"Und manchmal, während wir so schmerzhaft reifen, dass wir beinahe daran sterben, erhebt sich aus allem, was wir nicht begreifen, ein Gesicht und sieht uns strahlend an" Rainer Maria Rilke
Dienstag, 30. Juni 2009
Trauerwelle
Wenn die Trauerwelle kommt
und sich an meiner Seele bricht
dann lade ich sie ein zu mir
und wenn jede Zelle dann in mir
ganz gesättigt ist von ihr
dann fließt sie wieder heraus aus mir
und ich fange sie auf
in einer großen Schale
in die ich Seerosen setze
Es war so gut, heute schon bei Florian zu sein - alles ist nun feierlich und festlich und - vielleicht gerade deshalb - so traurig. Die Seerosen blühen leider auch in diesem Jahr nicht - so brachte ich ihm Rosen aus dem Garten.
Der Garten ist voller Schmetterlinge - und ich erinnere den Falter, der unser Gedenken hier im vergangenen Jahr begleitete: er wich nicht von uns - umkreiste jeden von uns und setze sich, als ich meinen Brief an Florian las, auf meine Hand - und blieb!
Komm wieder, kleiner Falter - morgen - und besuche uns!
Buch des Abschieds 17
Noch einmal gehen die Gedanken zurück in das Schicksalsjahr 2000. Dann schließe ich den Kalender 2000, der täglich vor mir liegt - für ein Jahr.
Wieder ist ein heißer, schwüler Sommertag und das kleine Haus voller Blumen und Kerzen... nichts hat sich wirklich geändert in diesem Tagen - trotz 9 Jahren..
Morgen werden die selben Freunde kommen, die auch schon 2001 bei uns waren - der Baum ist kräftig geworden, damals haben wir ihn gemeinsam gepflanzt..Noch immer kommt Post von Menschen, die an uns denken - keine Rosen mehr von Eimear, die mir dennoch ganz besonders innig am Herzen liegt!
Und - morgen beginnt das Jahr Zehn!
Florian, mein freier Geist, my free spirit,
es ist der Vorabend Deines ersten Todestages und es hat sich über mich, über das Haus, über den Garten eine tiefe Ruhe, eine Schwere gelegt. Alles ist vorbereitet auf den Tag morgen, den Tag, an dem Du diese Welt verlassen hast.
Ich habe auf der Suche nach einem Gedicht für Hans-Jürgen morgen zu unserem Hochzeitstag eines gefunden, das ich Dir einmal in einem kleinen Gedichtband nach Irland schickte. Ich weiß nicht, ob Du es verstanden hast. Vielleicht war es damals auch nicht zu verstehen…und ich weiß heute nicht mehr, warum gerade dieses Gedicht mich so tief berührte. Ich widme es Euch beiden.
Ein neuer Weg zu Dir
Hast du noch Energie, auf mich zu warten?
Ich lebe am Rand meiner Möglichkeiten.
Ich will mich nicht zerbrechen,
um zu dir zu kommen,
weil ich dir ein Gegenüber sein will
und nicht ein Gebrochener.
Wenn du warten kannst, will ich dich
mit meiner größeren Freiheit beschenken.
Weil ich dich nicht mehr brauche,
werde ich dich ganz neu lieben können.
Weil ich von dir freiwachse,
kann ich mich bringen,
wenn ich komme.
Darum warte noch.
Halte aus,
daß wir getrennt sind.
Das Aushalten wird uns verbinden.
Vielleicht wird sogar der Moment kommen,
wo ich tief innen weiß
daß keines deiner Geschenke so kostbar war
wie die Not, die du mir gemacht hast.
Dann werde ich bei dir sein
wie nie zuvor.
Heute morgen, Florian wurden wir durch Klingeln geweckt und ich ging im Nachthemd vor die Tür – aus dem Schlaf gerissen, aus einem Traum, in dem Du bei mir warst, aber es war ein trauriger Traum. Blumen, zwei große Sträuße.. 21 rote Rosen von Eimear für Dich Und ein kleiner Brief:
From Eimear
I miss you Florian
I will always love you
und ein Strauß mit gelben Blumen von Breda und John mit den Worten:
From John and Breda
You’ll always be the son we never had.
Ich stand in der Küche, brach in Tränen aus und spürte ganz deutlich etwas von diesen Tagen im letzten Jahr – als Blumen kamen, Karten – als Du nicht mehr lebtest, aber noch nicht wieder zurückgekehrt warst zu uns..... Es war ein tiefes Grauen und eine schreckliche Panik, die plötzlich in mir war.....Es ist wahr, es ist alles Realität, ich bin nicht in einem nicht endenden Albtraum, nein, es ist wahr und morgen wirst Du ein Jahr tot sein. Morgen, mein Liebster, morgen!
Ich ging durch den Garten, es versprach ein heißer Sommertag zu werden, das Gras unter meinen Füßen fühlte sich schon ganz warm an, Dein kleiner Baum, der noch immer im Topf steht, dürstet danach, eingepflanzt zu werden, der Garten blüht so wunderschön, ein Rosengarten ist es in diesem Jahr – Du würdest ihn lieben! Ich sprach zu Dir und bat Dich um Stärke, ich bat Dich um Dein Mitleid, Deine Hilfe, Deine Nähe. Ich brauche sie mehr denn je in diesen Tagen, mein Sohn – mein Florian, mein freier Geist!
Gestern hatte ich das kleine Haus noch einmal sauber gemacht – es steht nun voller Blumen, Blumen, die wir morgen auf Dein Grab tragen werden – es soll sich in ein Blumenmeer verwandeln.... your little garden!
Wir werden morgen draußen sein, habe ich beschlossen – Du würdest es so wollen, dachte ich. Wir werden Decken in den Garten um Deinen Baum herum legen, dort die Musik hören, in den Himmel und die Bäume sehen, jeder alleine mit seinen Gedanken.
Ich war mir plötzlich so sicher, daß Du es so haben wolltest, daß Du mit uns in der Natur, in der Schönheit des Gartens sein möchtest, daß Du im sanften Wind sein wirst, der uns umgibt, im Wasser, auf das wir sehen werden, in der Luft, die wir atmen, in den Wolken über uns,
in der Erde, die wir berühren – Du bist da, Du bist unter uns – wir werden Dich spüren, ich weiß es, Florian, ich weiß es ganz sicher. Du läßt uns nicht im Stich, Engel, geliebter, geliebter Engel!
I carry you with me – a ghost inside
I carry you with me – so you are still alive
The bones we burried – they feed the tree
But every word you spoke is still in me.
And I will cry sometimes when the night is down
And I will raise my head up to the mountains
talk to you and I fly
Cause the spirit lives on
when the bodies die.
Deine Mom
Montag, 29. Juni 2009
Keltischer Segen
Du bist der Stern jeder Nacht,
Du bist der Glanz jedes Morgens,
Du bist die Geschichte jedes Gastes,
Du bist der Bericht aus jedem Land.
Kein Leid soll dir geschehen
In den Bergen, am Fluss und im Tal,
Nicht oben, nicht unten,
weder auf See noch an Land,
Nicht hoch am Himmel und nicht
in der Tiefe.
Du bist der Kern meines Herzens,
Du bist das Antlitz meiner Sonne,
Du bist die Harfe meiner Musik,
Du bist dir Krönung meines Lebens.
Keltischer Segen
Das ewige Feuer der Liebe
Das ewige Feuer der Liebe, das Mutter und Kind schon vor der Geburt des Kindes verbindet, ja noch nach dem Erdenleben, ist der Docht des liebenden Lichtes, den jede Mutter- unbewusst durch den zarten Leib ihres noch im tiefsten Körperraum wachsenden Kindes befestigt – und eins mit ihm wird. Liebe geknüpft an Liebe ergibt: Licht.
Else Lasker-Schüler
„Die Seele und ihr Licht“
Augenblicke
Gestern, heute, irgendwann
Jahre zählen nicht.....
seine Stimme steht im Raum
und sie regt sich immer wieder
Morgen, später, niemals mehr
Wochen zählen nicht.....
Und sein Lachen füllt den Raum
und verweht im Nichts
Jetzt und auch in Ewigkeit
Nur die Augenblicke zählen.....
Und er ist als wer er war
im Unendlichen geborgen
und in unseren Herzen aufgehoben
Foto: das letzte Bild von Florian, aufgenommen nach der Rückkehr nach Irland bei Eimears Eltern
Sonntag, 28. Juni 2009
Memoriam-Anzeige
Vor mir liegt die Tageszeitung und ich lese es - "schwarz auf weiß" - dass Du, geliebter Florian,
am 1. Juli 2000 vorausgegangen bist. Es ist die neunte Memoriam-Anzeige - ein sichtbares Zeichen unserer Liebe und Loyalität, unserer Verbundenheit, unseres Gedenkens, unserer Trauer um Dich!
When most I wink then doe mine eyes best see,
For all the day they view things unrespected,
But when I sleep, in dreams they look on thee,
And darkly bright, are bright in dark directed.
Then thou whose shadow shadows doth make bright,
How would thy shadows form, form happy show,
To the cleare day with thy much clearer light,
When to unseeing eyes thy shade shines so?
How would (I say) mine eyes be blessed made,
By looking on thee in the living day?
When in dead night their fair imperfect shade,
Through heavy sleep on sightless eyes doth stay?
All days are nights to see till I see thee,
And nights bright days when dreams do show thee me
William Shakespeare
Ich seh viel mehr, mach ich die Augen zu.
Profanes nur sehn sie zur Tageszeit:
Doch wenn ich schlaf, erscheinst im Traum mir du.
Traums Dunkelhell erhellt die Dunkelheit.
Du, dessen Schatten Schatten licht macht, sag,
was zeigt dein Schattenbild für Bilderwelt,
da du mehr licht bist als der Tag bei Tag,
wenn schon dein Schatten so den Blick erhellt!
Wie, sag ich, müsst mein Blick erleuchtet sein,
Könnt ich dich sehn in Tages wachem Licht,
Wenn schon bei Nacht dein schöner Schattenschein
Durch Schlaf zum blinden Auge Bahn sich bricht!
Tag ist wie Nacht mir, kann ich dich nicht sehn,
Doch Nacht wird Tag, lässt Traum dein Bild entstehn.
Samstag, 27. Juni 2009
Mit all meiner Liebe
....Auf Flügeln der Morgenröte will ich dich tragen
Monika A.E. Klemmstein
Freitag, 26. Juni 2009
Michael Jackson
Liebster Florian,
als ich heute morgen das Radio anmachte, hörte ich die Nachricht vom Tod von Michael Jackson. Herzstillstand - und vielleicht war es diese Nachricht, die meine Gedanken zurückspringen ließ:
Du bist vielleicht 11 oder 12 Jahre alt - ein großer Jackson-fan. Aus Deinem Zimmer höre ich seine songs - rauf und runter - kaum bist Du aus der Schule zu Hause.
