Sonntag, 15. Dezember 2013

Friedensboote





Wo die Idee ursprünglich herkam, habe ich nie herausgefunden.  Für mich als Kind waren die Friedensboote ein ebenso selbstverständlicher weihnachtlicher Brauch wie der Tannenbaum und die Krippe.

Gebastelt haben wir tagelang an den Booten, meine Schwestern und ich. Hier noch ein buntes Segel, dort noch eine Verzierung an den Seiten, oder die ultimativ raffiniertest Kerzenhalterung mit Windschutz.. Jede von uns wollte das schönste Boot haben.

Wenn meine Eltern dann den Baum schmückten, saßen wir im Kinderzimmer und schrieben. Die Wünsche waren das Wichtigste.  Sie waren die Fracht. Auf klitzekleine Zettel schreiben wir sie, rollten sie zusammen und packten sie in den Laderaum, der meist aus einer Streichholzschachtel bestand.

Dann kamen sie in die Kirche. Während es Weihnachtsgottesdienstes schoben wir sie unter die Bank, und nun konnten sie sich zusätzlich noch mit all den schönen Liedern und Texten füllen, die rings zu hören waren.

Nach der Kirche wanderten wir zum Fluss.  Die Stadt schien ausgestorben zu sein. Es wurde immer stiller. Es war eine Stille, wie es sie das ganze Jahr über nicht gab. Man hörte nur unsere Schritte, das Knirschen des Schnees oder das Schmatzen des sumpfigen Erdreichs. Unsere Lampen reichen kaum den nächsten Schritt weit.

Am Fluss angekommen, standen wir noch ein Welchen einfach so da in der leeren Welt.
Dann holte meine Mutter die Streichhölzer heraus, wir packten unsere Boote aus und zündeten die Kerzen an. Nacheinander setzen wir die Boote aufs Wasser und sahen ihren Lichtern so lange nach,  bis uns die Augen tränten vor Anstrengung.  Ich wusste, mein Boot  würde weit, weit schwimmen. Bis zum Meer. Und dann hinaus in die Welt. Und irgendwo an einem Strand würde es ankommen.

Und nun ist es soweit. Weihnachten naht. Und ich mache mich auf, einen Fluss zu suchen. Einen Fluss, der ins Meer führt.


Doris Bewernitz

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