Montag, 9. Mai 2011

R.M. Rilke 2 Gedichte

Rainer Maria Rilke

Im »Stundenbuch« befindet sich ein Gedicht, der »Stimme eines jungen Bruders« zugeschrieben, das gewissermaßen des Dichters damaliges jugendliches Selbst zum Verfasser hat:

»Ich verrinne, ich verrinne
wie Sand, der durch Finger rinnt.
Ich habe auf einmal so viele Sinne,
die alle anders durstig sind.
Ich fühle mich an hundert Stellen
schwellen und schmerzen.
Aber am meisten mitten im Herzen.
Ich möchte sterben. Laß mich allein.
Ich glaube es wird mir gelingen,
so bange zu sein,
daß mir die Pulse zerspringen.«

Ein anderes Gedicht, mit allerlei Anklängen an später entstandene, enthält die gleiche
Doppeleinstellung zum Tod wie zum Sinnbild des eigentlichen Lebens, an das es sich richtet:


»Ich steh im Finstern und wie erblindet,
weil sich zu Dir mein Blick nicht mehr findet.
Der Tage irres Gedränge ist
ein Vorhang mir nur, dahinter Du bist.
Ich starre drauf hin, ob er sich nicht hebt,
der Vorhang, dahinter mein Leben lebt,
meines Lebens Gehalt, meines Lebens Gebot –
und doch mein Tod –«

Liebesgedicht

aus: LOU ANDREAS-SALOMÉ
RAINER MARIA RILKE

Foto: Florians Grab

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