Und dann wird sein "moon walk" einstudiert... Stephan und Du - Ihr plündert Hans-Jürgens Kleiderschrank, setzt Euch Hüte auf - und filmt Euch .. was haben wir über diesen Film gelacht!
Als wir über seine traurige Kindheit hören, schlage ich Dir vor, ihn zu "adoptieren" und ihm ein gutes zu Hause zu geben... Viel später, als seine pädophilen Neigungen bekannt wurden, hast Du mir mir diesen Vorschlag vorgehalten... Ach Florian, wir hatten so viel Spaß miteinander.. konnten verrückte Träume weben und heute bin ich - auch über den plötzlichen Tod von Michael Jackson traurig. Ich glaube, ich habe ihm sein Anliegen - die Welt ein wenig besser zu machen, immer geglaubt.
Buch des Abschieds 16
Dienstag, 26. Jun. 01
Florian, vor mir auf dem Tisch schaue ich in den Kalender 2000 und es naht unser Abschied.
„Last kiss“ steht dort am 27. Juni, dem Tag Eurer Rückreise nach Irland.
Die sonnigen, unbeschwerten und glücklichen Tage neigten sich dem Ende zu und wir nahmen diesen Abschied leicht. Es sollte ein Abschied für nur wenige Monate sein und ich war so voller Vertrauen, dass wir – nach vielen Jahren – endlich wieder ein gemeinsames Weihnachtsfest feiern würden – das erste gemeinsame nach fünf Jahren.
.
Du hattest alles erledigt, was Du Dir vorgenommen hattest: Arzttermine, Friseur, ein wenig Shopping, ein paar Dinge für die neue Wohnung in Dublin. Du hattest die Familie gesehen und die Freunde getroffen.
Du hattest sogar die neue Brille noch abholen können. Heute steht im Kalender: „Brille fertig“.. und das Foto von Dir und der Brille war Eimears Lieblingsfotos, als sie zu Deiner Beerdigung nach Berlin kam. „Oh, he looks so intelligent with the glasses“.. also hättest Du ohne Brille weniger intelligent ausgesehen.
Am Vorabend Eurer Abreise gingen wir mit Euch Essen. Ihr hattet Euch ein italienisches Restaurant hier in der Nähe ausgesucht. In Irland wärt Ihr wohl zum Chinesen gegangen…Ich sehe Euch noch immer dort sitzen am Tisch.. ein wenig angespannt, denn in Gedanken wart Ihr wohl doch schon wieder in Irland. Ich glaube, Eimear war froh, zurückfliegen zu können. So sehr sie es hier genoss, es war doch auch eine Herausforderung für sie.
Zu Hause, Eimear war schon zu Bett gegangen, ich stand in der Küche, kamst Du herein, stelltest Dich vor mich und nahmst mich in Deine Arme. Du sagtest, fast entschuldigend, der Abschied auf dem Flughafen sei immer so hektisch, Du nahmst unsere Umarmung somit vorweg, umarmtest mich in Abwesenheit der anderen. Du hast mir gedankt für die Zeit hier, die Tage seien schön gewesen, leicht, „so easy“...
Ich erinnere mich, dass ich ein wenig verlegen war wegen dieser unerwarteten Zärtlichkeit. Ich genoss sie, ein seltener Moment der physischen Nähe, wie wir sie früher hatten. Ja, der Abschied würde sicher hektisch werden. Euer Flug ging um 6.55 Uhr. Du stelltest den Wecker auf 5.15 Uhr.
Wochen später blieb er um genau diese Uhrzeit stehen!
Ihr wart schon auf, als wir aufstanden. Eimear saß völlig verschlafen am Tisch, Du warst erstaunlich munter. Ich spürte, dass Du Dich auf Dublin freutest, auf Eure Welt. Die Tage hier waren schön und harmonisch gewesen, nun aber wartete
Euer Leben auf Euch, Du warst gespannt, ob Deine Bewerbung am Trinity College Erfolg gehabt hatte – Du wolltest zurück.
Nach Eurem Einchecken standen wir herum, Eimear rauchte, und ich spürte, wie wenig ich diese letzten Minuten mag. Sie ziehen sich hin und man hat sich alles gesagt. Eimear ermunterte Dich, mit der Verabschiedung zu beginnen, nicht wissend, dass sie doch bereits stattgefunden hatte. Eine letzte Umarmung - „Ich bin doch bald wieder da, Mom! Weihnachten sehen wir uns – versprochen“ - und dann gingt Ihr durch die Absperrung. Ich schaute Euch nach und ich wünschte mir in diesem Moment, Du mögest Dich noch einmal umdrehen. Ich ließ Dich leicht gehen, war an diese Abschiede gewöhnt, freute mich auf ein Wiedersehen, konnte mich mit Dir auf Eure Rückkehr freuen, gespannt wie Du, wie Dein Leben weiter verlaufen würde. Dies, Florian, unsere letzte Umarmung, der letzte Blick auf Dich, als meinen lebenden Sohn – nichts ahnend! Hätte ich gewusst, dass ich Dich nicht mehr wieder sehe – ich hätte Dich nie mehr losgelassen!
Ich lüftete das kleine Haus, Du hattest es am Vorabend gereinigt. Es gab kaum noch Spuren und Hinweise darauf, dass Ihr beiden da gewesen wart. Wie sehr habe ich dies kurz danach bedauert. Jede verwischte Spur wurde zu einem unermesslichen Verlust...
Ich bin so traurig, Florian - diese Blicke zurück schmerzen!
Deine Mom
Donnerstag, 25. Juni 2009
Sadness - Joy
Ther's a place for us
http://www.youtube.com/watch?v=XlRiEHgjVDI&feature=related
There's a place for us
Somewhere a place for us
Peace and quiet and open air
Wait for us
Somewhere
There's a time for us
Someday a time for us
Time together with time to spare
Time to learn
Time to care
Someday, somewhere
We'll find a new way of living
We'll find a way of forgiving
Somewhere, somewhere
There's a place for us
A time and a place for us
Hold my hand and we're half way there
Hold on to my hand
And I'll take you there
Somehow
Someday
Somewhere
Someday
Somewhere, somewhere, somewhere
Got to be somewhwere
Somehow, somewhere, somehow
Somehow, somewhere I'll know
Somewhere I'll know there's a place for us
Got to be somewhere
Got to be somewhere
Somewhere I'll be
Somewhere, somewhere
Traurigkeit
Die mir noch gestern glühten,
Sind heut dem Tod geweiht,
Blüten fallen um Blüten
Vom Baum der Traurigkeit.
Ich seh sie fallen, fallen
Wie Schnee auf meinen Pfad,
Die Schritte nicht mehr hallen,
Das lange Schweigen naht.
Der Himmel hat nicht Sterne,
Das Herz nicht Liebe mehr,
Es schweigt die graue Ferne,
Die Welt ward alt und leer.
Wer kann sein Herz behüten
In dieser bösen Zeit?
Es fallen Blüten um Blüten
Vom Baum der Traurigkeit
Hermann Hesse
Rituale
Heute habe ich meine Memoriam-Anzeige aufgegeben - ein jährliches Ritual, das mich mit aller Härte schmerzhaft in die Realität dieser Tage holt.. kein Ausweichen, kein Leugnen mehr möglich. Es zerreißt mir das Herz!
Das größte Geheimnis
ist das Leben.
Das tiefste Geheimnis
ist die Ewigkeit.
Das schönste Geheimnis
ist die Liebe.
Geheimnis,
dem selbst
der Tod
machtlos
gegenübersteht.
Irmgard Erath
Mittwoch, 24. Juni 2009
Die Stimmen der Natur
Wenn die Vögel singen, rufen sie dabei die Blumen des Feldes
oder sprechen mit den Bäumen,
oder ist ihr Gesang nur ein Widerhall dessen, was das Bächlein murmelt?
Der Mensch mit all seiner Klugheit kann nicht verstehen,
was die Vögel sagen oder was der Bach vor sich hinmurmelt
oder was die Wellen flüstern, wenn sie langsam und sanft den Strand berühren.
Der Mensch in all seiner Klugheit kann nicht verstehen,
was der Regen spricht, wenn er auf die Blätter in den Bäumen fällt
oder wenn er aufs Fensterbrett tropft.
Er weiss nicht, was der flüchtige Wind den Blüten zu erzählen hat.
Aber das Herz des Menschen ist im Stande,
die Bedeutung dieser Stimmen zu fühlen und zu begreifen.
Oftmals bedient sich die ewige Wahrheit einer geheimnisvollen Sprache.
Seele und Natur unterhalten sich miteinander, während der Mensch abseits steht,
sprachlos und verwirrt.
Und hat der Mensch nicht Tränen vergossen über diese Stimmen?
Sind seine Tränen nicht ein beredtes Zeichen seines Verstehens?
(Khalil Gibran)
Foto: Windspiel in Florians Baum
Dienstag, 23. Juni 2009
Finale Con Moto
Du hast in mir viel Lichter angezündet
Mit blauen Träumen mir den Tag erfüllt,
Und alles Blühen, alles Leuchten mündet
Nach im Erlöschen hin zu deinem Bild.
Du kamst: Zum Garten ward das Grau der Straßen.
Du kamst nicht, und der Tag hat nicht gezählt.
Wie hat, allein das Leben mich gequält.
Der große Trug, den wir zu zweit vergaßen.
Es war der gleiche Sog in unserem Blut,
Die gleiche Saite, jäh entzweigerissen.
Ein müder Klang, um den wir selbst kaum wissen,
Jahrtausendalte, halberstorbene Glut.
Verwehter Ton, der noch im Klingen schweigt,
Gesumm, das ohne Anfang ist und Ende.
Da sich der Schatten deines Ahns dir neigt
Umfängt auch mich der Segen seiner Hände.
Stumm zu verlöschen ist der letzte Sinn,
Still fortzugehen, eh das Feuer schwindet.
Du hast mir viel Lichter angezündet...
Du sollst nicht wissen, daß ich einsam bin.
Mascha Kaléko
Montag, 22. Juni 2009
Inschrift
Sag in was
schneide ich
deinen Namen?
In den Himmel?
Der ist zu hoch
In die Wolken?
Die sind zu flüchtig
In den Baum
der gefällt und verbrannt wird?
Ins Wasser
das alles fortschwemmt?
In die Erde
die man zertritt
und in der nur
die Toten liegen?
Sag
in was
schneide ich
deinen Namen?
In mich
und in mich
und immer tiefer
in mich.
Erich Fried
Sonntag, 21. Juni 2009
Dein Lachen
Nimm mir das Brot weg, wenn du
es willst, nimm mir die Luft weg,
aber laß mir dein Lachen.
