Freitag, 17. Oktober 2008

Der Beginn einer großen Liebe


Das Tagebuch, das ich schon während meiner Schwangerschaft mit Florian führte, liegt nun wieder bei mir. Ich blättere darin, lese in meinen Briefen an mein ungeborenes Kind – und heute vor allem den ersten Brief an meinen kleinen Sohn:



20.10.1976

Mein geliebter kleiner Murkel,

Du bist seit Sonntag 11.27 Uhr auf der Welt – ein Sonntagskind – nur Dein Start war kein leichter.
Ich darf Dich nur zwei Mal täglich sehen und mache mir ständig Gedanken darüber wie es
Dir, mein geliebtes Kleines, geht. Ich wäre froh, man würde Dich bei mir lassen, ich könnte Dich vielleicht trösten, wenn es Dir nicht gut geht, ich würde hören, wie Du atmest, dass Du atmest.. Ich bin in Sorge um Dich.
Da ich Dir nicht erzählen kann, führe ich unser Tagebuch weiter, weiß nicht, wie weit ich heute komme, ich bin sehr schwach und muss erst Kraft schöpfen: Hier aber das Wichtigste:

Dein Name: Florian
Geboren: 17.10.1976 um 11.27 Uhr
Größe: 54 cm
Gewicht: 3600
Haare viele, dunkle Haare
Augen (soweit erkennbar) blau
Ohren: klein und anliegend
Mund: breit (wie der Deines Vaters)
Händchen: zarte, kleine Knospen
Stimme: piepsend, wie ein Vögelchen

Man würde Dich (objektiv betrachtet) im Moment wohl nicht als „hübsches“ Baby bezeichnen, aber als ich aus der Narkose erwachte, man Dich mir in den Arm legte und mir sagte, Du seiest mein Sohn, da warst Du für mich das schönste Kind dieser Erde - ein Wunder! Du hast – wie ich – sehr unter der Geburt gelitten. Dein Köpfchen ist stark geschwollen und vor allem hast Du dicke, blutunterlaufene Äuglein. Siehst aus wie ein kleiner Boxer nach etlichen harten Runden. Ich habe versucht, zu erfahren, wie schwer Deine Verletzungen sind, aber niemand kann mir bisher etwas Verbindliches sagen. „Ihr Sohn hat ein ziemlich schweres Geburtststrauma“ – das macht mir Angst, lieber kleiner Florian und gestern war ich sehr mutlos und deprimiert.
Aber wenn ich Dich dann in meinen Armen wiege und Dir mit schwacher Stimme vorsinge oder eine Geschichte erzähle vom dem Leben, das auf uns beide wartet, von dem großen Abenteuer, auf das wir uns zusammen einlassen, wenn Du ruhig atmend neben mir liegst, ein Fäustchen im Mund, dann werde ich zuversichtlich und mutig und verspreche Dir, dass alles gut werden wird!

Draußen sind schöne, sonnige Herbsttage. Ich schaue von meinem Bett aus in das bunte Laub der Bäume. Du bist ein Sonntagskind und ich wünsche mir so sehr, dass Du ein Sonnenkind wirst!


23.10.1976

Murkelchen,
(ich nenne Dich noch immer so, obwohl Du doch inzwischen einen Namen hast), aber ich nannte Dich neun Monate „Murkelchen“ – und muss es mir erst abgewöhnen).

Morgen bist Du schon eine Woche alt und es wird Zeit, Dir mal wieder zu erzählen, was in diesen Tagen geschieht.
Es geht Dir viel besser, Du wirst immer hübscher. Dein Köpfchen hat seine Form sehr verändert, die Hämatome sind fast völlig verschwunden. Dein Äuglein werden mit jedem Tag besser, die Schwellungen gehen zurück, nur um die Augen herum hast Du dunkle Ränder. Die Ärzte sind mit Deiner Entwicklung zufrieden.
Ich kann es immer nicht erwarten, Dich endlich zu sehen und wenn Du dann in meinen Armen liegst, mit Deinen kleinen Händen fest einen meiner Finger umschließt, dann bin ich so voller Rührung und voller Liebe, mein kleiner Sohn.
Dein Gesichtchen ist kugelrund. Du hast dicke Wangen und dein süßer Mund sieht aus wie eine Sonne – kreisrund und dann steckst Du Deine kleine rote Zunge heraus. Ich muss oft lachen, wenn ich Dich anschaue. Du siehst so lustig aus – Du bist ein richtig knuffiges Baby.
Du strahlst von Innen, wenn Dich vor dem Stillen oder Füttern (ich habe durch das hohe Fieber noch immer nicht genug Milch für Dich) richtig fest drücke – und wenn Du satt bist, liegst Du völlig entspannt – mit einem Lächeln um Dein Mündchen – und siehst so glücklich aus, dass mir die Tränen über das Gesicht laufen.

Ich habe aus einem Buch, das ich geschenkt bekam einen Spruch ausgewählt:

„Nichts ist schwierig in dieser Welt
Ist da der Wille,
die Höhen zu erklimmen“

Diesen Satz, mein kleiner Sohn möchte ich Dir als Leitfaden für Dein ganzes, zukünftiges Leben mitgeben!


*******


Diese damals festgehaltenen Gedanken wollte ich eines Tages an Florian weitergeben. Er würde selbst Vater werden und sicherlich gerne in den Tagebüchern seiner eigenen Kindheit lesen.

Das Leben lies uns nicht genügend Zeit für diese Dinge.

Ich hatte meinem Kind eine Geschichte zu erzählen. Ich hatte unsere Geschichte vorbereitet. Und dann musste ich erleben, dass sie sich wie eine endlose Ödnis um mich herum ausbreitete, die zu nicht weiter dient, als mich daran zu erinnern, dass es meinen Sohn nicht mehr gibt.

Happy Birthday in Heaven, my son, my sun, my beautiful son!
Deine Mom

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