Sonntag, 31. Oktober 2010

Halten



Halten
das heißt
Nicht weiter - nicht näher - nicht einen Schritt
oder heißt Schritthalten
ein Versprechen - mein Wort
oder Rückschau

Halten
dich
mich zurück - den Atem an - mich an dich
dich fest
aber nicht
dir etwas vorenthalten

Halten
dich in den Armen
in Gedanken - im Traum - im Wachen
Dich hochhalten
gegen das Dunkel
des Abends - der Zeit - der Angst

Halten
dein Haar mit zwei Fingern
deine Schultern - dein Knie - deinen Fuß
Sonst nichts mehr halten
keinen Trumpf - keine Reden
keinen Stecken und Stab und keine Münze im Mund

Erich Fried

Könnte ich Dich doch halten, nur einen Augenblick, nur Deine Hand - einen Moment!

Samstag, 30. Oktober 2010

Schweige und höre


Schweige und höre
Vielleicht geht dir
in der Mitte der Nacht ein Licht auf.
Vielleicht hörst du
unverhofft eine neue Botschaft.

Vielleicht ahnst du plötzlich
dass Frieden auf der Welt denkbar ist.
Vielleicht erfährst du schmerzhaft,
dass du Altes zurücklassen musst.
Vielleicht spürst du,
dass sich etwas verändern wird.
Vielleicht wirst du aufgefordert
aufzustehen und aufzubrechen.

Schweige und höre,
sammle Kräfte und brich auf,
damit du den Ort findest
wo neues Leben möglich ist.


Max Feigenwinter

Freitag, 29. Oktober 2010

Eigentlich



Eigentlich
sollte ich aufbrechen
aus der Enge
verbrauchter Gewohnheiten

Eigentlich
sollte ich aufhören
atemlos durch die Tage
zu rennen

Eigentlich
sollte ich mich weigern
fraglos zu funktionieren
und mich zu verschweigen


Eigentlich
sollte ich das Wort Eigentlich
streichen
um am Ende
nicht sagen zu müssen
Eigentlich hätte ich
leben wollen

Sabine Naegeli

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Das Meer des Todes


Das Meer des Todes trägt mit jedem Menschen,
den wir geliebt oder bewundert haben,
ein Fragment der Insel unserer Seele mit sich.

Anais Nin

Die Dunkelheit ertragen

Die Dunkelheit ertragen,
zulassen können
die durchweinten Nächte
und grauen Tage,
die Müdigkeit,
die hinabziehen will
in die ewige Nacht.

Irgendwann
zeigt sich wieder
ein Licht am Horizont,
werden Konturen sichtbar
von Bäumen und Gräsern,
von Hoffnung und Zuversicht.
Mit geweiteten Armen
wartet der neue Tag
auf dich.


Christa Spilling- Nöker
Foto: Veronika - vielen Dank!

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Ziel

Ob du dein Ziel
erreicht hast oder nicht,
lass es gut sein.
klopfe den Tag
von den Füßen.
Die Nacht fragt nicht

Sieh es als dein Recht an,
die Dinge ruhen zu lassen
und still zu stehen.

Sabine Naegeli

Dienstag, 26. Oktober 2010

Wo die Nebel brüten

Wo die Nebel brüten im Tal
unterm Herbstlaub
schwermütig lag ich...

Dein Antlitz ist ein Kornfeld
auf dem die Sonne liegt
und die Ähren schwer sind...

Wo dein Fuß über die Erde sprang,
holen die Lerchen ihren Jubel.
Dein Blut ist wie Wein von fernen Inseln,
die ruhelos wandern in blauen Wellen.

Wie der Frühling
geht deine Stimme über die Hügel
rührend an schlafenden Klängen.
Hoch schlägt es aus Tälern!

Ich möcht dir eine Blume schenken,
die immer duftet.

Dehmel, Paula (31.10.1862-1918)

Montag, 25. Oktober 2010

Sunrise


I've got to reach you
I've got to see you
Let the light shine down on me
When the day breaks
And the sky is changing colors
into something new
I want to see it with you
Sunrise
I want to see you again
Promise that you'll always stay
Sunrise

When the world is brand new
I want to see it with you
I want to touch you
I want to make you feel
Like you're the only one
In this world for me
I want to hold you
I want to make you see
That yesterday was long ago
And soon it will be
Sunrise

I want to see you again
Promise that you'll always stay
Sunrise
When the world is brand new
I want to see it with you
Cause I know we can't let this end
We can say all the sorries in the world
Just to be friends
There's nothing I want more
Than flying home
Just to meet you
Sunrise

Sunrise
I want to see you again
Promise that you'll always stay
Sunrise
When the world is brand new
I want to see it with you
Sunrise
I want to see you again
Promise that you'll always stay
Sunrise
When the world is brand new
I want to see it with you
Sunrise
I want to see you again
Promise that you'll always stay
Sunrise

http://www.youtube.com/watch?v=2m1avkbdwq0
Für Dich, Olivia und alle, die voller Sehnsucht sind...