Laß mir die Rosenblüte,
den Spritzstrahl, den du versprühst,
dieses Wasser, das plötzlich
aufschießt in deiner Freude,
die jähe Pflanzenwoge,
in der du selbst zur Welt kommst.
Mein Kampf ist hart, und manchmal
komme ich heim mit müden
Augen, weil ich die Welt
gesehn, die sich nicht ändert,
doch kaum trete ich ein,
steigt dein Lachen zum Himmel,
sucht nach mir und erschließt mir
alle Türen des Lebens.
Meine Liebe, auch in der
dunkelsten Stunde lass dein
Lachen aufsprühn, und siehst du
plötzlich mein Blut als Pfütze
auf den Steinen der Straße,
so lache, denn dein Lachen
wird meinen Händen wie ein
frisch erglänzendes Schwert sein.
Und am herbstlichen Meer
soll deines Lachens Sturzflut
gischtend himmelwärts steigen,
und im Frühling, du Liebe,
wünsche ich mir dein Lachen
als Blüte, lang erwartet,
blaue Blume, die Rose
meines klingenden Landes.
Lache über die Nacht,
über den Tag, den Mond,
lache über die krummen
Gassen unserer Insel,
lache über den Burschen,
den Tolpatsch, der dich liebt,
aber wenn ich die Augen
öffne, wenn ich sie schließe,
wenn meine Schritte fortgehn,
wenn sie dann wiederkommen,
nimm mir das Brot, die Luft,
nimm mir das Licht, den Frühling,
aber niemals dein Lachen,
denn sonst würde ich sterben.
Pablo Neruda
Samstag, 20. Juni 2009
Lehre mich Sehnsucht
„Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht die Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen und Werkzeug vorzubereiten, oder die Arbeit einzuteilen und Aufgaben zu vergeben, sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem endlosen, weiten Meer..:“
(Saint Exupéry)
Sehnsucht nach dem offenen Meer? Kann sie gelehrt werden? Kann dieses Gefühl die Bewegtheit der Wasser vermitteln – Gefahr unter den Füßen, Sturm über der Stirn, kein Land weit und breit.
Kann sich in diesem Sehnsuchtssinn nach dem Offenen und Ungestaltetem stark genug ein Bewusstsein vom eigenen Land, dem individuellen Eigentum einer leiblichen Existenz einmischen, so dass daraus sich ein Schiff bilden kann?
Jeder Mensch trägt Sehnsüchte in sich. Sie beziehen sich auf das weite Feld seines schicksalhaften Daseins. Sie warten in ihrer Vielzahl zumeist ungeprüft in den Toren seines Lebens und wenn eine davon aufbricht, geht das Tor zu seinem Inneren weit auf.
Der Mensch spannt sich zur „Sehne“, steckt den Pfeil seiner „Sehnsucht“ auf und fliegt mit ihm weit über sich hinaus. Er wächst, soweit dieser Flug reicht.
Sehnsucht bedeutet somit, die Dauer eines Fluges zu meistern, in welchem sich Wesen und Erscheinung des Ersehnten – des Meeres - im Menschen selbst offenbaren können. So erbaut er das „Schiff“ aus den Bedingungen seiner Sehnsucht und des Meeres selbst.
Wer keine Sehnsucht kennt, bleibt in sich verschlossen und verkümmert in der Enge seiner Selbst. Insofern kann es keinen Menschen ohne Sehnsucht gehen. In der Sehnsucht offenbart sich sein innerstes Wesen, das im Ursprung schon das „Echo“ seines Zieles zu hören vermag.
... Seine „Schiffe“ sind aus dem Stoff der Liebe zum Meer gebaut. So werden sie bewohnbar und fahrtüchtig. Wenn wir von Sehnsucht sprechen, wird immer die Sehnsucht nach dem Menschen Du im Vordergrund stehen. Diese Sehnsucht erscheint als stärkste von allen,.
... Im allgemeinen erleben wir Sehnsucht als etwas Schmerzhaftes, so als würden wir auseinandergezogen und in Teile zersprengt. Ein Mensch bedarf großer innerer Sicherheit und Vertrauen zu sich selbst, will er diese Dehnung aushalten und im Sinne des Beschriebenen fruchtbar machen...
Freitag, 19. Juni 2009
Geh nicht fort von uns....
Nur eine Mittagssonne lang hast du
in unserer Dämmerung verweilt und
deine Jugend hat uns Träume
geschenkt…..
Lass es noch nicht zu, dass unsere
Augen nach deinem Anblick hungern.
Lass’ nicht zu, dass die Wellen des
Meeres uns auseinander reißen und
die Jahre, die du in unserer Mitte
verbracht hast zur Erinnerung
werden….
Sprachlos war unsere Liebe und
hinter Schleiern verborgen. Doch jetzt
ruft sie laut aus nach dir und steht dir
unverhüllt gegenüber. So war es schon immer,
dass die Liebe ihre eigene Tiefe
nicht kennt bis zur Stunde des
Abschieds
Khalil Gibran
Buch des Abschieds 15
Florian, mein Sonnensohn,
ein Sommertag, ein Sonnentag und ich liege unter dem Pflaumenbaum im Schatten und weine, ich bin so voller Traurigkeit, so voller Sehnsucht, so voller Hoffnungslosigkeit.
Ich kann nichts ändern an diesen Gefühlen, sie überfallen mich, sie sind so allgegenwärtig,
so allumfassend: Trauer!
Zwischen den hunderten von Bildern, die ich in meinem Kopf trage, hatte ich den
Gedanken, daß es noch nicht einmal die Möglichkeit für uns gibt, etwas an Deinem Tod zu finden, das auch nur den allerkleinsten Trost gäbe: wärst Du krank gewesen, hättest Du gelitten, dann könnte man sagen, daß Du „erlöst“ worden seist von den Schmerzen, von Deinem Leid.... weißt Du, Engel, was ich meine? Aber Du warst nicht krank, Du hattest keine Schmerzen, es gab keinen Grund, Dich zu „erlösen“, Dir Dein schönes und glückliches Leben zu rauben, uns Dich wegzunehmen.... Es gab keinen Grund und deshalb gibt es auch keinen Trost!
So müssen wir die Sinnlosigkeit ertragen, dieses Gefühl der Ohnmacht und der Hilflosigkeit, das mich so überfällt und manchmal fast lähmt. Der Schmerz breitet sich in meinem ganzen Körper und meinem Geist aus. Alles tut weh. Ich habe Sehnsucht nach Dir, ich vermisse Dich unendlich, ich vermisse Dich mit jeder Faser meines Geistes, meiner Seele, meines Herzens.
Dies sind Qualen, denen ich nicht entrinnen kann.... ich muß sie wie Wellen über mich ergehen lassen, mein Kopf dröhnt manchmal und mein Herz scheint zu zerspringen....
Mitten durch mich hindurch geht dieses Schwert – noch 10 Tage hattest Du in diesen unbeschwerten, glücklichen Tagen des letzten Sommers zu leben – 10 Tage, Florian!
Du versuchst, mit Deinen Zeichen zu mir durchzudringen, es ist schwerer geworden, weil meine Verzweiflung so groß ist: gestern schrieb ich mein „I carry you with me“ für Eimear und als ich den Satz schrieb....“...Cause the spirit lives on when the bodies die....“ wurde dieser in einer dickeren Schrift gedruckt, als der übrige Text.... Ich hatte nichts besonderes
getan, als den Text fett drucken lassen - dieser Satz sticht nun deutlich hervor....
Christiane schrieb mir einen Traum, den ich Dir weitergebe.... es ist eine schwere Zeit, Florian, es ist eine so unendlich schwere Zeit....
Christiane’s Traum:
"Ich war irgendwo in der Fremde auf einer abschüssigen Wiese. Es war eine gute lockere Atmosphäre, obwohl ich kaum jemand kannte. Plötzlich sah ich Florian- so im Alter von ungefähr 12 Jahren mit dieser Elvis-Tolle, die er und S.i damals hatten. Und ich war ganz begeistert, ihn zu sehen (ich habe seit seinem Tod ihn nicht mehr lebendig im Traum gesehen)- ich wußte, dass er gestorben war, und wollte Dich schnell holen und Dir Florian zeigen. Ich sah Dich weiter von mir entfernt, auch 10- 20 Jahre jünger. Du hattest noch lange und gelbere Haare und vor allem deine alten Zähne mit Frontlücke. Als ich wieder zu Florian schaute, war er weg, als ob er gar nicht da gewesen wäre, und ich fragte mich schon, ob ich mich getäuscht hätte. Dann aber wurde mir ganz klar -im Traum, aber auch danach- dass er extra gekommen war, einmal um mir zu sagen, dass es Dir nicht gut geht, und zum anderen, um Dir zu sagen, dass er da ist und bei Dir ist."
Also gebe ich Dir seine Botschaft weiter.
Ich bin froh, wenn die Tage möglichst schnell vergehen, ich etwas finde, das meine Aufmerksamkeit ein wenig auf sich lenkt, ich lese viel und ich lese wieder Bücher aus Irland. Irland ist so nah im Moment, Dein Land, Dein Land, in dem Du lebtest, liebtest und das Land, in dem Du starbst.
Ich weiß nicht, wann wir Irland wiedersehen werden. Im Moment hätte ich Angst davor, Angst vor den lebendigen Erinnerungen dort – angst vor dem Ankommen und dem Wissen, dass Du nicht dort stehen wirst, um uns zu begrüßen..... Ich spüre einfach, daß ich mit meinem Schmerz an meinen Grenzen angelangt bin. Mehr geht nicht mehr!
Die Nächte erlösen mich und ich bin dankbar für diese Pausen.
Help me to find some peace, my free spirit
Deine Mom
Donnerstag, 18. Juni 2009
The Serenity Prayer
to accept the things I cannot change;
courage to change the things I can;
and wisdom to know the difference.
Living one day at a time;
Enjoying one moment at a time;
Accepting hardships as the pathway to peace;
Taking, as He did, this sinful world
as it is, not as I would have it;
Trusting that He will make all things right
if I surrender to His Will;
That I may be reasonably happy in this life
and supremely happy with Him
Forever in the next.
Amen
http://www.youtube.com/watch?v=1cyWipTrNV4&feature=fvw
Buch des Abschieds 14
Liebster Sohn,
heute war ich wieder bei Dir – ich spürte, daß ich genügend Stärke hatte und es war gut, bei Dir zu sein. Ich saß auf der Bank, die Sonne spielte in den Blättern der großen Eiche über Deinem Grab und hin und wieder fielen ihre Strahlen auf die Pflanzen, die so schön blühen.
Nur eine Schnecke tummelt sich dort und frißt uns die kleinen Rosen ab....
Es war gut, Dich zu besuchen, aber es ist schwerer im Moment bei Dir zu sein, es ist unwirklicher, ich lasse die Realität nicht recht an mich heran oder besser in mich hinein.
