Mittwoch, 24. Dezember 2008

Brief an Florian

Besuch gestern an Florians "little garden"..


Die Nacht wird nicht ewig dauern.
Es wird nicht finster bleiben.
Die Tage, von denen wir sagen,
sie gefallen uns nicht,
werden nicht die letzten Tage sein.
Wir schauen durch sie hindurch
vorwärts auf ein Licht,
zu dem wir jetzt schon gehören
und das uns nicht loslassen wird.“

Helmut Gollwitzer


Weihnachten 2008

Geliebter Florian,

draußen fällt Schnee. Ganz sanft fallen dicke Flocken vor Deinem Fenster in das Moos, bleiben einen Augenblick als Kristalle dort liegen – um zu vergehen. Ich schaue ihnen schon eine ganze Weile zu – in Gedanken an diesen Brief, den ich Dir zu Weihnachten schreiben möchte.

Es gab eine lange Zeit, da wusste ich, vor wieviel Tagen Du gestorben bist; nun ertappe ich mich dabei, dass ich an meinen Händen die Jahre zu zählen beginne. Seit acht Jahren bist Du tot und die letzten vier Jahre Deines Lebens warst Du Weihnachten in Irland… Ich kann mich kaum erinnern, wo unser letztes gemeinsames Weihnachten stattgefunden hat..

Es ist ein unruhiger Jahresausgang – und ich komme kaum dazu, meine Gedanken festzuhalten, sie sind wie die Tage, die an mir vorbeirauschen – Tag um Tag – und ich vermisse die Einkehr der Ruhe und Besinnlichkeit, die diese Zeit vor Weihnachten ausmachen sollten. Es ist eine Zeit, der Rückschau – nicht nur auf ein vergangenes Jahr – sie ist für mich auch eine Rückschau auf die Zeit, die Du nicht mehr bei uns bist. Vielleicht ist es schwer, dies noch zu vermitteln – Du bist längst aus dem Focus der meisten Menschen entrückt und ich bin Hüterin der Erinnerung. Ich schreibe viel, ich bekomme viel Post – ich habe diesen Teil meines Lebens Dir und Deinem Gedenken gewidmet – eine gute, eine befriedigende Tätigkeit, Trost zu spenden und Tröstung zu erhalten.
Aber das Leben lebt sich nicht rückwärts, liebster Florian. Es ist schon oft erstaunlich, wie sehr es sich gegen den Tod, das Erinnern, das Gedenken durchsetzt. Das Leben ist stärker und ich habe mich ihm gestellt und erneut verspüre ich im Rückblick auf das vergangene Jahr Veränderung.
Du bist weiter weg gerückt – so schmerzlich es ist, dies zu konstatieren. Ich glaube nicht, dass es „besser ist“ so, aber es ist nicht in meiner Macht, Dich näher bei mir zu behalten. Ihr Toten entfernt Euch – und wir müssen es ertragen.

Man weiß nie, welche Kraft die Quellen des Lebens haben.
Doch leben heißt die Mauern zu überwinden wagen,
die man vor sich selbst errichtet.
Heißt wagen, die Grenzen zu überschreiten,
die man sich setzt.
Leben heißt immer darüber hinausgehen

Dieses Jahr war auch ein besonderes Jahr; das erste Jahr, in dem ich meinen Leben selbst – ohne von außen bestimmt zu sein durch Arbeit – einen Sinn geben musste, meine Zeit mir alleine gehörte und es an mir lag, sie zu füllen mit Sinnhaftigkeit.
Ich denke im Rückblick, dass es mir weitgehend gelungen ist, liebster Florian und es ist eine Balance entstanden zwischen dem rückwärtigen und dem gegenwärtigen Leben. „Leben heißt immer darüber hinausgehen“… Ich habe die gestellten Aufgaben nicht alle erfüllen können und auch nicht wollen. Auch diese Erfahrung war wichtig und meine Gesundheit hat mir oft meine Grenzen aufgewiesen.
Manchmal, mein liebster Sohn fühle ich mich so müde, erschöpft. Manchmal sind meine Augen schwer und ich habe Angst, im Grau zu versinken. Dann wünsche ich mir, dass Du auf den Pfaden der Erinnerung zu mir kommst und erst wieder gehst, wenn meine Gedanken müde werden und der Alltag mich weckt.
Wenn ich nachdenke, Lieber, was mir am meisten fehlt in diesem Leben ohne Dich, dann ist es Dein Lachen, Deine fröhliche Zugewandtheit, die so viel Lebendigkeit in unsere Leben trug. Mit Deinem Tod nahmst Du mein halbes Leben mit.. Das Wort "untröstlich" habe ich früher nie so richtig verstehen können, erst jetzt kann ich das ganze Ausmaß dieses Ausdruckes verstehe: Es gibt einfach keinen Trost, es gibt nur eine neue Art von Frieden seit ich es nicht mehr leugne, dass Du gestorben bist. Leben mit einem gebrochenes Herz, man mag darüber lächeln, aber ich habe lernen müssen, dass auch die eine Wirklichkeit ist. Man stirbt nicht daran, aber man leidet darunter.
Ich finde – trotz Deiner größeren Distanz – noch immer Deine Zeichen und ich spreche mit Dir und ich frage Dich, wenn ich Antworten suche – und ich bin überzeugt, dass Du mich nie verlassen hast und nie verlassen wirst.
Der Abstand zwischen uns zwingt mich zugleich, die Dinge Wert zu schätzen, die mir das Leben gelassen hat und die, die neu hinzu gekommen sind, wie die beiden Enkelkinder, die es wahr gemacht haben, dass aus einem Kindermund das Wort „Granny“ – oder wie sie es sagen „Wenni“ kommt. Manchmal lasse ich es in mir nachhallen – wenn sie es sagen – und es berührt mich tief.
Für Lion und Malia bist Du mein Sohn, der im Himmel lebt. Alle Engel heißen bei Lion „Florian“… und ihnen werde ich von Dir erzählen, wenn sie ein wenig älter sind. Bleibe an ihrer Seite, wie auch an der Seite von Hans-Jürgen und all der Menschen, die ich liebe und ohne die ich mir dieses Leben nicht vorstellen kann.
Behüte uns und segne uns Florian.

Merry Christmas my son, my sun, my beautiful son!

In eternal love
Mom

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