Sonntag, 24. Oktober 2010

jedes mal

jedes mal
wenn ich jetzt an dich denke
entsteht in meinem Kopf
ein freier Raum
eine Art Vorraum zu dir
in dem sonst nichts ist
ich stelle fest
am Ende jedes Tages
dass viel mehr freier Raum
in meinem Kopf
übrig gewesen sein muß
als ich sonst glaubte

Erich Fried

Danke, liebe Andrea für den schönen Text
Danke, liebe Olivia für dies Gedenken - in Irland!

Samstag, 23. Oktober 2010

Lasse ihn ein, den neuen Tag

Lass ihn ein,

den neuen Tag,
den mühsalschweren
mit seinem grauen Gewand.
Bote ist er,
Anruf,
heute das Leben zu wagen.

Nicht der Tag macht dich arm,
der dir Last aufbürdet,
dem Schmerz
dich ausliefert.
Arm bleibst du nur,
wo du dich weigerst
zu lieben,
wo du dich wehrst,
das Unvollkommene
zu umarmen, den Kreuzweg
mitzugehen.

Fürchte nichts!
Unerschöpflich
sind die Quellen dessen, der sich dir zusagt
für jeden neuen Tag.
Verlasse dich nicht!
Begrabe den Schmerz,
der doch der deine ist,
nicht unter dem Felsgestein
der Vergessenheit,
denn unbeweint
kann er nicht HOFFNUNG gebären,
dich nicht
zu verborgener Quelle führen,
die dir Liebe verheißt.

Sabine Naegeli

Freitag, 22. Oktober 2010

Regenlied

Regenöde, regenöde
Himmel, Land und See;
Alle Lust ist Last geworden,
Und das Herz tut weh.

Graugespinstig hält ein Nebel
Alles Sein in Haft,
Weher Mut weint in die Weiten,
Krank ist jede Kraft.

Die Prinzessin sitzt im Turme;
Ihre Harfe klingt,
Und ich hör, wie ihre Seele
Müde Sehnsucht singt.

Regenöde, regenöde
Himmel, Land und See;
Alle Lust ist Last geworden,
Und das Herz tut weh.

Otto Julius Bierbaum (1865-1910)
eigentlich: Des Narren Regenlied (!)

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Grief

Grief remains one of the few things that has the power to silence us. It is a whisper in the world and a clamor within. More than sex, more than faith, even more than its usher death, grief is unspoken, publicly ignored except for those moments at the funeral that are over too quickly, or the conversations among the cognoscenti, those of us who recognize in one another a kindred chasm deep in the center of who we are.


Maybe we do not speak of it because death will mark all of us, sooner or later. Or maybe it is unspoken because grief is only the first part of it. After a time it becomes something less sharp but larger, too, a more enduring thing called loss.

Perhaps that is why this is the least explored passage: because it has no end. The world loves closure, loves a thing that can, as they say, be gotten through. This is why it comes as a great surprise to find that loss is forever, that two decades after the event there are those occations when something in you cries out at the continual presence of an absence.

"An awful leisure, " Emily Dickinson once called what the living have after death...

The landscapes of all our lives become full of craters as the surface of the moon... And I write my obituaries carefully and think about how little the facts suffice, not only to describe the dead but to tell what they will mean to the living all the rest of our lives. We are defined by who we have lost.

[Anna Quindlen, "Life After Death"]

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Für Lukas


Können Blumen schlafen? Ist der Mond ein Mann?
Bindet man im Hafen auch das Wasser an?

Fallen Sterne runter? Wem gehört der Wind?
Gehen Wellen unter? Warst du auch ein Kind?

Kann man Liebe malen? Gibt es bunten Schnee?
Wie erzählt man Zahlen? Warum tun Schmerzen weh?

Krieg' ich auch mal Sorgen? Guckt der liebe Gott?
Ist es weit bis morgen? Gibst du mir Kompott?

Weißt du kein Gedicht mehr? Werde ich bald groß?
Brauch ich dich dann nicht mehr?

Warum weinst du denn bloß?

Miriam Frances

Happy Birthday in Heaven, lieber Lukas
und eine Umarmung an Dich, liebe Andrea in Verbundenheit

Song for Lukas
http://www.youtube.com/watch?v=tRwGXz5qaqY&feature=related

Dienstag, 19. Oktober 2010

Wir sehen uns wieder


Wir sehen uns wieder,
mag es so sein!
Mein Glaube trägt mich
durch das Tal des Zweifelns.
Die Fenster werden
weit offen stehen,
doch zwischen uns
ist ein Gitter,
durchscheinend, und
auf den Wellen des Lichts
begegnen wir uns
im Rot des Nah-Seins
und im Weiß des Einen.

