tomatoes:
No other end of the world will there be,
No other end of the world will there be


by Czeslaw Milosz
translated by Anthony Milosz

Sonntag, 19. Mai 2013

Das Leben


Das Leben ist verhüllt und verborgen,
wie auch euer größeres Selbst verborgen
und verhüllt ist.

Aber wenn das Leben spricht,
werden alle Winde Worte;
und wenn es von neuem spricht,
so wird das Lächeln auf euren Lippen
und die Tränen in euren Aug’ zum Wort.

Wenn es singt, hören es die Tauben
und sind ergriffen;
und wenn es sich langsam nähert,
sehen es die Blinden und sind entzückt
und folgen ihm verwundert und erstaunt.
 
Khalil Gibran

Samstag, 18. Mai 2013

Frühling



Wir wollen wie der Mondenschein
Die stille Frühlingsnacht durchwachen,
Wir wollen wie zwei Kinder sein,
Du hüllst mich in dein Leben ein
Und lehrst mich so, wie Du, zu lachen.

Ich sehnte mich nach Mutterlieb’
Und Vaterwort und Frühlingsspielen,
Den Fluch, der mich durch’s Leben trieb,
Begann ich, da er bei mir blieb,
Wie einen treuen Freund zu lieben.

Nun blühn die Bäume seidenfein
Und Liebe duftet von den Zweigen.
Du mußt mir Mutter und Vater sein
Und Frühlingsspiel und Schätzelein!
Und ganz mein Eigen.

Else Lasker-Schüler
Bild: Alexi Zaitsev

Freitag, 17. Mai 2013

Sonnenuntergang






Abend für Abend sehe ich
wie die Sonne versinkt
wie sie gleitet
in den Schoß des Flusses
wie sie ihr Glut
verschenkt....

 Schweig Gefühl schweig

 Die Sonne geht
gar nicht unter
Seit Galilei weiß man:
sie steht fest
und die Farben sind
nichts weiter
als Erscheinungen
gebrochenen Lichts

Schweig Verstand schweig

Renate Salzbrenner

Mittwoch, 15. Mai 2013

Rose im Sand





Diese Rose lag in Utersum am Strand, angeschwemmt vom Meer
und wir standen einen Moment still - wissend - dass
sie irgendwo draußen auf See für einen
Gestorbenen ins Wasser geworfen wurde.

Dienstag, 14. Mai 2013

Maitag




Maitag

diesen Maitag
halte ich fest
mit leichtem Federstrich
die Insel in Sonnenarmen
übersät mit Schaumschwänen
das aufgebrachte Meer

versunken ins Gold der Felder
Dächer und Türme
duftschwer die Luft
die dich nicht losläßt
beim Abschied
an der Brücke nach drüben

Annemarie Schnitt


Zurück von der Insel. Neu aufgetankt mit Kraft und
Lust, die Dinge anzupacken, die auf mich warten!
 

Mittwoch, 8. Mai 2013

Dein Atem




Auch was
auf der Hand liegt
muss ich
aus der Hand zu geben
bereit sein

und muss wissen
wenn ich liebe
dass es wirklich
die Liebe zu dir ist
und nicht nur
die Liebe zur Liebe zu dir
und dass ich nicht
eigentlich
etwas Uneigentliches will

Aber
solange ich atme
will ich
wenn ich den Atem
anhalte
deinen Atem
noch spüren
in mir

Erich Fried
Foto: Birgit Botschen-Mehler



Wir sind einige Tage an der See - auf Föhr....
Endlich wieder am Meer!


Dienstag, 7. Mai 2013

Floris Home


Nun ist auch in Deinem Garten Frühling, mein Sohn!

Everything


Everything
Ben Howard

The birds still sing outside these
These windows
Where we sat together
Like nothing ever happened here oh
The white house on the hill
And black clouds the weather
And the church spire, over the river
She still sits there
Warmin' the evening glow
But you don't care about
These scenes I treasure
About these wore swimmers
I know, I know
Seems everything around here
Stays like stone
Seems it's about time darling
About time we let this all go

Cause everything will start again anew
Cause everything just goes away my friend
And every king knows it to be true
And every kingdom must one day come to an end
And the sun vanished, may be long gone
And all these memories we've found
But she'll be here
When it's all done
When I buy this land beneath the ground
She knows everything that goes around
Comes, comes around here
She knows everything that stays here somehow
Guess we'd all begin

Everything will start again anew
Cause everything just goes away my friend
And every king knows it to be true
And every kingdom must one day come to an end

Montag, 6. Mai 2013

Der nächste Schritt


Der nächste Schritt ist immer fällig. Man weiß ihn genau.
Wenn du ihn tust, wirst du dadurch, dass du erlebst, wie du ihn dir zugetraut hast, auch Mut gewinnen. Während du ihn tust, brichst du nicht zusammen, sondern fühlst dich gestärkt.

Es gibt nicht nur die Gefahr, dass du zuviel riskierst, es gibt auch die Gefahr, dass du zu wenig riskierst.

Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füsse.

Martin Walser

Sonntag, 5. Mai 2013

Sag mir....



Sag mir
wie gelingt es
über sich selbst hinaus zu wachsen
Lähmendes hinter sich zu lassen
Rätselhaftes zu enträtseln
Dunkles zu überspringen
ins das Grün
ungetrübter Gelassenheit


Annemarie Schnitt
Foto:  Birgit Botschen-Mehler


Werden wir das erleben dürfen, liebe Annemarie, diese "ungetrübte Gelassenheit"...
Es gibt Augenblicke, in denen es gelingt - Momente des Glücks, der Dankbarkeit und der
Annahme dessen, was wir unser Schicksal nennen... Aber dann ist da diese Sehnsucht, die Wehmut, gerade auch in diesen schönen Frühlingstagen.
Ich fühle mich - immer wieder - sehr beschenkt von Deinen Gedanken!

Samstag, 4. Mai 2013

Im Gedenken an Florian L.




Ich liege
mit der Mondsichel
im Atem
so lädt
der Himmel mich ein
die Nacht dröhnt
schwarz und ohne
Sterne
In meinen
Trauertraum

Rose Ausländer
Bild: Duy Huynh

Im Gedenken  und in Erinnerung an Flori. Für Dich, liebe Henriette und alle, die Ihr ohne Trost seid. Ich wünsche Euch  so  viel Kraft und Liebe in diesen Tagen des Schmerzes und des Erinnerns.