Samstag, 3. April 2010

Osterpredigt 2006 verwaiste Eltern

Osterpredigt
Freya von Stülpnagel

Markus 16, 1-8

„Ich fragte: wer wird mir den Stein wegwälzen
Von dem Grab meiner Hoffnung
Den Stein von meinem Herzen
Diesen schweren Stein?“

Der Anfang dieses Ostergedichtes von Lothar Zenetti entspricht der Aussage in dem von uns gerade gehörten Evangelium, wo die Frauen fragen: Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?
Die Frauen gingen zum Grab, um den Leichnam Jesu mit kostbaren Ölen zu salben, ihrem Freund einen letzten Liebesdienst zu erweisen, um ihm noch einmal nahe zu sein, und ihn noch einmal zärtlich berühren zu können.

„Wer wird uns den großen, schweren Stein wegwälzen,“ fragten sie sich, den die Totengräber vor das Grab Jesu gerollt hatten, der fest, schwer und unverrückbar erschien. Für die Frauen ist zunächst alles aus, denn tot ist ja tot. Wer wird uns den Stein wegwälzen, der die Lebenden von den Toten trennt? Wer wird uns den Stein von unserem Herzen nehmen, der so schwer auf uns liegt, unser Seelenstein, bedingt durch den Tod unseres Kindes, unseres Bruders, unserer Schwester, unseres Enkelkindes, der uns so scheinbar unverrückbar auf dem Herzen liegt?
Die Frauen, die am Ostermorgen auf dem Weg zum Grab waren, sind bedrückt, enttäuscht und niedergeschlagen, denn ihre ganzen Hoffnungen scheinen begraben worden zu sein, und dennoch machen sie sich auf den Weg, sie denken noch einmal an die Begegnungen mit Jesus zurück, an die beglückende Gemeinschaft mit ihm, an das, was er bewirkt hatte, Kranke hatte er geheilt, äußere Autorität und Normen in Frage gestellt, Traurige getröstet. Das alles war nun tot und begraben, sie waren wie gelähmt, wie in Trance machten sie sich auf den Weg, versuchten etwas zu tun, was doch vom Verstand her gar nicht realisierbar war. Denn wie sollten sie den Leichnam salben können, wenn doch der zentnerschwere Stein vor dem Grab lag? Vollkommen absurd, und dennoch gingen sie, machten sich auf den Weg. Hier fiel mir das Gedicht von Erich Fried ein.

Es ist Unsinn
Sagt die Vernunft
Es ist was es ist
Sagt die Liebe.
Es ist Unglück
Sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
Sagt die Angst
Es ist aussichtslos
Sagt die Einsicht
Es ist was es ist
Sagt die Liebe
Es ist lächerlich
Sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
Sagt die Vorsicht
Es ist Unmöglich
Sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
Sagt die Liebe

Soweit Erich Fried

Das Herz kennt Gründe, die dem Verstand verschlossen bleiben.

Ihr Überleben in dieser Katastrophe haben die Frauen gestaltet, indem sie etwas tun wollten. Wir alle kennen das: Direkt nach dem Tod unseres Kindes sind wir so beschäftigt mit äußeren Aktionen, Aussuchen der Grabstelle, Vorbereitung der Trauerfeier, Gespräch mit dem Beerdigungsinstitut, dass wir vor lauter Geschäftigkeit gar nicht zum Nachdenken kommen. Aus dem allerersten Schock heraus stürzen wir uns in Aktivitäten, wenn wir schon, wie die Frauen hier, nichts mehr für unsere Lebenden tun können, dann wollen wir wenigstens dem Toten einen letzten Liebesdienst erweisen.

Wir sind von dem Wunsch gefangen, den geliebten Menschen so wie früher noch einmal um uns zu haben, und uns übermannt eine tiefe Traurigkeit, dass das doch nicht mehr möglich ist. Die Realität und das Ausmaß des Verlustes erscheinen in den ersten Tagen danach nur ganz bruchstückhaft in unserer Wahrnehmung. Wir können es nicht glauben, wir wollen es nicht glauben. Und so organisieren wir trotz allem den Abschied.

Wir alle haben unseren persönlichen Karfreitag erlebt. Wer den Tod eines Kindes erlebt, erlebt die Hölle in seinem Leben, und kann sich zunächst ein Leben danach nicht vorstellen. Die Trauer hält gefangen, sie ist zunächst so abgrundtief, sodass unser Blick nach vorne verstellt ist und der Gedanke an eine Zukunft ins Leere läuft.