Rainer von Harnack
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Lieber Florian
zu Dir hin
im Kontinuum
im Eins-Sein
von Tod und Leben
davor und danach
gehen wir alle
schauen
mit anderen Augen
uns wieder
und auch Dich
lieber Mateo
Freunde seid Ihr

Rainer von Harnack

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Von Herzen Dank, lieber Rainer für diese schönen Texte!

Montag, 18. Oktober 2010

Für Florian




Ich bewege Dich in meinem Herzen

Ich habe Dich in mich aufgenommen,
du bist eine Gegenwart in mir.
Du begleitest mich wie die Bilder meines eigenen Lebens.
Ich höre Dich in mir sprechen.
Ich lasse Dein Wesen mein Wesen durchziehen.
Augenblicke lang teile ich eine Seele mit Dir.
Ich bewege Deine Gedanken, Deine Worte, Deine Blicke
als wären sie Brot und Wasser in mir.

Dabei übe ich,
Dich nicht gefangen zu setzen.
Ich will Dich nicht besitzen
und nicht über Dich verfügen.
Du sollst ein Haus in mir haben
zu dem Du selbst den Schlüssel hast.
Du sollst Dich in der Wohnung in mir wohl fühlen.
Nur wenn Du frei bleibst,
bleibe auch ich frei.

(Ulrich Schaffer)

Ich danke Euch von ganzem Herzen für Eure Loyalität, für Euer Gedenken, für Eure Anteilnahme, für Eure Worte,für die zahllosen Kerzen - dies alles hat mich durch den Tag getragen. Ein kleines Wunder! Vielen, vielen Dank!
Gabriele

Wir lassen nie vom Suchen ab



Wir lassen nie vom Suchen ab,
und doch, am Ende allen unseren Suchens,
sind wir am Ausgangspunkt zurück
und werden diesen Ort zum ersten Mal erfassen.

(T.S. Eliot)

Danke, lieber Alexander, für diesen schönen Text.
Hab ein gutes Leben!

Sonntag, 17. Oktober 2010

A little star was born



Florian
geboren 17.10.1976
um 11.27 Uhr
Größe 54 cm
Gewicht 3.600 g
Haare viele und dunkel
Ohren klein und anliegend
Augen blau
Kopfumfang 40 cm
Mund breit
Stimme piepsend
Geburtsort Klinikum Steglitz in Berlin

http://www.youtube.com/watch?v=mWHYjdxYb94&feature=related

Gibt es jemanden dort, der Dich für mich in seine
Arme nimmt, Florian?

Ist jemand da, wenn dein Flügel bricht
Der ihn für dich schient,
Der dich beschützt
Der für dich wacht,
Dich auf Wolken trägt
Für Dich die Sterne zählt,
Wenn du schläfst ?

Brauchen Engel dies alles nicht mehr?


Ich bin so traurig, dass Du nicht bei uns bist und ich bin so glücklich, dass Du 23 Jahre bei uns warst. Danke, Florian, dass ich Deine Mutter sein durfte und ich bleibe es, solange ich lebe!
Ich liebe Dich - ohne Anfang und ohne Ende - mein Sohn.
Happy Birthday in Heaven!
Mom

Samstag, 16. Oktober 2010

Die Geburt

Die Geburt ist nicht ein augenblickliches Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang. Das Ziel des Lebens ist es, ganz geboren zu werden, und seine Tragödie, dass die meisten von uns sterben, bevor sie ganz geboren sind. Zu leben bedeutet, jede Minute geboren zu werden. Der Tod tritt ein, wenn die Geburt aufhört

Erich Fromm
Bild: Paula Modersohn-Becker

Die Fahrt ins Erinnern


Die Fahrt ins Erinnern

Die Fahrt zu dir
zum Geburtstag ans Grab
eine Fahrt ins Erinnern
wo Zeit und Raum zerfließen
bleibt unauflösbar
ein Lächeln ein Gruß
eine Geste ein Wort
bleibt ein Gegenüber
deutlicher denn je

A. Schnitt

http://www.youtube.com/watch?gl=DE&feature=related&hl=de&v=iFIM7ZwnSFY

Vor 34 Jahren - um diese Zeit -  hatte Florians Geburt bereits begonnen.. 36 Stunden haben wir beide um sein Ankommen gerungen und gelitten... bevor er durch  Kaiserschnitt zur Welt kam.. mein armer, kleiner Junge!
All meine Gedanken sind heute in diesen Tagen und heute werden wir Florians "little garden" schmücken und mit viel Licht erhellen. Ich bin so traurig, aber die Trauer trägt meine Liebe in ihren Armen.
I've seen heaven in your eyes, Florian und schon dafür hat sich alles gelohnt!

Freitag, 15. Oktober 2010

Trauerwelle

Ich spüre sie kommt
größer als sonst
wird sie mir dieses Mal
wieder die Beine wegreißen?

