In Nächten wie dieser ist mein Kopf ein buntes Kaleidoskop von sich ständig bewegenden, immer neuen Bildern.. Erinnerungen, Fetzen von Erlebtem, das weit zurück liegt und mich doch immer begleitet. Bilder, die Geschichten erzählen, Bilder die Stimmen in mir aufleben, Gerüche in meiner Nase aufsteigen lassen... tiefe Gefühle, verschüttet, die sich freilegen in meiner Seele..Nächte, in denen die Stunden nur diesen Gedanken, Bildern, Gefühlen gehören - nur Florian!
An der Wand auf die ich von meinem Bett aus schaue, hängt ein Schwarz-Weiss-Foto von Florian, das ihn im Alter von zwei Jahren auf einer Treppe in Dubrovnik sitzend zeigt. Sein kleines Gesicht ist umrahmt von blonden Locken, im Mund ein Schnuller, seine Händchen liegen ruhend in seinem Schoß, sein Blick ist auf einen Punkt in der Ferne gerichtet.
Dies Foto ist unglaublich berührend und es erinnert mich an diesen Urlaub - 1978 im damaligen Jugoslawien.
sommer 1978
der sommer ist heiß und die menschen halten sich im schatten ihrer häuser auf; nur eine gruppe von touristen, die sich in einem häuschen direkt am meer eingerichtet hat, ist auf den ausgestorbenen gassen zu sehen... mit einem schlauchboot unter dem arm – zwei kleine kinder an der hand – schlendern zwei paare am vormittag zum entlegenen strand. am späten nachmittag sieht man sie – erschöpft von der Hitze - zurückkehren.
der weg zum strand führt über einen steilen, sandigen weg, der sich aus dem dorf herausschlängelnd über einen hügel führt. man kann auch direkt am strand über die felsen gehen. manchmal setzen sie das schlauchboot mit den beiden kindern in das wasser und ziehen es hinter sich her – von stein zu stein hüpfend und das helle lachen der kleinen ist zu hören....
es sind ein kleiner blonder junge und ein dunkelhaariges mädchen. der blonde junge hat lockiges haar, das ihm auf seine zarten schultern fällt. meist sieht man diesen kleinen jungen ganz nackt herumlaufen, nur seinen kopf schützt ein kleiner roter hut mit weißen punkten oder blümchen. vor sich her schiebt er seinen leichten buggy, blau-weiß gestreift. jeder im ort kennt ihn und jeder liebt ihn. er kann sich kaum bewegen, ohne dass menschen in verzückung geraten und ihm etwas zustecken - eine saftige orange, eine süßigkeit und manchmal ist er verschwunden. man sieht dann seine blonde mutter durch das dorf gehen, seinen namen rufen und ihn schließlich irgendwo in empfang nehmen – glücklich, strahlend, den mund voller reste dessen, womit man ihn dort gefüttert hat.
seine ganz besondere freundin ist maria, die nachbarin und eigentümerin des kleinen strandhauses. sie kann sich nicht statt sehen an diesem engelsgleichen wesen und immer wieder streichelt sie über sein feines engelshaar. die sprache in der sie sich verständigen ist international, zumal der kleine junge erst ein paar brocken seiner eigenen muttersprache spricht... mama, papa, auto..
das mit dem auto klingt für aussenstehende befremdlich, kommt aber daher, dass der kleine junge in der großen stadt berlin direkt an einer sehr belebten straße wohnt. dort steht er oft am fenster, das gerade so hoch ist, dass er mit dem kopf über den sims schauen kann ... und er bewundert die vielen autos. er liebt autos und er hat inzwischen eine menge davon, mit denen er hingebungsvoll spielt. er ist ein lieber junge, ein bescheidenes kind, das sich den jeweiligen orten, an denen es gerade ist, ganz leicht anzupassen scheint.
vor dem strandhaus, in dem er mit seiner kleinen freundin, deren eltern sehr ängstlich über sie wachen, und seinen eltern lebt, steht ein etwas wackeliger tisch, an dem gegessen wird und – was der kleine junge über alles liebt – eine dusche... eine dusche im freien, aus der frisches, kühles wasser läuft. es ist die einzige dusche im haus und auch die eltern des kleinen jungen sieht man mehrmals täglich dort eine erfrischung nehmen. immer wieder bittet er darum, den wasserhahn aufzu drehen , was er alleine noch nicht schafft, wofür sich aber stets jemand findet - um dann seinen kopf unter den sanften wasserstrahl zu halten---- es ist ein rührendes bild, wenn er quietschend das wassser, das ihm über sein glückliches gesichtchen läuft mit dem mund aufzufangen versucht.. die strähnen seiner blonden haare hängen ihm über die blau-grünen augen und er streicht sie mit der kleinen hand zurück – um von vorn zu beginnen... es ist sein spiel dieses sommers...
