Mittwoch, 1. Juli 2009

Stairway to Heaven


http://www.youtube.com/watch?v=o3Ki9rBuVXQ


Ich erinnere mich, ich möchte und muss mich erinnern und ich möchte Euch erzählen von dem letzten Tag, den Florian hier bei uns auf Erden verbringen durfte.

Es gibt zwei traurige Schauplätze an diesem Tag: Dublin und Berlin.

Dublin 1. Juli 2000

Der 1. Juli 2000 war ein Sonntag. Nach der Rückkehr aus Berlin am Montag, waren Eimear und Florian bis Mittwoch bei Eimears Eltern. Dann zog es sie zurück nach Dublin in ihr Zuhause.

Gegen 18.00 Uhr am 1. Juli 2000, saßen Florian und Eimear beim Abendessen. Sie hatten einen ruhigen Sonntag verbracht. Eimear hatte sich nachmittags mit jemandem aus ihrer Klasse getroffen (widerwillig, wie sie sagte, Florian hatte sie ermutigt, die Verabredung einzuhalten). Florian blieb zu Hause und war ganz dankbar, die Wohnung und die Ruhe für sich und sein Lernen zu haben. Eimear hatte ihn gebeten, sie um 15.00 Uhr auf ihrem handy anzurufen und sie "loszueisen" von dem Termin, was er dann tat. Florian holte sie in der Rathmines Road vom Bus ab. Eimear liebte es, wenn sie Florian bereits vom Bus aus anrufen konnte und er ihr entgegen kam. Nachts tat er dies grundsätzlich. Tags dann, wenn sie ihn darum ausdrücklich darum bat.

Die Koffer aus Berlin waren gerade erst ausgepackt und es lag überall Wäsche herum, als Eimear die Wohnung verließ. Als sie zurück kam liefen unten im Haus die (Gemeinschafts-)Waschmaschine und der Trockner und alles war aufgeräumt ... Eimear liebte Florian's Ordnung sehr...Florian nahm ihre Unordnung liebevoll hin.

Sie bestellten sich Pizza und aßen sie - auf Eimear’s Wunsch - mit Stäbchen... Eimear ließ keine Gelegenheit aus, mit Stäbchen essen zu lernen. Florian beherrschte es wohl bereit perfekt. Im Radio liefen die Nachrichten, sodass sie sich zeitlich später orientieren konnte....

Florian stand nach dem Essen auf, um die restliche Wäsche von der Maschine in den Trockner zu werfen. Er rannte die Treppen in den Keller und kam gleich wieder zurück, weil er den "coin" vergessen hatte. Er nahm ihn, drehte sich in der Tür noch einmal um und lachte Eimear zu. Dann lief er erneut in den Keller. Eimer wartete auf sein Zurückkommen.... Sie hörte plötzlich einen dumpfen Schlag, ein Geräusch des Sturzes und rannte aus der Wohnung. Florian lag auf dem Treppenabsatz, ausgestreckt, den Kopf zur Wand gedreht..
Eimear erkannte sofort, dass etwas Schreckliches geschah, sie schrie um Hilfe, verständigte
einen Rettungsdienst und sie begann, Florian zu beatmen. Sein Sterben hatte begonnen......und sie ahnte es und sie konnte es nicht aufhalten. Sie kniete bei ihm, sagte ihm, dass sie ihn liebe, dass wir alle ihn lieben... und sie musste zusehen, wie er diese Welt für immer verließ. Florian starb in Eimear’s Armen zwischen 18.25 und 18.45 Uhr.

Sterben.....
Augenblick, in dem Himmel und Ede, Diesseits und Jenseits,
sichtbare und unsichtbare Welt sich berühren...
Augenblick, in dem Dunkelheit und Licht, Ende und Neubeginn,
Zeit und Ewigkeit sich still begegnen...
Augenblick, in dem nur noch die Liebe zählt.


Nichts und niemand hätte ihn retten können - sein irdischer Weg hat hier geendet: Auf einem weichen, roten Teppich im Treppenhaus seiner Dubliner Wohnung. Tausende Male habe ich dieses Bild im Kopf gemalt und ich werde es immer erinnern..... wieder und wieder....