Ich habe Angst vor der drohenden Welle
mitgerissen und untergetaucht zu werden
herabgesogen in den Strudel
oben
unten
nur Dunkelheit
Ruhe
Frieden
einfach nur Nichts

Ich weiß
ich muss es
erdulden
ertragen
zulassen
mich treiben lassen
dem Schmerz mich hingeben
Vertrauen schöpfen
sie wird mich wieder loslassen
und sanft an den Strand spülen

Hoffen
es wird weniger
Wissen
es wird nie ganz aufhören

(Pirko Lehmitz)

Wenn Ihr mögt, könnt Ihr Florian  wieder eine Kerze anzünden. Ich würde mich freuen!
http://tagesspiegel.trauer.de/Florian-Gérard/Gedenken/260839.html

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Riverside

Ich war unterwegs und im Radio lief ein Song, der mich elektrisierte:  Riverside!
http://www.youtube.com/watch?v=O80rNK6AUbQ&feature=related
Schön, leicht, melancholisch - genau das richtige Lied zu Florians Geburtstag!
Ich fühle mich beschenkt und bin traurig.

Foto: Florian am 17.10.1998, seinem 22igsten Geburstag. Er war für einige Tage nach Berlin gekommen.
Wir waren umgezogen, Florian war neugierig auf das neue Haus - und wir waren glücklich, ihn endlich einmal wieder zu seinem Geburtstag bei uns zu haben.. der letzte gemeinsame...

Wie du in mir noch lebst

Wie du in mir noch lebst,

bin ich mit dir gestorben.
Wie sich ein Teil von dir
noch regt in meinem Tun,
so will ein Stück von mir
in deinem Frieden ruhn.
Wie du noch Heimat hast
durch mich in dieser Welt,
so wird im andren Land
durch dich mein Haus bestellt.

(Lily Sauters)

Die Tage vor Florians Geburt... Der Sommer hat sich zurückgezogen - und dem Herbst Platz gemacht.
Das Laub wird täglich bunter - und ich erinnere den Blick aus den Klinikfenster auf die bunten Wipfel der Laubbäume. Und ein Wunder war geschehen: ich war Mutter geworden! 
In diesen Tagen wenden sich die Blicke zurück - zurück um 34 Jahre!

Mittwoch, 13. Oktober 2010

The Garden of Love

The Garden of Love

I went to the Garden of Love,
And saw what I never had seen;
A Chapel was built in the midst,
Where I used to play on the green.

And the gates of this Chapel were shut
And "Thou shalt not," writ over the door;
So I turned to the Garden of Love
That so many sweet flowers bore.

And I saw it was filled with graves,
And tombstones where flowers should be;
And priests in black gowns
were walking their rounds,
And binding with briars
my joys and desires.

William Blake


Der Garten der Liebe

Ich begab mich zum Garten der Liebe
und sah, was noch nie ich gesehn:
Eine Kirche erricht' in der Mitte,
wo ich pflegte spielen zu gehn.

Und die Pforte der Kirch' war verschlossen
und "Du Sollst Nicht" graviert überm Tor:
So ging ich zum Garten der Liebe,
wo Blumen blühten zuvor.

Und ich sah ihn gefüllt mit Gräbern
und statt Blumen Grabsteine nur,
wo schwarze Pastoren,
dem Rundgang verschworen,
mit Dornzweigen fangen
mein Lust und Verlangen.

William Blake
Übersetzung: Walter A. Aue

Dienstag, 12. Oktober 2010

Euer Ich

                              
Euer Ich ist nicht eingekerkert
in euren Leib, noch ist es beschränkt
auf eure Häuser und Felder.
Euer wahres Selbst weilt über dem Berg
und streift mit dem Wind.
Er ist ein freies Wesen, ein Geist,
der die Erde umspannt
und sich im Weltall bewegt.


Khalil Gibran

Foto: Christiane G.

Montag, 11. Oktober 2010

Denn was grenzenlos ..


Denn was grenzenlos in euch ist,
wohnt im Palast des Himmels,
und seine Tore sind
die Nebelschleier des Morgens
und seine Fenster
das Singen und Schweigen der Nacht.

Khalil Gibran

Sonntag, 10. Oktober 2010

Der kleine Prinz

´
"Da der kleine Prinz einschlief, nahm ich ihn in meine Arme und machte mich wieder auf den Weg. Ich war bewegt. Mir war, als trüge ich ein zerbrechliches Kleinod. Es schien mir sogar, als als gäbe es nichts Zerbrechlicheres auf der Erde. Ich betrachtete im Mondschein diese blasse Stirn, diese geschlossenen Augen, diese im Wind zitternde Haarsträhne, und ich sagte mir: Was ich da sehe, ist nur eine Hülle. Das Eigentliche ist Unsichtbar...