Ich spreche kaum mit Dir, ich ordne und gieße, aber ich habe Angst, mit Dir zu sprechen.
Ich möchte Dich nicht dort liegen haben..... und doch weiß ich, daß Du dort bist.
Es ist eine schwere Zeit, Florian.
Der Garten gibt mir ein wenig Ruhe. Ich bin viel im Garten in diesen Tagen, gieße auch dort und zupfe Unkraut, sitze auf der Bank am Wasser und schaue in die Wolken, die schnell vorüberziehen. Es ist ein unbeständiges Wetter. Manchmal ist der Himmel plötzlich schwarz und bevor man sich versieht, scheint wieder die Sonne. Man will sich dort oben im Moment nicht so recht entscheiden. Ich kann gut damit leben, spüre aber auch, daß mir die Sonne besser tut als das Trübe. Dies ist ein gutes Zeichen, wie ich finde. Sonne ist Leben!
Ich fand in meinem PC heute unter meinen privaten Dateien einen Brief, den ich im Anschluß an unseren Urlaub mit Dir 1999 an Elke in München schrieb. Die Erinnerungen waren da noch ganz dicht und dieser Brief ist ein schönes und trauriges Dokument über diese Reise mit Dir. Er brachte Erinnerungen zurück, die ich schon fast vergessen hatte – das Abendessen bei Nolan’s – unser erstes Zusammentreffen mit Eimears Eltern! Ich glaube, Du warst unendlich aufgeregt und hattest sicherlich Angst, wir könnten etwas falsch machen. Du hast uns instruiert, nicht direkt zu sein, das würden die Iren nicht mögen. Ich glaube, wir waren aufgeregter als Du selbst! Es war dann aber ganz ungezwungener Abend, an dem Hans-Jürgen und John über Politik fachsimpelten und Breda Konversation mit mir betrieb – worüber eigentlich? Eimear und Du, Ihr beiden saßt ziemlich steif neben mir auf der Couch.....
Ich glaube, Du warst ganz zufrieden mit uns.
Als wir vorletztes Jahr – zum ersten Mal – wieder im Haus von Eimears Eltern waren, standen dort die Fotos von Dir in silbernen Rahmen… Dass sie Dir so lange die Treue wahren, das hat uns beide tief berührt!
Ach Florian .... ich muß die Bilder wegstecken, es beginnt wieder so zu schmerzen. Ich möchte heute etwas von meiner Kraft behalten.
Gestern ging es mir so schlecht – ich war so völlig perspektivlos und hoffnungslos – schlimmer als in den Tagen davor.....
Schicke mir Sonnenstrahlen, mein Sonnenkind, laß mein Herz erwärmen und halte Deine Hände über mich, ich brauche Dich so sehr!
Deine Mom
Dieses Foto steht im silbernen Rahmen bei Eimears Eltern. Florian trägt die neue Brille und Eimear liebte ihn mit Brille!
Mittwoch, 17. Juni 2009
Bilder des Abschieds
Ich seh viel mehr, mach ich die Augen zu.
Profanes nur sehn sie zur Tageszeit:
Doch wenn ich schlaf, erscheinst im Traum mir du.
Traums Dunkelhell erhellt die Dunkelheit.
Du, dessen Schatten Schatten licht macht, sag,
was zeigt dein Schattenbild für Bilderwelt,
da du mehr licht bist als der Tag bei Tag,
wenn schon dein Schatten so den Blick erhellt!
Wie, sag ich, müsst mein Blick erleuchtet sein,
Könnt ich dich sehn in Tages wachem Licht,
Wenn schon bei Nacht dein schöner Schattenschein
Durch Schlaf zum blinden Auge Bahn sich bricht!
Tag ist wie Nacht mir, kann ich dich nicht sehn,
Doch Nacht wird Tag, lässt Traum dein Bild entstehn.
Sonett 43
William Shakespeare
Der gestrige Theaterabend "Shakespeares Sonette" war anregend und berührend. Dies Sonett hat mein Herz besonders erreicht und ich widme es Florian in diesen Tagen
Buch des Abschieds 13
Montag, der 18.Juni 2001
Hi, my sweet son, my angel,
wenn ich schreibe, spreche ich deutsch mit Dir: dies ist wohl die Kapitulation vor der Sprache in schriftlicher Form. Wenn ich mit Dir spreche, spreche ich englisch und Du antwortest in der gleichen Sprache.... strange!
Heute nacht, Florian wurde ich wach und fühlte mich so glücklich - ich fühlte mich in Rosen gebettet und ich dachte ganz intensiv an Dich. Ich hatte in der Sekunde des Erwachens einen Satz im Kopf, der etwa so lautete....“Ich danke Dir für diese Nächte. In meinen Schlaf fallen Gedanken wie Blütenblätter, sie kommen von Dir. Sie sind leicht, sie sind unglaublich schön, Worte, Bilder, Gefühle....“ Ja, sie kommen von Dir.
Die Nächte sind meine Quelle der Kraft geworden. Sie sind ruhig, ich ersehne diese Ruhe in diesen Tagen und sie sind eine Quelle der Inspiration. Auch wenn ich mir die Dinge nicht merken kann, die dort geschehen, ich bin sicher, ich trage sie in mir. Tiefe Gefühle der Ruhe und des Ergebenheit in mein Schicksal begleiten die Nächte – ganz anders als die Tage.
Dies war von Anbeginn so. Du hast mir meine Nächte gelassen, die verdiente Ruhe und
das Schöpfen von neuer Kraft. Ich bin so erschöpft abends, so leer von allen Tränen und allem Schmerz des Tages. Ich lasse mich fallen, ohne Ängste, ohne Vorbehalte in diesen erlösenden Schlaf. „Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes“ sagt man. Vielleicht kann ich mich ihm deshalb so gut hingeben....
Ich bin zurück zur Arbeit heute und es tut mir gut. Es bündelt die Gedanken für eine Weile, zieht sie ab von meinem Trauerleben und ich empfand dies heute als eine „Ruhepause“....Ich habe Dir eine Kerze in meinem Büro angezündet, Deine Fotos sind dort und Du schaust mir bei der Buchhaltung über die Schulter.... Du hast doch gerne „Büro“ gespielt.... Du gibst acht, daß ich aufmerksam bin und meine Arbeit gut verrichte.
„ I don’t want to see you today, Mom“, sagtest Du zu mir als ich heute morgen zum Büro fuhr. Mir war flau, ich spürte wieder dieses Gefühl der Kraftlosigkeit – ich habe im Moment angst davor, an Deinem Grab zu sitzen.... ist das nicht verrückt? Ich will Dich nicht tot wissen, nicht die Gewißheit dokumentieren, noch nicht, ich habe doch noch einige Tage hier mit Dir.....
Der Kalender des letzten Jahres in dieser Woche ist voll:
Montag, 19. Juni 10.00 Flo Hautarzt
Du warst dort, die kleine Rechnung von ihr liegt im Kalender. Dein kleiner Fleck am Bein....Wäre es doch alles gewesen....
Abends war Männergruppe hier bei Hans-Jürgen. Alle haben Euch begrüßt, sich gefreut, Dich einmal wieder zu sehen.... bis spät in die Nacht saßen sie am Wasser....
Dienstag, 20. Juni 15.00 Flo Zahnarzt
Wir haben den Termin ausfallen lassen. Ich weiß heute nicht mehr weshalb. Du wolltest irgendwie nicht mehr.
Mittwoch, 21. Juni Friseur
Du warst bei Marti. Eimear war mit Dir dort und ich habe Euch beide abgeholt. Es war nicht viel von Deinem Haarschopf abgeschnitten worden - darauf achtetet Eimear schon. Sie liebte Deine langen, schönen Haare! (Nur wenig später wäre ich so froh gewesen, ich hätte eine der Haarsträhnen dort vom Boden aufgehoben und mitgenommen!)
Ich habe Euch mein neues Büro gezeig und wir beide haben die Küche ausgemessen, weil wir am nächsten Tag zu IKEA fuhren, wo ich die neue Küche bestellte.
Eimear war schr müde, schlief im Auto sofort ein. Es war alles immer sehr anstrengend für sie.
Donnerstag, 21. Juni 10.00 IKEA
Diese Bilder des gemeinsamen Einkaufs bei IKEA waren jahrelang eingebrannt in mein Gedächtnis. Ihr wart beide begeistert, habt Kleinigkeiten für die Wohnung gekauft, während ich die neue Küche bestellte. Eimear konnte sich nicht satt sehen - und Du hast die Stühle ausgesucht, die noch heute um den Esstisch in der Beratungsstelle stehen.. Jahrelang saß ich auf ihnen.. ich nannte sie "Königesstühle", wie sie ein leuchtend blaues Polster hatten.. von Dir gewählt!
Freitag, 22. Juni Mirco und Mirjam kommen zum Grillen
Hier berühren mich die Fotos sehr. Es enstand an diesem Abend das Foto, das einen Moment zwischen uns festhält - der so voller Rätsel ist, wie das, was dann geschah...
Warum, Florian?
Samstag, 23. Juni Stephan, Claudine und Michael
Sonntag, 24. Juni kein Eintrag
Ich weiß nicht mehr, was wir gemacht haben..... Es war ja nicht so wichtig. Wir schienen doch alle Zeit der Welt zu haben. Der bevorstehende Abschied... nur einer auf Zeit - und dann würdest Du wiederkommen...Abends saßen wir draußen, und dann hast Du Dich in der Küche von mir verabschiedet....
Aber dort sind wir noch nicht, Florian, wir sind erst am Beginn dieser Woche!
Samstag abend saßen Hans-Jürgen und ich draußen und gingen die Fotos der letzten Reise mit Dir im Juni 1999 zusammen durch. Die Irlandkarte lag vor uns und wir rekonstruierten unsere Route. Was waren dies für schöne, unbeschwerte Tage.... Die Fotos blieben damals liegen, es schien mir nicht wichtig, ein Album zu machen – es sollten noch so unendlich viele Irland-urlaube mit Dir folgen.....Nun saßen wir vor diesen Bildern und in mir wurden sie mehr und mehr zu einem Scherbenhaufen, einem zerstörten Traum, einem Rückblick in eine Zeit, die nicht mehr ist, in ein Leben, das geendet hat. Immer unvorstellbarer, daß es keine Reisen mehr mit Dir geben soll, daß dies UNSERE LETZTE IRLANDREISE MIT DIR WAR.
Nein, ich kann dieses Album nicht machen, nicht jetzt, ich will es nicht machen, ich will es nicht hinnehmen – alles in mir hat sich aufgebäumt und bäumt sich auf, wenn ich dies schreibe. Eine unendlich Resignation überfällt mich heute – eine Kapitulation vor dem, was unausweichlich geschah und geschieht. Ich konnte es nicht steuern, nicht aufhalten dieses Schicksal, mein Florian. Es hat mich zu Boden geschleudert, meine Träume zerstört, mein Leben angehalten. Noch immer halte ich den Atem an vor diesem Grauen, das mich immer wieder einholt.....
Hilf mir Florian, hilf mir Boden unter den Füßen zu behalten, step by step, Schritt für Schritt!
Deine Mom
Foto: Florian + Eimear bei der Familienfeier im Schwarzwald!
Dienstag, 16. Juni 2009
Shakespeare
Ich seh viel mehr, mach ich die Augen zu..
Doch wenn ich schlaf, erscheinst im Traum mir du
Traums Dunkelhell erhellt die Dunkelheit....
Shakespeare, Sonette
Heute gehen wir ins Theater: Shakespears Sonette.. und auch dies eine Brücke zu Florian. "Ich liebe Shakespeare, darf ich etwas für dich zitieren?"...Florian beim Frühstück - kurz vor dem Abitur. Shakespeare war Abi-Thema.. und da saß er, mein schöner, geliebter Sohn und rezitierte... beim Frühstück.
In seinem Requiem trug Eimear Shakespears Sonett 18 vor. Der bewegendste, berührendste und traurigste Moment dieses Abschieds.
Sonnet 18
Shall I compare Thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all to short a date:
Sometimes too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold compexion dimm’d;
And every fair from fair some time declines,
By chance, or nature’s changing course, untrimm’d;
But thy eternal summer shall not fade
Nor lose possession of tha fair thou ow’st;
Nor shall Death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou grow’st:
So long as men can breathe or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.
(William Shakespeare)
Foto: Florian 1997
Bilder des Abschieds
Ich habe begonnen, die Fotos unserer letzten gemeinsamen Tage im Sommer 2000 zu scannen. Es hat neun Jahre gedauert, mich ihnen anzunähern. Es sind die letzten Aufnahmen eines glücklichen, unbeschwerten, runden Lebens.. Es werden keine neuen hinzukommen, die Florian zeigen.
Du bist gestorben
Du bist gestorben
Alles was ich war
Und gewesen sein sollte
War dahin
In den Strahlen des Mondes
Du hattest mein Abbild
Mitgenommen
In Deinen Tod
Als Erinnerung
Im letzten Brechen Deiner Augen
Doch Dein Atem
Ist fruchtbar geworden
Nach Deinem Tode
Zum ewigen Leben
Im bleibenden Wort
Aus Liebe
K.U. Götz
Buch des Abschieds 12
Mein Florian,
heute erzähle ich Dir eine Geschichte, die ich wunderschön finde, aus dem Buch „Das weiße Segel“:
„Fern der wimmelnden Menschenmassen ging ein Mann in die Wälder, um unter einem Himmel voller Sterne und neben einem plätschernden Wasserfall seiner Seele eine Rast zu gönnen.
„Was tust du hier in dieser wunderschönen sternenklaren Nacht?“ fragte der Wasserfall.
„Ich ruhe meine Seele aus,“ antwortete der Fremde.
„Deine Seele? Wovon“ fragte der lebendige Wasserfall.
„Das würdest du nicht verstehen“ entgegnete der müde Wanderer. „Danke einfach den Bergen und dem Bach, die dich hier halten, fern von der Zivilisation. Wo deine Musik meiner Seele Ruhe schenken kann.“
Eine Weile schwieg der Wasserfall und dachte nach. „Tatsächlich“, sagte er dann, „solltest du den Bergen und dem Bach danken, weil sie dich nirgendwo halten. Dir ist das Recht geschenkt, eine Wahl zu treffen, und du kannst nach Belieben kommen und gehen. Und dennoch muß deine Seele rasten? Ich wünschte, ich könnte mit dir zu diesen wimmelnden Menschenmassen reisen und sehen, woher du gekommen bist“.
Nie vergaß der Fremde die Worte des Wasserfalls. Ein Jahr verging, und die schlimmste Dürre seit Menschengedenken ließ die Wälder der Insel verdorren, in die er sich einst zurückgezogen hatte, um seiner Seele Rast zu schenken. Als er nach dieser Zeit in die Wälder zurückkehrte, war der Bach gänzlich ausgetrocknet, und an der Stelle, wo einst der Wasserfall gesungen hatte, war nur noch kalter, trockener Stein.
„Trauere nicht um den Wasserfall“, sprach ihn der Wind von fern an, „denn er wurde zu der Wolke, die dir jetzt Schatten spendet. Lerne die Dinge im Licht der Wahrheit zu sehen, und du wirst mit Verstehen gesegnet werden. Der Wasserfall hat entdeckt, daß er doch eine Wahl hatte. Nun ist er zu einer Wolke geworden, die sich schließlich in Regen verwandeln wird, und dann ..... wer weiß? Nachdem er in die Zivilisation gereist ist, wird er vielleicht von neuem wünschen, ein lebendiger Wasserfall zu werden; denn jedes Wesen der Schöpfung hat eine Wahl, und der Akt der Entscheidung schenkt unserem Leben Bedeutung.
„Aber wo in diesem ewigen Kreislauf ist mein Platz?“ fragte der Fremde.
„Du solltest noch einmal alles betrachten, was du gelernt hast. Beobachte und verstehe die Dinge, die um dich herum geschehen. Sie alle sind ein Teil von dir, und du bist ein Teil von ihnen. Dann wirst du deine Wahl treffen können“.
Er verstand, was der Wind von fern zu ihm gesagt hatte. Um seinen wahren Lebenszweck zu erkennen, mit aufrichtigem Begreifen und ohne Begrenzungen, würde er sich auf die Suche danach machen müssen.
Und nun, als er zum Himmel aufblickte und den lebendigen Wasserfall wie einen weißen Watteball sah, begann der Regen auf ihn herabzufallen. Das ist der lebendige Wasserfall, dachte er. Wahrhaftig, alles ist eins, wie der Wind es gesagt hatte.
Und so kehrte der Fremde ruhig zu den brodelnden Massen zurück, in die er gehörte, so wie der Regen zu dem Bach wurde, in den er gehörte. Denn er hatte seinen Lebenszweck erkannt: die Schätze, die er entdeckt hatte, mit anderen zu teilen.“
(aus: Das weiße Segel von Sergio Bambaren)
Ich habe heute keine Worte!
Montag, 15. Juni 2009
Buch des Abschieds 11
Samstag, 16. Juni 2001
Das ist unser Los,
Geborgenheit suchen zu müssen
und dennoch
heimatlos zu bleiben
auf dieser Welt.
Immer werden,
die er gezeichnet hat
mit seinem Siegel,
Fremde bleiben
im Haus
das endlich ist.
Gesegnete Sehnsucht.
Wie die Muschel
die Perle umschließt,
so verhüllt sich
im Schmerz
die Hoffnung.
Heimweh ist nichts
als der Schatten
des ewigen Hauses.
Sabine Naegeli
Liebster Florian,
ich habe so viel von Dir geträumt letzte Nacht: Du warst in allen Bildern des Traumes anwesend, obwohl Du auch in meinen Träumen meist nicht mehr lebst.... „I build my dreams around you“. Das ist wirklich ein gutes Bild. Ich träume von Blumen, die ich für Dich pflücke, von Worten, die ich für Dich suche und finde, von Menschen, mit denen ich über Dich spreche.
Ich träume wenig von Hans-Jürgen, komisch, aber vielleicht ist er wirklich zu lebendig und zu konkret in meinem Leben. Mein Mann, mein Freund, meine feste Burg! Ach Florian, Du wärst – trotz allem so stolz auf uns beide. Deine unendlich tapferen und liebevollen Eltern. Du könntest Dir keine besseren wünschen – jetzt schon gar nicht mehr! Hans-Jürgen ist so präsent, er ist so stark, so unverwüstlich, einfach ein unendlich liebevoller, wunderbarer Mensch.
Mit ihm lebe ich mein Leben auf eine Art rückwärts – ohne zu vergessen, daß wir es vorwärts zu leben wieder lernen müssen.... Es ist vielleicht die schwerste Aufgabe, die da noch kommt, aber wir werden sie meistern. Ich habe unendlich viel Vertrauen in ihn, seine Liebe und seine Beständigkeit. Wir werden neue Träume, neue Visionen entwickeln. Wir werden es tun und wir werden es schaffen. Wir müssen beide lernen, unser altes Leben loszulassen, ...da ist es wieder dieses Wort.
Loslassen, bedeutet anerkennen, daß unser Leben jetzt eine neue Dimension hat. Der wunderbare Abschnitt unseres Lebens, den wir mit Dir teilten, wird immer ein Stück unseres jetzigen Lebens bleiben. Wir lassen nicht nur ein Stück von selbst hinter uns, sondern wir nehmen ein Stück von uns selbst mit in die Zukunft, indem die Verbundenheit mit Dir weiterlebt. Wir müssen einen Abschnitt unseres Lebens loslassen, um einen neuen zu beginnen....
Hilfst Du uns bei dem, was vor uns liegt, Florian? Hilf uns, wir brauchen Deine Hilfe, wir brauchen Deine Liebe!
Deine Mom
Sonntag, 14. Juni 2009
Buch des Abschieds 10
Mein liebster Florian,
heute weiß ich gar nicht viel zu schreiben: der Tag war geprägt durch Aktivität – nach außen und erst jetzt abends komme ich ein wenig zur Ruhe.
Ich schicke Dir heute ein Gedicht – einen schönen Satz und .....ich versuche, hinter den Horizont zu blicken..... meinen eigenen?
Eine Wolke weiß nicht, warum
sie sich in eine gewisse Richtung und mit genau dieser
Geschwindigkeit bewegt.
Sie spürt einen inneren Drang und weiß,
wo der richtige Ort liegt.
Aber der Himmel kennt den Grund, und das Muster,
dem alle Wolken folgen.
Und auch Du wirst das erfahren
wenn Du Dich hoch genug in die Lüfte erhebst,
um hinter den Horizont zu blicken.
Deine Mom
Samstag, 13. Juni 2009
Buch des Abschieds 9
Florian, mein Liebster,
ich habe gerade mit Douglas in Irland telefoniert – Dein Freund Douggy, der sich immer zu freuen scheint, wenn er meine Stimme hört. Er wird Dich im August besuchen, er wird an Deinem Grab stehen, er wird dort um Dich weinen. Ihr wart eine Weile unzertrennlich: Du sagtest einmal, daß Eure Seelen verwandt seien, so nah konntet Ihr Euch sein. Douglas hat Dir über die schwere Anfangszeit in Camphill geholfen, er hat Dich zum Lachen gebracht.... später auch beinahe zum Weinen, denn Du warst sehr enttäuscht von ihm .... aber das ist jetzt vergessen, vergessen und vergeben. Er hat Dir das wundervollste Bild aus Holz geschnitzt,
ein wahres Kunstwerk – Dein Boot mit der Unterschrift....“Do not stand at my grave and weep...“ Diese Geste, diese Arbeit, die für Dich gemacht hat – wieviele Gedanken wird er in sie hineingearbeitet haben, Erinnerungen. Er hat alles gutgemacht damit!
Er wird Irland verlassen und mit seiner neuen Liebe nach Norwegen gehen – auf diesem Weg wird er ein paar Tage verweilen und ich freue mich schrecklich darauf, ihn zu sehen.
Ich habe ihn angerufen, um ihn zu bitten, am 1. Juli nach Dublin in den Grosvenor Square zu fahren und dort auf der Treppe einen Rosenstrauß für Dich niederzulegen. Er hat sofort zugesagt, „no problem, Gabi....“ Er war nie der Zuverlässigste, aber vielleicht hat sich auch dies geändert.... Let’s give him a chance....“
Ach, Florian, es ist wieder ein so schwerer Tag und meine Einbrüche werden immer tiefer, die Verzweiflung immer größer. Ich schreie wieder, ich schreie bis zur Erschöpfung....
Wenn ich dann mein Herz rasen höre und die Schmerzen spüre, dann spricht es mit Deiner Stimme: „Take care, Mom, it still is not your time.... I will tell you when, but not now...
I am around you just have to look and I don’t want you to be so upset. It hurts me, it makes me sad because than I feel guilty for my going. You know that I had no choice. Don’t make me feel guilty, Mom. I love you and send you peace.....“
Ich ging in den Garten und vor meinen Füßen lag sie, die kleine, wunderschöne graue Feder.
Auf dem Wasser schwamm eine andere – Ja, Florian, ich habe sie gesehen, ich habe es gespürt und ich habe den Frieden, den Du mir geschickt hast, aufgenommen:
Ich legte mich in die Sonne unter den Baum, ließ alle Pläne für heute sausen und widmete mich dem Buch, das ich lese – eine kleine spirituelle Entdeckungsreise: Das weiße Segel von Sergio Bambaren. Ich spürte wieder einmal so deutlich, welchen Reichtum mir die Öffnung meines Herzens und meiner Seele für Spiritualität gegeben hat – sie ist der wirkliche Reichtum dieser schweren Zeit, und nur durch diese schwere Zeit, kann ich sie empfangen. Dies ist ein Grund für Dankbarkeit, so paradox dies auch klingen mag.
Ich las über den Begriff: Zeit. Die Menschen sagen mir, daß die Zeit ein großer Heiler für meine Schmerzen sei. Ich denke heute, daß Zeit an sich kein Wert ist. Nur, wenn wir Frieden in uns gefunden und das Wesen unserer Sterblichkeit begriffen haben, wird Zeit zu einem stillen Begleiter, zu einem kostbaren Besitz, einer Erinnerung daran, jeden Moment unseres Lebens auszukosten, ohne ihn für selbstverständlich zu nehmen. Dann wird die Zeit unser bester Verbündeter.
Dies kann ich in mir spüren – dann spüren, wenn ich diesen Frieden spüre. Du bist zu meinem Lehrer geworden, Florian, Du lehrst mich Dinge, die meine Augen nie sehen konnten, meine Sinne nicht wahrnehmen, meine Ohren nicht hören. Dafür danke ich Dir.
Du hast mir eine neue Welt geöffnet - eine Welt, die wir nicht außerhalb sondern nur in uns finden. Dort liegt das eigentliche Paradies.
„Nur der ist groß, der die Stimme des Windes in ein Lied verwandelt, das durch seine Liebe noch süßer wird.“ (Khalil Gibran)
Ich beginne, diese wunderbaren Worte alle zu verstehen und ich finde Glück in ihnen.
Dies habe ich wohl dem Wachstum im tiefen, durchlebten Leid zu verdanken. Die äußere Welt kann uns nicht viel bieten, hat wenig Trost. Was Stütze und Hilfe ist, kommt aus uns, kommt über die erlebte Spiritualtität, das Wissen um Dinge, die jenseits dessen liegen, was erklärbar und sichtbar ist. Dies ist nicht wichtig, nicht für mich!
„Laßt die Winde des Himmels zwischen euch tanzen...
auch von Khalil Gibran. Er ist eine unerschöpfliche Quelle an Reichtum von Wissen und Klugheit. Ja, manchmal spüre ich diese Winde des Himmels und weiß um Deine Nähe und darum, daß Du mich behüten wirst, so lange ich diesen Erdenweg gehen muß.
Du wirst nicht von meiner Seite gehen und dann, wenn ich gehen darf und muß, dann wird es so sein, daß Du mir über die Regenbogenbrücke entgegenläufst und wir werden bis in alle Ewigkeit zusammen sein.
Deine Mom
Freitag, 12. Juni 2009
Depeche Mode
Buch des Abschieds 8
Mittwoch, 13. Juni 2001
Florian, mein liebster Sohn,
ich habe mich gerade aus dem Liegestuhl neben Hans-Jürgen weggeschlichen.... Wir haben uns in den Garten gelegt, es ist Mittwoch, „Beziehungstag“ haben wir ihn früher genannt. Du warst mittwochs immer bei Mirco, viele viele Jahre lang haben wir dieses Ritual beibehalten. Ich wußte Dich versorgt und gut aufgehoben. Die anderen Tage gehörten uns beiden.
....“Und andere Dinge werden mit Deiner Sprache sprechen.....“ dieser Satz von Neruda ging mir unentwegt durch den Kopf, als ich meine Sinne vorhin schweifen ließ. Der Garten ist voller Vogelstimmen. Sie sind das erste, das ich morgens wahrnehme, wenn ich aufwache und oft das letzte, das mich abends an Geräusch in den Schlaf begleitet. Nachts, wenn ich wach liege, irritiert mich die Stille draußen und ich vermisse diese zarten Stimmen.
Kürzlich hörte ich einen zauberhaft schönen Gesang. Es muß eine Nachtigall nebenan im großen Park leben. Ich werde mich bemühen, sie wieder zu hören...
Meine Blicke gingen zu den Wolken, suchten nach Formen, die als Zeichen von Dir verstanden werden könnten, suchten im Wind nach einer Nachricht. Sanft bewegt er heute die Blätter, ich sah durch sie hindurch auf den Himmel – ein berührender Blick. Dein Windspiel im Pflaumenbaum ist ganz zart nur zu hören, der Wind haucht es an. Mein Blick verlor sich im Himmel, den Wolken, der Unendlichkeit – dann durchkreuzte ein Flugzeug den Blick und die Gedanken und wie ein Faustschlag treffen die auftauchenden Bilder mein Herz und meine Seele.
Nur noch wenige Tage hatten wir im letzten Sommer um diese Zeit zusammen vor uns.
Dann seid Ihr zurückgeflogen und Eimear erzählte mir, ihr hättet auf den Plätzen E und F gesessen, die Reihe habe ich vergessen, aber Ihr habt es als Zeichen gewertet und dadurch hatte sie sich alles gemerkt. Als sie mit Dir am 6. Juli zurückkam saß sie mit ihren Eltern in der gleichen Reihe auf den gleichen Plätzen.....Sie hatte von Sitz aus beobachtet, wie man Deinen Sarg mit großer Sorgfalt und Ruhe verlud....
Dann ist alles wieder in mir, Florian, alle Ruhe ist weg und Schmerz und Verzweiflung ziehen dort ein. Sie sind meine ständigen Begleiter dieser Tage.
Eimear erzählte auch noch, daß, als Euer Flugzeug durch die Wolken in die unendliche blaue Weite des Himmels aufstieg, Du sagtest: „This is what heaven must be like....“
Nun suche ich Dich dort, mein Engel, dort in der Weite, dort in der Unendlichkeit und weiß, daß ich Dich nicht finden kann – nicht außerhalb – ich kann Dich nur in mir finden, Dich in mir tragen, Dich mit mir tragen.
Ich höre Hans-Jürgen in der Küche klappern und werde zu ihm gehen – immerhin ist „Beziehungs-Tag“ heute und vielleicht hast Du auch schon genug gelesen, sind Deine Augen müde!
Ich streichle Dein Haar, mein liebster Sohn in Gedanken.
Deine Mom
Foto: Himmel über dem Slievenamon - dem heiligen Berg - auf den Du aus Deinem Küchenfenster in Camphill geschaut hast
Donnerstag, 11. Juni 2009
Buch des Abschieds 7
Dienstag, der 12. Jun.2001
Flori, mein liebster Flori,
ist es die Tatsache, daß der Tag näher rückt, daß ich ein Gefühl entwickle, als rücke noch einmal der Abschied näher.... als würde ich nicht seit einem Jahr Abschied nehmen....
Ist es der Regen, der mich noch trauriger macht, mich an das Haus fesselt, mir selbst die kleinen Gänge durch den Garten unmöglich macht?
Ich fühle mich heute leer, ich fühle mich so ausgebrannt, so sehr meines Lebenswillens beraubt.... Wie soll dies Leben denn sein, warum zwingst Du mich, es zu leben?
Heute will ich es nicht. Es ist mir zu schwer. Es drückt mich zu Boden und ich sehe das Licht am Ende des Tunnels nicht. Wo mein Herz ist, ruht ein schwerer Klumpen Blei. Ich kann nicht spüren außer dieser unendlichen Leere. Ich will dies Leben nicht – ich kann es nicht ohne Dich leben, will es nicht ohne Dich leben – heute nicht! Ich spüre auch Wut, viel Wut, nicht auf Dich, mein Sohn, Du kannst nichts an diesem Schicksal ändern. Es ist eine Wut, die ins Leere geht, oder durch die diese Leere entsteht. Ich weiß es nicht. Es gibt keinen Adressaten, ich selbst bin offenbar das Opfer....
Immer näher kommt der Moment.... und mit dieser enstehenden Nähe die Erinnerungen.
Der 1. Juli 2000 – der Schicksalstag in unserem Leben, der zum Schicksalstag für viele Leben wurde....
Immer wieder versuche ich, mich zu erinnern, was in mir geschah, als ich die Nachricht erhielt.... Ich habe es einfach nicht an mich heran gelassen, Florian, ich habe mein Herz ganz schnell verschlossen, meine Seele umhüllt: Alle meine Sinne waren durch den Schmerz betäubt und ich ging wie in einem Vakuum. Mein Geist war voller Gedanken und Erinnerungen, Stimmen und Schreie, es war eine unendliche Rastlosigkeit in meinen Gedanken und suchte tastend nach einem Weg durch dieses Labyrinth in meinem Inneren.
Ich konnte nur ahnen, was dieses Leben nunmehr für mich bedeuten würde. Ich wußte
noch nicht um die Stille und den Schmerz Deiner ewigen Abwesenheit, die meine Träume und Hoffnungen, von der Zukunft, die nie sein würde, zunichte machte. Ich wußte noch nicht!
Dies, mein Engel ist der Unterschied zu diesem Jahr. Ich muß mich dem Tag Deines
Gehens, Deines Weitergehens stellen, ich habe diesen Schutz nicht mehr – heute weiß ich!
Ich spüre es so deutlich, ich kann dem Schmerz nicht ausweichen, ich kann nicht fliehen, ich muß mich ihm stellen, weil ich auch weiß, daß ich sonst zerbreche. Nicht am Schmerz zerbreche ich, ich würde zerbrechen, würde ich mich nicht vorbehaltlos stellen!
Manchmal wünschte ich, es gäbe ein Fliehen, irgend eine Fluchtburg, die ich noch nicht kenne und dann spüre ich, daß ich ja um DICH trauere und um DICH weine.
Wie könnte ich davor fliehen? Sollte ich nicht um Dich weinen und trauern, der Du doch so viele Jahre mein Lebensmittelpunkt warst? „I built my world around you....“ War es so, Florian? Ein wenig schon, aber auch nicht ganz.... Ich verlor Dich aber niemals aus meinem Blick, Du bliebst immer im Zentrum meiner Gedanken, meines Lebens. Und das bist Du nun noch mehr als jemals zuvor!
Meinen die Menschen mit LOSLASSEN dies – ich sollte Dich an die Peripherie meines Lebens, meiner Gedanken, meiner Liebe stellen???? Wie soll dies gehen? Ich will Dich nicht loslassen, ich will Dich nicht an irgendeinen Rand in meinem Leben stellen – nicht jetzt jedenfalls. Ich denke, dies kann nur in einem Prozeß geschehen..... nicht per Beschluß und per Wille.
Letztes Jahr nach dem 1. Juli:
Ich schwamm, als ob ich durch die Ermüdung meines Körpers meine Seele heilen könnte.
„Ich spürte, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt: Man kann ganz unten bleiben und sich an die Qual dieser lähmenden Tiefe gewöhnen, den stechenden Schmerz betäuben,
für den man in seinem Inneren kein Gegenmittel findet, man kann sich das Leben nehmen, oder man kann beschließen, wieder an die Oberfläche zu steigen und das Leben erneut zu beginnen. Diese Entscheidung verlangt eine bewußte Anstrengung, denn es ist eine aktive Entscheidung und sie kann nur gelingen, wenn man sich seinen Problemen wirklich stellt.
Sie verlangt Ausdauer und Tatkraft, sie durchzusetzen und sie bedeutet Veränderung.“
(Kuki Gallmann)
Ja, Florian, ich habe mich verändert. Ich bin nicht mehr „im Herzen jugendlich gebliebene“
Mutter, ich bin erwachsen geworden. Dein Tod hat mich dazu gezwungen und ich will auch nicht mehr zurück. Ich konnte mit Dir noch einmal so wunderbar durch diese Zeit gehen.
Du hast mich mitgenommen zurück in eine Jugend, die ich so unbeschwert wie mit Dir nicht gekannt hatte. Ich danke Dir für diese Zeit, mein Florian!
Jetzt bin ich erwachsen und nun trage ich eine schwere Last und die Erinnerung und die Sehnsucht nach diesem alten Leben mit Dir, der Unbeschwertheit, der Leichtigkeit......hallen
wie ein Echo in mir nach – weit weg, in einem anderen Leben. Ich kann die Sehnsucht spüren, aber sie ist es auch, die den Schmerz bringt, diesen stechenden, bohrenden, betäubenden Schmerz darüber daß dies alles geendet hat!
Gestern überspielte Hans-Jürgen hier nebenan im Zimmer eine Cassette – aus dem letzten Sommer für Mutter Ilse, deren Geburtstag wir morgen ..... gefeiert haben.... Ich hörte plötzlich Dein Lachen, hörte Dich lachen, Florian, Dich, der Du doch nicht mehr da bist..... Mein Gott, es durchfuhr mich und ich weiß, daß ich mich davor schützen muß..... dies geht nicht zusammen in mir....Ich weiß, daß diese Dokumente Deines Lebens unendlich wertvoll sind und vielleicht kommt der Tag, an dem ich mich ihnen nähern kann – jetzt muß ich erst einmal Abschied nehmen von Dir – von den Bildern des letzten Sommers.....
Mit unendlicher Traurigkeit bin ich heute
Deine Mom
Mittwoch, 10. Juni 2009
Rilke
womit wir tief und wunderbar zusammenhängen,
so ist viel von uns selbst mit fortgenommen.
Gott aber will, dass wir uns wieder finden,
reicher um alles Verlorene und
vermehrt um jenen unendlichen Schmerz.“
Rainer Maria Rilke
Buch des Abschieds 6
Florian, mein Engel,
heute blieb Deine Uhr stehen: 4.48 Uhr. Dies ist die Zeit, die auch noch immer auf dem Wecker eingestellt ist, den Du am Vorabend Eurer Abreise für Euch gestellt hast.....Was wolltest Du mir sagen? Es ist noch nicht Tag der Abreise, mein Liebster. Laß uns noch ein wenig Zeit miteinander, bevor Du (wieder) gehen mußt!
Deine Zeichen Florian, sie sind so allgegenwärtig seit einer Woche, daß sie mich fast ein wenig verwirren.
Ich bat Hans-Jürgen am Mittwoch, mit mir zu IKEA zu fahren. Er war ein wenig erstaunt, denn auch er erinnerte, daß Eimear, Du und ich vor einem Jahr dort waren....Immer wieder brach ich in den letzten Monaten dort in Tränen aus, wenn wir einkauften...
Wir hatten nichts konkretes, es zog mich hin - auf der Suche nach all den Bildern.... Wir kauften im Sommerzelt ein, eine ganze Menge, große Töpfe für den Garten .... und bezahlten noch nicht einmal die Hälfte dessen, was wir hätten bezahlen müssen..... Ich kam lachend aus dem Laden und wußte sofort.....Du hast Hans-Jürgen ein Geschenk gemacht - dies war ein Zeichen an ihn. Dies knüpfte so sehr an an den Jokes, die Du immer wieder mit ihm und über ihn hinsichtlicher seiner Sparsamkeit gemacht hast....Wir luden das Auto voll und waren beide so heiter und so glücklich. Du warst da!
Wir gingen weiter in das Hauptgeschäft.... und mein Herz blieb stehen:
Die ganze Wand im Eingang (eine Wand über 2 Stockwerke) hing voll mit dem Plakat von Edward Hopper, Deinem Plakat Florian, dem Bild, das in Deinem Zimmer hängt, das ich Dutzende Male als Karte verschickt habe, von dem ich mir Vorräte anlege, damit sie nie zur Neige gehen! Ich konnte es nicht glauben, brach in Tränen aus.... Da warst Du schon wieder!
Hans-Jürgen beruhigte mich und wir gingen weiter: im Laden dann noch einmal ein weiterer "Zufall": mitten in IKEA hängt hundertfach ----- ein Herz in den Sand gemalt - und darin steht LOVE !!!!! Es gleicht so sehr dem Foto, das ich an der Ostsee gemacht habe: Dein Name mit Muscheln in ein Muschelherz in den Sand geschrieben. Ich mußte es einfach mit Dir in Verbindung bringen... die Erinnerung ist noch so frisch.
Ich beschloß, heute noch einmal zu IKEA zu fahren, die Posterwand zu fotografieren und eines der kleineren Plakate zu "klauen"....(verzeih mir Florian, aber ich hätte sicherlich keines bekommen...) und ich wollte es für Dein Zimmer.
Fast hatte ich Angst, die Poster könnten abgehängt sein, aber sie hingen noch immer dort und wieder umfing mich eine seltsames Gefühl der Nähe zu Dir.
Ich machte mein Foto und ging weiter. Ich hörte Musik und schaute um eine Ecke in ein
aufgebautes Wohnzimmer. In einer überdimensionierten Glotze sang : BON JOVI!
Eimear’s Bon Jovi. Wir haben gestern so lange darüber gesprochen, denn gestern war sein Konzert in Dublin und sie schrieb mir, daß sie vorhatte hinzugehen – mit Walid, ihrem neuen
Freund. Ich konnte es schwer glauben und noch immer schmerzt mich der Gedanke:
Als Ihr im letzten Sommer am Mittwoch abend nach Dublin zurückkamt, hast Du ihr gleich am nächsten Tag, also nur zwei Tage vor Deinem Tod, zwei Karten für das Bon Jovi-Konzert in Dublin geschenkt, zu dem Ihr beide gehen wolltet..... Eimear hat die Karten verfallen lassen, sich an diesem Abend das Vidio „Message in a bottle“ mit Ihrer Schwester angesehen.... Und nun, fast genau ein Jahr danach..... Ich kann es schwer glauben. Ist sie schon wirklich so weit weg?
Habe ich Dir erzählt,Florian, daß ich seit dem 5. Juni täglich ein Foto mache - ein Foto, das ich mit Erinnerungen fülle und das diese besondere Zeit noch einmal dokumentieren wird. Alles Hilflosigkeit? Alles nur Ersatzhandlung? Ich weiß es nicht... ich kann nicht anders. Ich MUSS die Dinge im Moment so machen, wie ich sie mache. sie ermöglichen mir das Aushalten des unfassbaren Schmerzes, der unter meiner Haut liegt...Meine Haut ist so dünn in diesen Tagen!
And I hope you see this world through my eyes
But I hope you don't see the tears I cry
Wenn ich morgens wieder barfuß durch den Garten gehe, dann bin ich wieder im letzten Sommer - mit allen Gefühlen, die mich dort begleiteten. Das Entsetzen kommt wieder, das nicht-wahrhaben-wollen, die Ungläubigkeit, daß gerade mir in meinem Leben solch ein fürchterlicher Schlag wiederfahren soll ..... aber Du bist doch vielleicht einfach noch irgendwo. Du kannst nicht tot sein, nein das kannst nicht, weil Du doch mein Sohn bist, weil ich Dich doch so sehr liebe, weil ich Dich doch brauche in meinem Leben, Du bist doch mein Sonnenschein, mein Sonnenkind......
Ich sehne mich so nach Deiner Stimme in diesen Tagen, ich kann sie im Moment nicht hören. Ich traue mich aber auch nicht, eines der Videos anzustellen. Dort ist sie festgehalten. Fest-
gehalten für die Ewigkeit und an dem Tag, an dem sie wirklich aus meiner Seele verschwunden ist, werde ich sie mir wiederholen – wiederholen von einem Video..
Draußen scheint die Sonne, sie hat sich kurz hervorgewagt. Ich kann sie schwer ertragen. Mein Herz ist so schwer heute. Vorhin rief ich immer wieder den Satz ins Leere....“Ich hasse dieses Leben, ich hasse dieses Leben ohne Dich so sehr...:“ Dann fühle ich mich so undankbar und weiß doch, daß Du mir noch immer so viel schenkst, auch jetzt noch, wo Du doch eigentlich ganz andere Dinge zu tun hast. Du bist ein so unendlich lieber Sohn – Du bist meine große, große Liebe, und diese Liebe Florian ist die Brücke zwischen unseren beiden Welten. Durch diese Liebe sind wir und werden wir immer verbunden bleiben.....
Ich liebe Dich, mein Kind, ich liebe Dich so sehr!
Deine Mom
Foto: Bild von Edward Hopper - Florians absolutem Lieblingsbild
Dienstag, 9. Juni 2009
Zufälle...
Ich saß zwischen seinen Pullovern als das Telefon klingelte. Eine Mutter, die vor einigen Jahren über mein Buch in Kontakt zu mir getreten war, meldete sich. Sie habe heute an mich gedacht - wie es mir gehe. Und ich erzählte ihr, dass ich zwischen meinen "Reliquien" säße - mit ruhigem Herzen - und einer großen Ergebenheit in diese Tage. Und ich fragte sie, wie es ihr ginge.
Sie erzählte, dass sie gestern im Zimmer ihres Sohnes Richard stand, der Ende Mai vor 10 Jahren gestorben ist. Nichts habe sie in diesem Raum verändert.. Sie schaute sich sich um und sah Richards Hose, die er noch zuletzt getragen hatte, an der Tür hängen. "Ach Richard, nun ist es aber langsam Zeit, diese schmutzige Hose zu waschen" - sagte sie zu ihrem Sohn...Heute hängt diese Hose irgendwo in einem Dorf im Allgäu an der Leine!
Ich weinte, als sie mir dies erzählte und fragte sie, ob sie diese Synchronizität nicht auch als ein Zeichen der Anwesenheit unserer Söhne erleben würde. Dann weinten und lachten wir zusammen.. Nein, an "Zufälle" glaube ich schon seit Florians Gehen nicht mehr!
Buch des Abschieds 5
Du siehst für uns in die Ewigkeit;
und wir für Dich in die Welt.
Und wir wissen,
daß Du immer bei uns bist,
so wie wir bei Dir!
Diese schönen Zeilen werden für Dich am 1. Juli in die Zeitung setzen – unser Nachruf an diesem 1. Jahrestag!
Es ist schon spät und wieder ist ein Tag um. Ich habe nicht die Zeit gefunden, Dir zu schreiben.
Sonntag ist heute. Ich war seit Tagen zum ersten Mal wieder an Deinem Grab. Ich fühle mich fremd dort, will und kann nicht wahrhaben, daß Du dort liegen sollst – noch nicht. Ich lasse Dich doch in meinen Gedanken gerade wieder leben....Alles blüht, your little garden is beautiful und wir saßen im Regen unter dem Schirm auf der Bank, die man uns wegnehmen will. Wir werden sie dort lassen, denn was sollen wir ohne Bank nur anfangen? Sie gibt einem die Ruhe, läßt einen „verweilen“ und nicht gleich wieder davongehen.... Wir kämpfen um unsere Bank bei Dir mein Sohn!
Heute nachmittag kamen Boris und Mirco. Florian. Du wärst so stolz auf Deine Freunde. Ich muß es Dir immer wieder sagen. Sie sind wunderbar! Sie sind Dir so treu und liebevoll verbunden und damit uns! Beide melden sich regelmäßig bei mir, wir telefonieren lang, sie kommen uns besuchen – gerne kommen sie zu uns und empfinden ihre Besuche als Bereicherung und wir ihre Besuche auch. Neulich in Mircos Traum warst Du wieder da – strahlend und verschmitzt. Du meintest, alles sei nur ein joke gewesen und nun wärst Du zurück! Wenigstens im Traum mein Engel, können unsere Wünsche Berge versetzen und Dich auferstehen lassen.... wenigstens in unseren Träumen. Wir alle träumen von Dir – Hans-Jürgen hatte neulich einen wunderschönen Traum:
Astrid, er und ich waren beisammen. Vor uns lag ein Baby. Es war reglos und es war leblos.
Wir nahmen es auf und wiegten es in unseren Armen und es erwachte Leben in ihm.... Wir waren gerührt und legten es wieder hin.....
Ich finde diesen Traum so schön, weil ich weiß, daß Du es warst, denn wir in den Armen hielten, und dem wir durch unsere Liebe und Zuwendung Leben gaben. Vielleicht ist dies einfach unsere Aufgabe: Dich durch unsere Hingabe und Liebe, am Leben zu erhalten.
Du dankst es uns, indem Du uns Deine Zeichen gibst!
Ich gehe nun zu Bett und schreibe morgen ausführlicher. Schenkst Du mir heute einen Traum, mein freier Geist, mein free spirit?
Putz die Sterne am Himmel für uns, laß sie uns leuchten und halte Deine Hände über uns
I love you so much
Mom
Montag, 8. Juni 2009
Buch des Abschieds 4
Liebster Florian,
Post von Eimear und ich weine. Sie ist so weit weg. Sie ist kaum mehr erreichbar für mich.
„Back to her life....“, ja sie lebt wieder in Dublin, hat ihren alten Job wieder angenommen, lebt bei einer/m FreundIn. Die Auskünfte sind vage, sie will nicht mehr von sich preisgeben. Sie wird nicht kommen zum 1. Juli – ich habe sie nicht mehr erwartet – und dennoch macht mich diese Nachricht traurig, ich spürte, daß ich sie verlieren werde – vielleicht habe ich sie längst verloren!
Ich stand eben in Deinem Zimmer, vor Deinem Foto steht eine Rose, sie reicht bis an Dein Kinn. Ich bin mit meinen Fingerspitzen die Konturen Deines Gesichtes nachgefahren. Noch immer ist dieses Gesicht für mich ganz lebendig – ich sehe Dich ganz deutlich hinter diesem Foto. Dein Blick ist manchmal so direkt, daß er einen tief ins Herz trifft. Damals, als wir dieses Foto aufnahmen, waren wir gerade ein paar Stunden in Irland angekommen und setzten unsere Reise mit Dir – entlang der Westküste Irlands – fort! Es war unser erster Stopp.
Ein hübscher, kleiner Ort, Du hattest von ihm gehört und als wir uns dort umsahen begegnete uns ein Brautpaar. Es war windig, wie meist in Irland und ihr Schleier drohte wegzufliegen.
Damals hatten wir die Vision, wie es sein wird, wenn Eimear und Du eines Tages heiraten werden.....Du sagtest, daß Eimear gerne auch in einem dieser Stroh gedeckten Häuschen wohnen würde und Du fändest sie auch so schön, so heimelig.... Ja, Florian, damals dachten wir, es stünden alle Tore noch offen, dabei war schon in diesen unbeschwerten Tagen mit Dir unser ganzes Schicksal besiegelt.
Wenn wir es gewußt, geahnt hätten, mein Flori, was hätten wir gemacht; hätten wir die Zeit anders, besser genutzt? Ich denke oft darüber nach, ob ich nicht doch etwas versäumt habe,
ob wir nicht mehr aus unserer Zeit hätten machen können – noch mehr!
Es war Deine Zeit, in der die Entscheidungen über Deine Zukunft getroffen waren: Du wußtest, daß Du mit Eimear im Sommer nach Dublin ziehen würdest, Du hattest Dich für
Psychologie entschieden. Es waren die Weichen gestellt. Wir waren gespannt auf Eimear, die Du uns einige Tage später in Dungarven brachtest....sie hatte ihre Schuluniform noch im Auto gegen „zivile“ Kleidung vertauscht.... Your school-girl! Sie war so unendlich jung, so zart,
so unsicher. Man wagte kaum, sie anzuschauen und doch mußte man sie einfach anschauen, denn wir fanden sie sofort wunderschön: eine irische Schönheit!
Vielleicht braucht sie nur eine Auszeit, um in ihr Leben zu finden, vielleicht taucht sie eines Tages wieder auf und erinnert sich an uns. Hast Du Einfluß darauf, mein Sohn?
Sie schien nie mit Dir im Kontakt zu sein, träumte nicht von Dir oder nur ein einziges Mal?
Warum? Kannst Du sie nicht erreichen? Erwartet sie zuviel von Dir? Ich fand es immer so traurig, daß sie nicht teilhaben kann an der Magie, die man mit Dir erlebt......
Heute vor einem Jahr. Wir waren auf dem Weg in den Schwarzwald: Zwei Familienfeiern standen an. Ihr beide saßt hinten im Auto – bei 32 ° - eine anstrengende Fahrt von 10 Stunden.
Eimear schlief fast die ganze Zeit- Du hielst sie im Arm.
In den folgenden zwei Tagen versammelte sich um Dich – wie ich es heute denke – meine gesamte Familie. Die, die Dich noch nicht kannten (was bei unserer Patch-work-famly) leider der Fall war) lernten Dich nun kennen. Du sahst meine (leibliche) Mutter zum ersten Mal und sie war berührt von Eurer Begegnung. Deine Cousinen, deren Kinder – alle waren noch einmal um Dich – zu einem großen Abschied… nur wussten wir es alle nicht.
Ich habe diese Fotos noch immer in den Tüten, in denen ich sie damals abgeholt habe.
Du hattest eine Brille bekommen.. ich weine, wenn ich diese Fotos sehe. Eimear liebte Dich mit Brille: „He looks even more intelligent“ – sagte sie lachend und küsste Dich. Diese Fotos sind so bedeutsam – ich habe sie nur in dieser Zeit in der Hand – die letzten Fotos von Dir.
Berlin begeisterte Euch nach der Rückkehr mit seinem Sommer. Unbeschwerte Tage.
Und Ihr habt sie wirklich genossen.. Es gibt kleine Filmaufnahmen, die Hans-Jürgen machte.Ihr tobt durch den Garten – Eimear verfolgt Dich mit dem Gartenschlauch. Dein Lachen, Eure Ausgelassenheit… heute bricht mein Herz, wenn ich es sehe.
Du trafst Dich einen Abend mit Deinen Freunden. Eimear blieb bei uns. Wir kochten zusammen und saßen bis in die Nacht draußen. Eimear erzählte aus ihrer Kindheit. „I really was a wild child“… und wir lauschten ihrer wundervollen Sprache und lachten herzhaft über ihre Erzählungen. Vielleicht haben wir uns in dieser Nacht erst richtig in sie verliebt.
Wie gut verstanden wir Deine Liebe zu ihr! Sie ist ein ganz besonderes Mädchen.
Ich zünde nun die Kerzen wieder an, die zwischenzeitlich ausgegangen sind..
Meine Gedanken, meine Liebe schicke ich auf die Reise zu Dir – wissend, dass sie nicht weit zu fliegen brauchen… nur um die nächste Ecke.. Dort bist Du!