in einem weiteren haus sind freunde der eltern einquartiert und dort ist ein anderer junge, der um einiges älter als der kleine junge ist. dieser wird von ihm bewundert und sein erscheinen läßt ihn in jubel ausbrechen. der große junge liegt am liebsten in der alten, morschen hängematte, die zwischen zwei knorrigen bäumen hängt und schaukelt und schaukelt.
manchmal darf der kleine junge einsteigen und dann sitzen sie dort, im schatten dieser knorrigen bäume und sie sprechen leise – und die sprache wäre für die anderen nicht verständlich. der große hat viel geduld mit dem kleinen jungen und manchmal ziehen sie los, hand in hand und gehen am strand entlang und kommen mit schätzen zurück, deren Wert sich den erwachsenen verschließt. der kleine junge ist glücklich.
am strand, der von einmaliger schönheit ist und in einer weiten bucht liegt, die vom ort nicht einsehbar ist , liegen die erwachsenen vormittags faul in der sonne oder schwimmen und der kleine junge spielt im wasser – geschützt durch ein hemdchen, das seinen kleinen po und seine kleinen beinchen frei läßt. seine haut hat sich schon leicht gefärbt und seine haare werden immer blonder. seine mutter führt stets ein besonderes essen für ihm mit, kleine gläser, mit wohlschmeckendem inhalt, der in der sonne schnell warm wird. wenn der kleine Junge hungerig wird , setzen sich beide in den schatten der felsen, er läßt sich füttern und genießt die nähe und die aufmerksamkeit. nach dieser mahlzeit ist er schläfrig und seine mutter legt sich bequem auf ein großes handtuch und der junge legt sich auf ihren bauch und ihre brust. er liebt diesen moment und genießt diese große nähe und seine Mutter wiegt ihn auf sich in den schlaf. meist fällt auch sie in einen leichten schlaf und gibt sich im rauschen des meeres hin und der liebe zu diesem kind, das, so geht ihr in diesen momenten durch den kopf, ein geschenk des himmels sein muß. eine große zärtlichkeit, eine tiefe verbundenheit, eine große wohligkeit umfängt sie beide.
nichts und niemand wird ihr dieses kleine wesen nehmen können und eines tages wird aus dem kleinen jungen ein schöner, kluger junger mann werden.... aber das sind da noch träume und die liegen in weiter, weiter ferne.
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Der kleine junge auf dem Foto an der Wand wurde nur 23 Jahre alt. Er ging am 1.7.2000 dorthin zurück, von wo er einst zu seiner Mutter in diese Welt gekommen war.
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Es ist spät geworden und mein Herz ist etwas ruhiger. Ich höre in die Nacht hinaus und bin immer wieder erstaunt, wie unglaublich still sie ist.. Nicht einmal die Nachtigall ist heute zu hören. Friede liegt über diesem Ort, an dem ich lebe und von dem Florian einmal schrieb, er wolle sich hier "verstecken", sollte das Leben ihn zu überfordern drohen.
Und ich denke an Eimears Worte, als wir an seinem Sarg knieend sein schlafendes Gesicht ein letztes Mal berühren: "He is home now" - "Er ist zu Hause"!
„Wieder und wieder muß unser Herz daran erinnert werden, daß alles, woran es hängt, von uns gehe wird, ja, daß es schon im Begriff ist, von uns zu gehen. Was das Geschick gegeben hat, besitze man mit dem Gedanken, man könne es jeden Augenblick verlieren. Schöpft in vollen Zügen Freude aus dem Leben mit euren Kindern, solange ihr könnt und lasset andererseits eure Kinder sich eurer Liebe erfreuen; ergreifet jede Freude ohne Aufschub, ihr wisset nicht, ob die kommende Nacht – doch ich habe zuviel gesagt – ob die nächste Stunde eurer ist. Eilen muß man, im Rücken droht der Tod. Plötzlich zerstreut sich das Gefolge, plötzlich wird zum Aufbruch geblasen, und das bisherige Zusammenleben hört auf. Das ganze Leben ist ein allgemeinen Raub du eine beständige Flucht. Und ihr Unglücklichen versteht nicht, auf der Flucht zu leben! Du trauerst darüber, daß dein Sohn starb: die Stunde, da er geboren wurde, ist schuld daran; bei seiner Geburt ward ihm der Tod bestimmt. Unter dieser Bedingung ward er dir gegeben; diesem Los ging er von Geburt an entgegen.
Wir stehen unter der harten, unbeugsamen Herrschaft des Schicksals und müssen nach dessen Willkür geduldig Verschuldetes und Unverschuldetes hinnehmen..... Das Schicksal ist eine launische, zügellose Herrin, die sich um ihre Sklaven nicht kümmert und die Strafen und Belohnungen am unrechten Orte austeilt“....
(Seneca)
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