Da seine halbgeöffneten Lippen ein halbes Lächeln andeuteten, sagte ich mir auch: Was mich an diesem kleinen eingeschlafenen Prinzen so sehr rührt, ist seine Treue zu einer Blume, ist das Bild einer Rose, das ihn durchstrahlt wie die Flamme einer Lampe, selbst wenn er schläft...Und er kam mir noch zerbrechlicher vor als bisher. Man muß die Lampen sorgsam schützen: ein Windstoß kann sich zum Verlöschen bringen..."

aus: Der kleine Prinz
St. Exupéry

Samstag, 9. Oktober 2010

Tagesboote

                          
Tagesboote

stechen in See
wagen den Weg
durch die Wellen
hoffen auf Wind
tragen Träume
tagaufwärts ins Licht

Unter der Wölbung
des Himmels
werweißwieviel
Hoffnung

A. Schnitt

Freitag, 8. Oktober 2010

Auf Vogelschwingen..

Auf Vogelschwingen fliege ich in längst vergangene Zeiten
getragen voller Zärtlichkeit, enthüllend tiefe Weiten.
Manch Augenblicke stehen still im Lauschen schöner Träume
verlierend finde ich mich dort weit über Zeit und Räume

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Beim Öffnen des Fensters

Beim Öffnen des Fensters

flog es mir zu
das lachende Herbstblatt
wie zum Gruß am Morgen
wie zur Zwiesprache
im Flüsterton von Farben
federleicht der Pinselstrich
des zärtlichen Zuspruchs
für den neuen Tag
A. Schnitt

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Erntedank-Mediatation



Frühling und Sommer habe ich durchschritten,
Aussaat und Wachstum,
Reifen und Ernten habe ich erlebt,
Wünschen und Planen,
Entstehenlassen und Arbeiten.

Jetzt ist die Zeit gekommen,
anzuschauen, was sich ereignet hat,
die Spreu vom Weizen zu trennen,
dem Abschied und dem Innewerden Raum zu geben.

Im Rückblick erkenne ich manches genauer,
sehe, wo Regen und Sonne für mich nötig waren.
Im Rückblick erlebe ich die Fülle des Sommers noch einmal
Oder den Schmerz um nicht gelebtes Leben.

Vor mir liegt,
was mein Leben reich macht,
was mich erfüllt
und was ich bewahren möchte einen Winter lang:
eine schöne Begegnung,
ein neues Lied,
ein schöner Stein,
eine Muschel,
eine Feder…..

Ich bin dankbar,
denn es ist reichlich da für mich.

Wunderschön! Danke, liebe Veronika!

Dienstag, 5. Oktober 2010

Berühre deine Stärke


Berühre deine Stärke,
die Quelle deiner Energie.
Vieles macht dich müde,
schläfert dich ein und reibt dich auf.
Was macht dich stark?
Wo wirst du schöpferisch,
was wirft Licht auf deinen Weg?
Wo beginnen deine Augen zu leuchten?
Worüber vergisst du die Zeit ganz?
Du darfst deine Kraftquelle
nicht aus den Augen verlieren.
Kehre dich dem zu,
was dich aufbaut.

Ulrich Schaffer

Foto: Ausschnitt Grabmal auf dem Stahnsdorfer Friedhof

Montag, 4. Oktober 2010

Tiziano Terzani




"Wenn Du es Dir genau überlegst - und das ist ein schöner Gedanke, den natürlich schon viele angestellt haben -, ist die Erde, auf der wir leben, im Grunde ein riesiger Friedhof. Ein immens großer Friedhof all dessen, was gewesen ist.

Wenn wir anfangen würden zu graben, fänden wir überall zu Staub zerfallene Knochen, die Überreste des Lebens. Kannst du dir vorstellen, wie viele Abermilliarden von Lebewesen auf dieser Erde gestorben sind? Die sind alle da! Wir laufen ständig über einen unendlich großen Friedhof. Das ist seltsam, denn wir stellen uns Friedhöfe immer wie Orte der Trauer vor, Orte des Leidens, der Tränen. Dieser immense Friedhof aber, die Erde, ist wunderschön! Mit all den Blumen, die darauf wachsen (...) "

Tiziano Terzani
Das Ende ist mein Anfang

Spaziergang auf dem Stahnsdorfer Waldfriedhof

Sonntag, 3. Oktober 2010

Und ich weiß jetzt..


...Und ich weiß jetzt: wie die Kinder werde.
Alle Angst ist nur ein Anbeginn;
aber ohne Ende ist die Erde,
und das Bangen ist nur die Gebärde,
und die Sehnsucht ist ihr Sinn.

