Auszug aus einem Brief von Florian aus Camphill vom 11. April 1997
......"Wer bin ich? Ich bin eben nicht nur Dein Sohn, sondern
muß/will auch von anderen lernen. Ich habe hier so viele verschiedene Menschen
um mich herum, daß ich über diese Situation echt dankbar sein kann. Ich denke,
viele Dinge, die Du mir über die Jahre mit auf den Weg gegeben hast, kann ich
nun zum ersten Mal anwenden, das Resultat sehen. Du kannst mir mehr oder
weniger nur Theorie und Beispiele auf den Weg geben. Das Prüfen auf Richtigkeit
und Funktionalität muß ich jetzt selber tun. Dafür brauche ich eben Deine Hilfe
nicht. Aber ich brauche noch immer Dich!!! Werde Dich immer brauchen, auch als
Berater. Nur hier habe ich die Sicherheit von Camphill, die ich im späteren
Leben nicht mehr haben werde. Ich kann hier Fehler machen, ohne an ihrem
Ergebnis unterzugehen. Ich denke, als „Entwicklungshilfe“ ist dies hier der
ideale Platz. Man erlebt täglich alle Facetten des Lebens, mit immer anderem
Ausgang.
Douglas sagt immer, wäre das Leben einfach, so wäre es
doch langweilig. Im Grunde bin ich über jedes Problem froh, da man hier immer
die Chance einer Lösung hat, der andere nie wegrennen, sich verstecken kann.
Man wird mit den Dingen des Lebens konfrontiert.
Meine momentane Distanz hat mit dem momentanen Problem zu
tun, ist aber eben nur momentan.
Jette habe ich einmal geschrieben, daß ich hier im „Paradies auf Zeit“ wäre. Ich denke,
genau dies ist mein Gefühl. Ich will den Moment genießen, voll auskosten und
unter ihm leiden, da ich weiß daß er nicht für die Ewigkeit sein wird. Es ist
ein Leben in Sicherheit, in „falscher
Sicherheit“. In einem Netz von Verantwortungen und Aufgaben kann man nicht
verloren gehen. Doch jede Spinne muß einmal ihr Netz verlassen, ein neues
bauen. Dies bedarf großer Fähigkeiten
und genügend Zeit. Ich bin von einem (zu Hause) ins andere Netz gesprungen
(Camphill). Aber eines Tages muß ich mein eigenes bauen. Dafür muß man sich
aber vorbereiten.
Meine Zukunft ist noch zu verschwommen um zu planen. Deswegen
lebe ich im Nun.
Trotz aller Distanz, Gabi, brauche ich Dich, vielleicht
mehr (da anders) als je zuvor.
In Deinem letzten Brief hast Du mich zitiert, daß ich Dir
gerne einiges zurückgeben würde. Du meintest, besser früher als zu spät. Aber
bevor man geben kann muß man erst einmal haben. Ich bin dabei, mir etwas zu
erarbeiten, bin aber gerade erst am Anfang.
Laß uns die momentane Krise bitte so meistern, wie alle
anderen zuvor. Wir sind stark genug!!
Bis dahin, sei fest gedrückt
Dein Sohn Florian
P.S. Ich freue mich schon sehr auf euch. Es wird ganz toll
werden!!!!
Es sind diese Briefe, die ich heute mit unendlicher Liebe, mit Dankbarkeit und auch mit stolz lese - aber auch mit unendlicher Traurigkeit und Wehmut: Wir haben uns auseinandergesetzt, wir haben Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gelebt - und damit Vertrauen. Florian fehlt mir an manchen Tagen so sehr, dass ich den Verlust körperlich spüre... das Abgetrenntsein, die Amputation des Kindes! Heute ist so ein Tag... vielleicht, weil Irland näher kommt - und ich mich so sehr auf "Flori-Land" freue.
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