Freitag, 21. Dezember 2012

Weihnachtsritual



Dietrich Bonhoeffers Schwester Sabine berichtet von einem Ritual aus ihrem Elternhaus:
„Weihnachten 1918 ist alles sehr schwer. Unser Bruder Walter fehlt.
Er, der zweitälteste Sohn meiner Eltern, ist am 28.April 1918 als achtzehnjähriger Fahnenjunker im Westen gefallen.
Eine schreckliche Lücke ist nun da, und sie bleibt offen.
An diesem Weihnachtstag sagt unsere Mutter:“ Wir wollen nachher hinübergehen.“
Das Hinübergehen heißt, wir gehen alle auf den Friedhof.
Mama und Papa sind vorher noch einmal ins Wohnzimmer gegangen
und haben einen Tannenzweig vom Baum geschnitten mit einem Licht und Lametta
und nehmen diesen Weihnachtszweig für das Grab von Walter mit.
Auch in den folgenden Jahren ist es zu Weihnachten bei diesem Friedhofsgang geblieben.“
Weihnachten hatte sein „Heilsein“ verloren, wie das Loch im Baum allen zeigte.
Die Lücke war nicht verleugnet. Sie wurde nicht überdeckt.
Zugleich gab es für die Eltern und die anderen Geschwister eine Verbindung vom Baum zum Grab, von Feier zu Friedhof.
Manche Trauernden haben dieses Ritual der Bonhoefferfamilie dankbar aufgenommen
und inzwischen selber gestaltet.
Sie berichten, es habe ihnen geholfen, Tod und Leben in Beziehung zu bringen,
ohne dass sie Weihnachtsstimmung heucheln mussten.
Auch Kinder verstehen dieses Ritual.
In einer Familie hat der kleine Bruder des gestorbenen älteren Bruders ein Bild in die Lücke des Baumes gestellt.
„Für Klaus,“ hat er gesagt.
Das Bild ist dort geblieben, bis der Weihnachtsbaum vertrocknet war.

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