Wie kommen wir nun vom Karfreitag zum Osterfest?
Zu einem Glauben, der das Leben sieht, trotz der Gräber?
Eugen Drewermann sagt an einer Stelle, dass der Weg Jesu, all seine Worte des Trostes, Fußspuren eines Weges sind, auf dem er uns voraus gegangen ist. Niemals seither ist unser Leben nur ein Weg zum Grab, ein Weg ins Nirgendwo, sondern wir folgen fortan den Fußspuren einer unzerstörbaren Hoffnung.

Denn auch uns, als seelisch schwerst Verwundete, erscheint wie den Frauen, eines Tages, auch wenn wir es zunächst nicht glauben wollen und können, wieder die Sonne, wenn wir uns auf den Weg machen.

Und so finden die Frauen in dem Evangelium, gegen ihre Erwartung, den Stein bereits weggewälzt: „Erschreckt nicht,“ spricht der Engel sie an, „er ist nicht hier, er ist auferstanden.“ Die Frauen können den Worten des Engels nur vertrauen, und dieses Vertrauen weitertragen, das Vertrauen, dass es nach dem Tod ein Leben gibt, in welchem der Tod nicht das letzte Wort hat. Ostern beschreibt in Sprachbildern, wie das aussieht, wenn Gott eingreift und dem Nein, dem Tod, sein Ja entgegenstellt, den menschlichen Grenzen seine schöpferische Liebe, dem Tod das Leben , dem Dunkel der Nacht die Sonne entgegenstellt. Der Tod verliert so seine Macht, und das Leben kann den Tod besiegen.

Gerade die Osterbotschaft kann für uns Verwaiste Eltern, Großeltern und Geschwister zur Grunderfahrung werden: da bleibt der unbeschreibliche Schmerz – ganz sicherlich! Doch das Leben erfährt durch den Osterglauben eine Zukunft, die weit über die Tiefen unserer Existenz, ja selbst den Tod und den Gräbern hinausreicht. Denn Ostern, das ist der große Widerspruch Gottes gegen den Tod in der Welt. Ostern ist Gottes Ja zum Leben. Der jetzige Papst sagte in einem Vortrag im Dezember 2003: „Das Kreuz Christi hat den Himmel aufgerissen, ist die Brücke, die Zeit und Ewigkeit ineinander fügt.“ Und damit das Leben hier und das Leben jenseits unserer begrenzten Sicht.

Unsere Zweifel und Ängste, und unsere Unsicherheiten bleiben. Und dennoch, wir alle haben nach dem Tod unseres Kindes Spuren der Hoffnung, des Lichtes und der Auferstehung erfahren. Wir werden immer an unsere Kinder denken, in diesem Leben Spuren von ihnen entdecken, und trotzdem eines Tages, was wir uns zunächst nicht vorstellen können, nicht ohne Hoffnung bleiben. Wir werden Spuren der Auferstehung in der Liebe und Nähe all derer spüren, die uns auf unserem schweren Weg begleiten, die uns an die Hand nehmen und uns nicht alleine lassen. In einem jeden Wort des Trostes und der Fürsorge – in den Erfahrungen anderer Menschen, die den Weg zurück ins Leben gefunden haben und davon erzählen- in dem Geschenk der Geduld und der Bereitschaft zuzuhören. Spuren der Auferstehung finden wir überall dort, wo der Glaube an Gott Grenzen sprengt und auch über Gräber hinweg noch seine Hoffnung erweist, und dem Leben eine Chance gibt, die weit über alle Todeserfahrung hinausweist.
Österliche Hoffnung, es ist schwer von ihr zu reden, gerade wenn der Tod des Kindes zeitlich noch ganz nahe ist, da ist uns der Karfreitag näher,
der mit dem Schrei Jesu am Kreuz auch unseren Ausdruck findet: „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Die Osterbotschaft kann eigentlich nur Eingang in unser Herz finden und erlebbar werden durch die, die sich auf den Weg machen und darin den Weg der Hoffnung gehen. Dann gibt es eine Auferstehung und die Dunkelheit wird keine entscheidende Kraft mehr über unser Denken und Fühlen haben. Einmal wird der Karfreitag durchstanden werden um der Wahrheit und um der Hoffnung willen. Denn was ein Morgen ist, wird nur der wissen, der die Nacht durchlitten hat. dann werden wir uns trotz des Todes unseres Kindes eines Tages wieder freuen können, wieder Freude am Leben finden.
So geht uns dann selbst die Sonne auf, wie den drei Frauen auf dem Weg zum Grab, die Sonne als tröstliches Symbol für einen neuen Tag, für ein Leben nach dem Tod.
Und dann können wir vielleicht mit Lothar Zenetti den zweiten Teil seines Gedichtes zaghaft annehmen:

„Mir ist ein Stein vom Herz genommen:
Meine Hoffnung, die ich begrub, ist auferstanden.“

Amen

http://www.bic-media.com/dmrs/widget.do?skin=blue&isbn=9783466368532

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