Freitag, 10. Februar 2012

Kleiner Stern



Wo bist du gewesen, kleiner Stern?
Von meinem Fenster aus
habe ich überall
nach dir Ausschau gehalten
inmitten der dunklen Wolken.
Wo bist du gewesen?
Ich fühle mich so verlassen
wie ein kleiner Vogel
verloren auf einer nebligen Insel.

Nächtelang hat es geregnet.
Die Stadt ist so kalt und verlassen.
Später in der Nacht sehe ich
auf dem Gehsteig
die Silhouetten einsamer, nasser Gestalten.

Ich bette mein Haupt auf einen Stapel alter Bücher,
so wie die alten Dichter.
Ich habe versucht, dein Bild
tief aus meinem Bewusstsein hervorzuholen,
während Wind und Regen draußen weiter wüten.

Heute abend, wenn ich mich
über meinen Schreitisch beuge,
den Kopf auf die Hände gestützt,
kann ich mir nicht vorstellen, dass der Wind
alle Wolken davongeweht hat.
Der Himmel ist klar.
Der Regen hält inne und wartet auf deinen Ruf.
Ich bin überrascht, durch das Fenster zu sehen,
dass du wieder da bist.
Du bist zurückgekehrt.

Lieber kleiner Stern,
du musstest durch solche Stürme, durch Regen und Wind.
Wohin bist du gegangen?
Wie lange und in welch seltsamem Land hast du geweint?
Du bist zurückgekehrt.
Deine Augen sind noch immer voller Erstaunen,
wenn du mich jetzt am Fenster betrachtest.
Wo warst du in diesen stürmischen Tagen?
Dein kleiner Körper geschüttelt von unzähligen Winden,
zittert noch vor Kälte.

Friedlich ruhst du auf dem Boden der Kristallschale,
und mit Tränen in den Augen erinnerst du dich:
„Heute hat das himmlische Königreich
ein großes Fest gegeben für Tausende von Sternen.
Der Himmel ist klar.
Alle Wolken sind fortgeweht.
Ich stieg hinauf zum Königreich,
kniete nieder und betete für unser Heimatland –
für das Ende von Haß und Töten,
Flurkatastrophen, Feuer und Grausamkeit
in unserem armen Land.“

Deine Stimme hat Millionen Sterne erreicht,
und alle haben sich in wundervolle Tränen verwandelt,
die ein der Luft erzittern.
Tiefen Dank sage ich den Zehntausend kleiner Sterne,
deren Treue so fest ist wie ein Diamant.
Wie Blumen erblüht ihr,
und strahlend leuchtet ihr im weiten Reich des Bewusstseins.
Mein kleiner Stern,
du bist nach Hause zurückgekehrt.
Mit Tränen in den Augen rufe ich deinen Namen
Und bin glücklich.


(Thich Nhat Hanh – „Nenne mich bei meinem wahren Namen“)

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