Mittwoch, 30. Dezember 2009

Seneca (Trostschrift - Auszüge)



Auszüge aus Trostschrift an Marcia
Von Seneca

„In der Ewigkeit können sie sich frei auf unendlichen Gebieten bewegen; kein Meer hindert sie, keiner Bergeshöhe, kein tiefeingeschnittenes Tal, nicht die Sandbänke unserer Furten. Überall sind ebene Pfade, leicht gehen sie in einander über und führen von einem Stern zum anderen....“

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„Das größte Glück ist, gar nicht geboren zu werden; das zweitgrößte, davon bin ich überzeugt, ist, bald sterben zu dürfen und wieder in den Zustand zurückzukehren, in dem man sich vor der Geburt befand...“


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„Überdies ist der Weg zu den Himmlischen für die Seelen leichter, die sich zeitig von der Berührung mit menschlichen Dingen frei gemacht haben; sie haben noch nicht so viel Masse und Bodensatz. Ehe sie sich allzu tief in das Irdische einlebten, werden sie frei du können nun leichter zu ihrem Ursprung zurückkehren und, was ihnen vom Schmutz der Erde anklebt, geschwinder abstreifen. Nie ist großen Geistern ein langes Verweilen im Körper erwünscht; sie wünschen lebhaft, herauszukommen, auszubrechen; sie ertragen das Eingeschlossensein ungern, sie, die sich lieber aufwärts schwingen und von der Höhe auf das Treiben der Menschen herabschauen.
Was die höchste Stufe seiner Entwicklung erreicht hat, neigt sich rasch dem Ende zu.
Die vollkommene Tugend entzieht sich der Welt und was früher gereift ist, wartet nicht, bis die Nacht hereinbricht. Je heller ein Feuer aufflammt, desto früher erlischt es....“

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„Bekennst du aber, du habest durch ihn (deinen Sohn) große Freude gehabt, so mußt du dankbar sein für das, was dir vergönnt war, nicht klagen über das, was jetzt aufgehört hat.
„Aber dieser Gewinn hätte länger und größer sein können!“ Doch ist es besser, als wenn du ihn gar nicht gehabt hättest; wenn man die Wahl hat, ob man kurze Zeit glücklich sein wolle oder gar nicht, so nimmt man doch lieber ein bald aufhörendes Glück als gar keines....“

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„Bedenke auch, dass es kein Beweis von Größe ist, im Glück sich stark zu erweisen, wenn im Leben alles günstig verläuft. Des Steuermanns Kunst erprobt sich nicht bei ruhigem Meer und bei günstigem Wind: etwas Widrigen muß sich zeigen, dann erst kann der Mut sich bewähren. Laß dich nicht niederbeugen, stehe fest; welche Last dir auch von oben auferlegt werden mag, trage sie nur; nur der erste Ansturm ist schreckhaft. Nichts ärgert das Geschick mehr als Gleichmut!“

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„Wieder und wieder muß unser Herz daran erinnert werden, daß alles, woran es hängt, von uns gehen wird, ja, daß es schon im Begriff ist, von uns zu gehen. Was das Geschick gegeben hat, besitze man mit dem Gedanken, man könne es jeden Augenblick verlieren.
Schöpft in vollen Zügen Freude aus dem Verkehr mit euren Kindern, solange ihr könnt und lasset andererseits eure Kinder sich eurer Liebe erfreuen; ergreifet jede Freude ohne Aufschub, ihr wisset nicht, ob die kommende Nacht – doch ich habe zuviel gesagt – ob die nächste Stunde eurer ist. Eilen muß man, im Rücken droht der Tod. Plötzlich zerstreut sich das Gefolge, plötzlich wird zum Aufbruch geblasen, und das bisherige Zusammenleben hört auf. Das ganze Leben ist ein allgemeinen Raub du eine beständige Flucht.
Und ihr Unglücklichen versteht nicht, auf der Flucht zu leben! Du trauerst darüber, daß dein Sohn starb: die Stunde, da er geboren wurde, ist schuld daran; bei seiner Geburt ward ihm der Tod bestimmt. Unter dieser Bedingung ward er dir gegeben; diesem Los ging er von Geburt an entgegen.
Wir stehen unter der harten, unbeugsamen Herrschaft des Schicksals und müssen nach dessen Willkür geduldig Verschuldetes und Unverschuldetes hinnehmen..... Das Schicksal ist eine launische, zügellose Herrin, die sich um ihre Sklaven nicht kümmert und die Strafen und Belohnungen am unrechten Orte austeilt“....

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„Jedem wird das gehalten, was ihm versprochen worden ist; das Geschick geht seinen streng vorgezeichneten Weg; es fügt zu dem Festgesetzten nichts hinzu und nimmt auch nichts
davon hinweg; alles Wünschen und Streben bist vergeblich...“

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„Betrachte den Kreislauf der Dinge, die immer wiederkehren, und du wirst erkennen, daß nichts in dieser Welt restlos vergeht, sondern dass alles im Wechsel schwindet und wieder wächst....“

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„Was liegt denn daran, wie bald du von hier weggehst, von wo du doch eines Tages weggehen mußt. Nicht lange zu leben sei unser Bestreben, sondern unser Leben zu erfüllen. Um lange zu leben, dazu brauchen wir die Hilfe des Schicksals, unser Leben zu erfüllen, ist Sache unseres Willens. Das Leben ist lang, wenn es erfüllt ist. Es wird erfüllt, wenn die Seele sich ihr Gut geschaffen und die Herrschaft über sich selbst gewonnen hat. Was haben für jenen seine in Untätigkeit verbrachten achtzig Jahre für einen Sinn? Er hat nicht wahrhaft gelebt, sondern sich nur im Leben aufgehalten; er ist nicht spät, sondern andauernd gestorben...Wir wollen uns, Lucilius, darum bemühen, daß unser Leben wie eine Kostbarkeit nicht viel Raum einnehme, doch viel wiege....“

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„Halte niemals jemanden für glücklich, der vom Glück abhängt! Auf Zerbrechliches stützt sich der, welcher an dem Freude hat, was von außen kommt. Die Freude wird verschwinden, wie sie gekommen ist. Doch was aus dem Innern kommt, ist zuverlässig und sicher, es bereichert sich noch und begleitet uns bis ans Lebensende“....

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