Rainer Maria Rilke

Samstag, 2. Oktober 2010

Lesung: Vom Atmen unter Wasser

Lisa-Marie Dickreiter und Andrea Sawatzki
Nun habe ich ein von beiden signiertes Exempar... und bin reicher um einen wirklich "wunder"voller Leseabend.
Sehr eindringlich und eindrücklich las Andrea Sawatzki und stelle Lisa - in ihrer Bescheidenheit -dennoch nicht in den Hintergrund. Eingespielte Szenen aus dem Film rundeten das Bild und die Eindrücke ab. Danke Lisa-Marie Dickreiter noch einmal für dieses Buch!
Hier eine Leseprobe für Euch:
SIMON

Mit sieben Jahren beschloss ich, meine kleine Schwester für immer loszuwerden.
Wir saßen allein in der Küche. Sarah in ihrem Laufstall, für den sie längst zu alt war, und ich am Tisch vor meinem Müsli. Wo meine Mutter an diesem Morgen war, weiß ich nicht, und auch nicht, was sie getan hat. Vielleicht goss sie draußen im Garten die Beete, bevor die Sonne zu hoch dafür stand. Vielleicht hängte sie die Wäsche auf. Wir haben nie darüber gesprochen.
An alles andere erinnere ich mich noch ganz genau: An Sarah, die im Laufstall ihre Puppe mit Papierschnipseln fütterte und dabei unaufhörlich vor sich hinplapperte.
„Und ein Hapa für Mama. Baby Simon.“
„Und ein Hapa für Papa, Baby Simon.“
An meine dampfende Kakaotasse, die unerreichbar auf dem Küchenschrank stand, und die ich erst bekommen würde, wenn ich das Müsli aufgegessen hatte. Das Müsli. Eingelegte Körner, von meiner Mutter am Vorabend geschrotet, dazu geriebene Äpfel, zermatschte Bananen und Sanddornsaft. Jeden Löffel würgte ich in Zeitlupentempo hinunter. Die Bananenstückchen waren schon ganz braun und fühlten sich auf der Zunge wie schleimige Schnecken an, doch ich traute mich nicht, mein Müsli noch einmal ins Klo zu kippen. Es würde bestimmt wieder was an der Brille oder am Deckel kleben bleiben, das mich meiner Mutter verriet.
Der nächste Löffel. Ich hielt mir die Nase zu und schob ihn in den Mund. Schluckte, ohne zu kauen.
„Simi Hapa.“ Sarah klatschte und strahlte mich durch das Holzgitter hindurch an. Ich streckte ihr die Zunge raus. Ein Bananenstückchen fiel auf den Flickenteppich und ich trat es mit meinen Strohschuhen fest. Ich hätte viel lieber Cornflakes gegessen, aber die bekam nur noch Sarah, weil ich für die Schule ein lang anhaltendes, energiereiches Frühstück brauchte. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie sich auf dem Boden wälzte und schrie. Und ich nicht.
Ich spähte durch das Küchenfenster in den Garten hinaus.
Meine Mutter war immer noch nicht zu sehen.
Ich lauschte.
Meine Mutter war immer noch nicht zu hören.
„Und ein Hapa für Sarah, Baby Simon.“
Auf einmal wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich ließ den Löffel ins Müsli fallen und sprang vom Stuhl. Rasch klaubte ich das Milchgeld und einen Lolli aus der Tonschale. Dann hievte ich Sarah aus dem Laufstall. Zweimal rutschte sie mir aus den Armen und plumpste auf den Boden zurück. Sie war schwer und das Holzgitter hoch.
„Komm“, sagte ich, als ich sie und Baby Simon endlich draußen hatte, „ich zeig dir was.“
Ich steckte meine Pocketkamera ein, ohne die ich damals nirgendwohin ging, nahm Sarah an die Hand, und schon waren wir zur Haustür raus und liefen die Straße zur Bushaltestelle hinunter, so schnell es ihre kurzen Beine erlaubten. Auf der Bank wartete bloß eine alte Frau, die in einer Zeitung blätterte und nicht zu uns herübersah. Ich zog Sarah zum Fahrplan, der an der Seitenwand des Unterstandes hing. Viel zu weit oben und nichts da, worauf ich hätte klettern können. Ich versuchte es mit Hüpfen, aber das brachte nichts. Mal stieß ich gegen den Mülleimer, mal schrammten meine nackten Knie die Seitenwand entlang.
„Frosch.“ Sarah kicherte und schlenkerte Baby Simon auf und ab.
Die Zeitung raschelte.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und reckte den Kopf in die Höhe. So konnte ich am unteren Rand der Tafel ein paar Ortsnamen lesen. Es dauerte, bis ich sie entziffert hatte. Ich ging in die zweite Klasse und Lesen war nicht gerade meine Stärke, doch jetzt gab ich mir alle Mühe, denn ich musste den richtigen Ort aussuchen. Sarah zappelte an meiner Hand.
„Lass das.“ Ich hielt ihr den Lolli hin.
Dann konzentrierte ich mich wieder auf die Ortsnamen. Ich brauchte einen, den ich noch nie zuvor gehört hatte, einen, der so klang, als wäre er weit weg von meinem Zuhause. Weit genug für eine Dreijährige.
Kirchzarten.
Buchenbach.
Sankt Peter.
Wagensteig.
Sankt Märgen.
Seelgut.
Ich entschied mich für Bus Nummer Neunzehn. Beim Einsteigen half ich Sarah. Die Stufen waren hoch, und ich hatte Angst, dass sie stolpern und dann zu heulen anfangen könnte.
„Zwei Mal nach ... Sankt ... Märgen ... Bitte.“ Ich hielt die Luft an. Hoffentlich hatte ich es richtig ausgesprochen.
„Zwei Mal Sankt Märgen.“ Der Busfahrer nickte und drückte ein paar Knöpfe an seiner Kasse. „Das macht drei Mark für dich, junger Mann. Deine Schwester kostet noch nichts.“
Drei Mark!
Die Münzen in meiner Faust fühlten sich viel zu leicht an.
„Ich will. Ich will.“ Sarah ließ Baby Simon fallen und zerrte an meinem Arm. Ich schüttelte ihre Hände ab.
„Ich will.“ Sie verzog den Mund zu einer weinerlichen Schnute. Also gab ich ihr das Milchgeld und sah zu, wie sie die einzelnen Münzen umständlich auf den Zahlteller legte. Niemand im Bus wurde ungeduldig. Nicht einmal die alte Frau auf den Stufen hinter uns, die schwerfällig schnaufte.
„Na, du kleiner Sonnenschein.“ Der Busfahrer lächelte, so wie alle Leute bei Sarah lächelten. Seine dicken Finger wischten die Münzen vom Zahlteller.
Drei Mark!
Wie gebannt starrte ich auf die Busfahrerlippen, die sich lautlos bewegten.
„Das ist zu viel.“ Er reichte mir ein Fünfzig-Pfennig-Stück.
„Danke“, sagte ich, „vielen Dank.“
Noch ein Knopfdruck und aus der Kasse schob sich ratternd eine grüne Fahrkarte. Ich hob Baby Simon auf, nahm Sarah an die Hand und setzte mich mit ihr auf einen Platz in der hintersten Reihe.
„Meins!“ Sie versuchte meine Finger aufzubiegen, die ich um das Fünfzig-Pfennig-Stück geschlossen hatte. Ihre Hände waren warm und klebrig. „Ich will das haben!“
Für fünfzig Pfennig konnte ich mir bei Frau Seger einen Schokoladenhalbmond kaufen. Oder eine Capri-Sonne. Mein Mund war ganz trocken, und ich hatte schrecklichen Durst.
„Ich will das haben. Ich!“ Sie wurde laut.
„Schon gut.“ Ich öffnete meine Faust. Sarah grapschte sich das Fünfzig-Pfennig-Stück und steckte es in die Brusttasche ihrer Latzhose.
„Meins“, sagte sie noch einmal.
„Ja, ja, deins.“ Ich wischte meine klebrigen Finger am Sitzpolster ab, dann bückte ich mich und band ihr ein letztes Mal die Schnürsenkel zu. Vorsichtshalber machte ich Doppelknoten.
„Willst du da hinfahren, wo der kleine Bär und der kleine Tiger wohnen?“, fragte ich leise. Sarah nickte wild.
„Nach Panama“, rief sie und klatschte. Baby Simon fiel wieder auf den Boden. Ein paar Köpfe drehten sich zu uns um. Blicke streiften mich. Ich spürte, wie ich rot wurde.
„Genau“, flüsterte ich und hob Baby Simon auf. „Und weißt du was? Der Bus hier fährt nach Panama.“
Sarah strahlte mich an, und in diesem Moment verlangsamte der Fahrer das Tempo. Die nächste Haltestelle. Ich sprang von meinem Platz.
„Bleib schön sitzen“, sagte ich und stieg aus. Sarah winkte mir durch das Rückfenster zu. Ich winkte zurück und zog die Pocketkamera aus der Jackentasche.
Der Bus stand und stand.
Sarah winkte und winkte.
Endlich leuchtete der Blinker auf, der Auspuff gab ein tiefes Röhren von sich und blies mir warme, stinkende Luft ins Gesicht. Ich drückte mein rechtes Auge auf den Sucher, aber vor lauter Aufregung kniff ich es genauso fest zu wie das linke. Alles verschwamm, löste sich in helle und dunkle Schemen auf, und nur das ratschende Geräusch des Rädchens, mit dem ich Foto für Foto weitertransportierte, sagte mir, dass sich Sarah aus meinem Leben entfernte.
Ich knipste, bis mir die Arme weh taten. Dann ließ ich die Pocketkamera sinken und schaute mich um. Autos fuhren an mir vorbei, an der Haltestelle unterhielten sich zwei Frauen, und gegenüber, auf der anderen Straßenseite, ging ein Mann mit seinem Hund spazieren. Niemand beachtete mich, niemand hatte etwas bemerkt.
Ich war Sarah losgeworden!
Wie einfach!
Ich hob den Arm mit der Pocketkamera wieder hoch und streckte ihn so weit von mir weg, wie ich konnte. Dann knipste ich mich selbst. Drehte das Rädchen. Knipste. Nach fünf Fotos war Schluss. Ich verstaute die Pocketkamera in meiner Jackentasche, machte kehrt und hüpfte die Straße entlang. Doch anstatt gleich nach Hause zu laufen, schlug ich einen Umweg nach dem anderen ein.
Ich brauchte Zeit.
Ich brauchte eine Geschichte. Eine Geschichte, die Sarahs Verschwinden erklären und meine Eltern beruhigen würde.
Ich schwitzte.
Ich lief und lief.
Als ich am Hof vom alten Ibele vorbeikam und ihm zusah, wie er mit einer Stange im Plumpsklo herumstocherte, fielen mir Pelle und Lotta ein. Natürlich! Dass ich da nicht früher dran gedacht hatte!
Pelle zieht in ein Klohäuschen.
Lotta zieht in eine Rumpelkammer.
Beide Bücher hatte ich nicht besonders gemocht. Ich fand sie langweilig, so ganz ohne Drachen und Räuber und Ritter, aber wie froh war ich jetzt, dass ich sie für die Schule hatte lesen müssen. Zusammen mit meiner Mutter. Sie wusste also auch, dass kleine Kinder manchmal ihre Familien verlassen und wegziehen. Ohne großen Grund. Und Sarah war heute Morgen eben ohne großen Grund nach Panama gezogen.
Jetzt traute ich mich nach Hause.
Ich hüpfte.
Ich sprang.
Ich sang.
Ich öffnete das Gartentürchen. Auf unserer Treppe stand eine fremde Frau. An der einen Hand Baby Simon, an der anderen meine Schwester mit einem großen Eis. So langsam wie möglich durchquerte ich den Garten, doch die Minischritte nützten nichts. Meine Mutter kam mir entgegen. Sie sagte kein Wort.
Jetzt konnten mir weder Pelle noch Lotta helfen.
Sie packte mich und verpasste mir eine Ohrfeige. Die erste meines Lebens. Dann ließ sie mich stehen.
Sarah winkte mir zu.
Sarah schleckte an ihrem Eis.
Sarah plapperte aufgeregt vor sich hin.
Ich hielt mir meine schmerzende Wange und begriff, dass ich mit meinem Versuch, sie loszuwerden, zu lange gewartet hatte: Sie konnte unsere Adresse schon auswendig.

Freitag, 1. Oktober 2010

Lesung Lisa-Marie Dickreiter

»Lisa-Marie Dickreiter zeigt uns, was es bedeutet,wenn eine Familie trauert – in einem erschütterndenRoman [...] Was es mit dem Tod auf sich hat, wissen wir aus dem einen oder anderen Buch. Wer aus zweiter Hand erfahren will, was Trauer ist, der lese diesen in jeder Hinsicht meisterhaften Roman.«FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG




Heute ist die erste Lesung hier in Berlin von Lisa-Marie Dickreiters Buch
"Vom Atmen unter Wasser" mit Andrea Sawatzki.

1. Oktober 2010 um 20 Uhr im Heimathafen Neukölln
Karl-Marx-Str. 141, 12043 Berlin
Eintritt: VVK 8 Euro / AK 10 Euro
Tickethotline 030 56 82 13 33 http://www.heimathafen-neukoelln.de/

Die Lesung von Lisa-Marie Dickreiter, die ich - zusammen mit den Verwaisten Eltern Berlin - organisiert habe, ist am 4. November 2010.


4. November 2010 um 20 Uhr
Café BilderBuch, Beletage (1.OG)
Akazienstr. 28, 10823 Berlin-Schöneberg
Eintritt: frei

Ich möchte das Buch auch noch einmal sehr ans Herz legen.

Himmel + Erde

Wo Himmel und Erde sich berühren

Es waren einmal zwei Mönche, die lasen miteinander in einem alten Buch, am Ende der Welt gäbe es einen Ort, an dem Himmel und Erde sich berührten und das Reich Gottes beginnen würde. Sie beschlossen, ihn zu suchen und nicht umzukehren, ehe sie ihn gefunden hätten. Sie durchwanderten die Welt, bestanden unzählige Gefahren, erlitten alle Entbehrungen, die eine Wanderung durch die Welt fordert, und alle Versuchungen, die einen Menschen von seinem Ziel abbringen können. Eine Tür sei dort, so hatten sie gelesen. Man brauchte nur anzuklopfen und befände sich im Reich Gottes. - Schließlich fanden sie, was sie suchten. Sie klopften an die Tür, bebenden Herzens sahen sie, wie sie sich öffnete. Und als sie eintraten, standen sie zu Hause in ihrer Klosterzelle und sahen sich gegenseitig an. Da begriffen sie: Der Ort, an dem das Reich Gottes beginnt, befindet sich an der Stelle, die Gott uns auf Erden zugewiesen hat.

Aus: Peter Bleeser (Hg.): Geschichten für Sinndeuter, Düsseldorf 1984, S.61.