Berlin, 1. Juli 2000

Es ist unser Hochzeitstag, unser siebter und ein sonniger, warmer Julitag. Nach dem Frühstück schlägt Hans-Jürgen vor, am Fluss entlang zu „walken“, wie wir es regelmäßig an den Wochenenden tun. Heute ist es anders: Ich fühle mich nicht gut, ich bin bedrückt, mein Herz schmerzt, es macht mir fast angst und ich laufe langsam....ich bin beunruhigt.
Dieser Druck bleibt, ich kann ihn nicht einordnen in diesen Tag, der doch unser Glückstag ist:
Ich liebe Hans-Jürgen, unser Leben ist so gut und so schön geworden.... Ich kann das Glück nicht spüren, ich vermisse es.
Ich möchte mit Florian sprechen, ihn anrufen, gehe diesem Impuls nicht nach... morgen ist
doch Sonntag und sonntags ruft er an! Wir haben, seit er zurück in Irland ist, nur einmal ganz kurz gesprochen. Mittwoch hat er mich im Büro angerufen, er war soeben in die Wohnung zurückgekehrt und fand dort die Post von College: seine Noten – und sie sind phantastisch.
Er möchte sie mir nur kurz mitteilen, Sonntag sprechen wir weiter....
Ich freue mich schrecklich über den Anruf und sage zu ihm: „I’m so proud of you, I am
so proud, Florian!” …. Das waren die letzten Worte, die ich zu meinem Sohn sprach!

Nachmittags sind wir im Garten, es ist heiß geworden, Hans-Jürgen liegt im Schatten unter den großen Bäumen, mich treibt eine schreckliche Unruhe. Wir wollen abends Essen gehen und... zum ersten Mal einen Sparziergang durch die Glaskuppel des Reichstages machen...
Gegen 18.00 Uhr stelle ich mir einen Stuhl auf die Terrasse am Haus... In mir ist eine große Traurigkeit, unerklärbar, schmerzend. Ich sitze dort auf diesem Stuhl mit Blick über den Garten, auf den Fluss. Ich habe keine Tränen, sehne mich danach, weinen zu können, ich bin desorientiert, weiß nicht, warum ich das Glück des Tages nicht spüre...
Hans-Jürgen reißt mich aus meinen Gedanken, wir brechen auf und ich erzähle ihm auf dem Weg von meinen Gefühlen, von meinem Wunsch, weinen zu können......

Als wir gegen 24 Uhr zurück kommen sind 16 Nachrichten auf dem Anrufbeantworter – ein fürchterliches Signal, dass etwas geschehen ist.... Die Anrufe sind aus Irland – wir werden dringendst gebeten, anzurufen.... Hans-Jürgen nimmt die schreckliche, unser Leben für immer verändernde Nachricht von seiner Schwester entgegen. Und dann muss er sie an mich weitergeben............. Nachts gegen 2 Uhr kommen zwei Polizisten. Wie gut, dass sie es nicht waren, die mir von Florians Tod berichten mußten.

Und nichts wurde jemals wieder wie es war!

Die Worte, die ich von Gabriela, die mit Florian in Camphill gearbeitet hat, in einem
Brief – kurz nachdem sie die Nachricht ebenfalls empfangen hatte, geschickt bekam sind für mich so wahr und tröstlich und ich lese sie immer neu und halte mich an ihnen fest, in diesen Tagen ganz besonders...

Wir brauchen diejenigen, die wir lieben, als unsere Spiegel.
Ihre Gedanken und ihre Wahrnehmungen, sind Teil dessen, was wir lieben.
Wenn wir unsere Geliebten verlieren, verlieren wir nichts von dem, was uns mit ihnen verbunden hat.
Wir müssen jetzt nur genauer hinhören, um das, was sie uns sagen wollen, zu hören.
Diese Verbindung, der Kontakt zu ihnen kann als eine Erinnerung zu uns kommen;
Sie könnte eine Intuition sein, die wir plötzlich haben.
Sie könnte zu uns kommen, durch Freunde oder durch Fremde, die so zu uns sprechen, wie es der verlorene geliebte Mensch getan hat.
Während wir unsere Herzen der immer weiter bestehenden Beziehung zu denen, die weitergingen, öffnen, werden wir Hilfe verspüren an vielen Punkten unseres Lebens,
und uns beschützt fühlen auf vielfältige Art.
Unsere Lieben lieben uns weiter, so wie wir sie!
Wenn wir unsere Herzen und unsere Seele ihrer immerwährenden Liebe öffnen,
werden wir beschenkt mit dem Gefühl ihrer Anwesenheit.



Jetzt gehe ich zurück in den Garten. Später werden unsere und Florians Freunde zu einer Gendenkstunde kommen.
Ich danke Euch dafür, dass ich Euch diese traurige Geschichte erzählen durfte, dass Ihr mir zugehört habt, ich danke Euch für viele Post und vor allem danke Euch ich Euch für Euer Mitgefühl - aufrichtig und liebevoll!

Gabriele
mit Florian im Licht

Foto: Blumen auf dem Treppenabsatz, auf dem Florian gestorben ist

Keine Kommentare: