"Und manchmal, während wir so schmerzhaft reifen, dass wir beinahe daran sterben, erhebt sich aus allem, was wir nicht begreifen, ein Gesicht und sieht uns strahlend an" Rainer Maria Rilke
Freitag, 26. Juni 2009
Buch des Abschieds 16
Dienstag, 26. Jun. 01
Florian, vor mir auf dem Tisch schaue ich in den Kalender 2000 und es naht unser Abschied.
„Last kiss“ steht dort am 27. Juni, dem Tag Eurer Rückreise nach Irland.
Die sonnigen, unbeschwerten und glücklichen Tage neigten sich dem Ende zu und wir nahmen diesen Abschied leicht. Es sollte ein Abschied für nur wenige Monate sein und ich war so voller Vertrauen, dass wir – nach vielen Jahren – endlich wieder ein gemeinsames Weihnachtsfest feiern würden – das erste gemeinsame nach fünf Jahren.
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Du hattest alles erledigt, was Du Dir vorgenommen hattest: Arzttermine, Friseur, ein wenig Shopping, ein paar Dinge für die neue Wohnung in Dublin. Du hattest die Familie gesehen und die Freunde getroffen.
Du hattest sogar die neue Brille noch abholen können. Heute steht im Kalender: „Brille fertig“.. und das Foto von Dir und der Brille war Eimears Lieblingsfotos, als sie zu Deiner Beerdigung nach Berlin kam. „Oh, he looks so intelligent with the glasses“.. also hättest Du ohne Brille weniger intelligent ausgesehen.
Am Vorabend Eurer Abreise gingen wir mit Euch Essen. Ihr hattet Euch ein italienisches Restaurant hier in der Nähe ausgesucht. In Irland wärt Ihr wohl zum Chinesen gegangen…Ich sehe Euch noch immer dort sitzen am Tisch.. ein wenig angespannt, denn in Gedanken wart Ihr wohl doch schon wieder in Irland. Ich glaube, Eimear war froh, zurückfliegen zu können. So sehr sie es hier genoss, es war doch auch eine Herausforderung für sie.
Zu Hause, Eimear war schon zu Bett gegangen, ich stand in der Küche, kamst Du herein, stelltest Dich vor mich und nahmst mich in Deine Arme. Du sagtest, fast entschuldigend, der Abschied auf dem Flughafen sei immer so hektisch, Du nahmst unsere Umarmung somit vorweg, umarmtest mich in Abwesenheit der anderen. Du hast mir gedankt für die Zeit hier, die Tage seien schön gewesen, leicht, „so easy“...
Ich erinnere mich, dass ich ein wenig verlegen war wegen dieser unerwarteten Zärtlichkeit. Ich genoss sie, ein seltener Moment der physischen Nähe, wie wir sie früher hatten. Ja, der Abschied würde sicher hektisch werden. Euer Flug ging um 6.55 Uhr. Du stelltest den Wecker auf 5.15 Uhr.
Wochen später blieb er um genau diese Uhrzeit stehen!
Ihr wart schon auf, als wir aufstanden. Eimear saß völlig verschlafen am Tisch, Du warst erstaunlich munter. Ich spürte, dass Du Dich auf Dublin freutest, auf Eure Welt. Die Tage hier waren schön und harmonisch gewesen, nun aber wartete
Euer Leben auf Euch, Du warst gespannt, ob Deine Bewerbung am Trinity College Erfolg gehabt hatte – Du wolltest zurück.
Nach Eurem Einchecken standen wir herum, Eimear rauchte, und ich spürte, wie wenig ich diese letzten Minuten mag. Sie ziehen sich hin und man hat sich alles gesagt. Eimear ermunterte Dich, mit der Verabschiedung zu beginnen, nicht wissend, dass sie doch bereits stattgefunden hatte. Eine letzte Umarmung - „Ich bin doch bald wieder da, Mom! Weihnachten sehen wir uns – versprochen“ - und dann gingt Ihr durch die Absperrung. Ich schaute Euch nach und ich wünschte mir in diesem Moment, Du mögest Dich noch einmal umdrehen. Ich ließ Dich leicht gehen, war an diese Abschiede gewöhnt, freute mich auf ein Wiedersehen, konnte mich mit Dir auf Eure Rückkehr freuen, gespannt wie Du, wie Dein Leben weiter verlaufen würde. Dies, Florian, unsere letzte Umarmung, der letzte Blick auf Dich, als meinen lebenden Sohn – nichts ahnend! Hätte ich gewusst, dass ich Dich nicht mehr wieder sehe – ich hätte Dich nie mehr losgelassen!
Ich lüftete das kleine Haus, Du hattest es am Vorabend gereinigt. Es gab kaum noch Spuren und Hinweise darauf, dass Ihr beiden da gewesen wart. Wie sehr habe ich dies kurz danach bedauert. Jede verwischte Spur wurde zu einem unermesslichen Verlust...
Ich bin so traurig, Florian - diese Blicke zurück schmerzen!
Deine Mom
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