Samstag, 5. November 2011

aus: Portugiesische Sonette

 XXII.

Wenn schweigend, Angesicht in Angesicht,
sich unsrer Seelen ragende Gestalten
so nahe stehn, daß, nicht mehr zu verhalten,
ihr Feuerschein aus ihren Flügeln bricht:

was tut uns diese Erde dann noch Banges?
Und stiegst du lieber durch die Engel? Kaum;-
sie schütteten uns Sterne des Gesanges
in unsres Schweigens lieben tiefen Raum.

Nein, laß uns besser auf der Erde bleiben,
wo alles Trübe, was die andern treiben,
die Reinen einzeln zueinander hebt.

Da ist gerade Platz zum Stehn und Lieben
für einen Tag, von Dunkelheit umschwebt
und von der Todesstunde rund umschrieben.

Elisabeth Barrett-Browning (1806-1861)
Portugiesische Sonette
Übersetzung von Rainer Maria Rilke

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