Freitag, 12. Juni 2009

Buch des Abschieds 8


Mittwoch, 13. Juni 2001

Florian, mein liebster Sohn,

ich habe mich gerade aus dem Liegestuhl neben Hans-Jürgen weggeschlichen.... Wir haben uns in den Garten gelegt, es ist Mittwoch, „Beziehungstag“ haben wir ihn früher genannt. Du warst mittwochs immer bei Mirco, viele viele Jahre lang haben wir dieses Ritual beibehalten. Ich wußte Dich versorgt und gut aufgehoben. Die anderen Tage gehörten uns beiden.

....“Und andere Dinge werden mit Deiner Sprache sprechen.....“ dieser Satz von Neruda ging mir unentwegt durch den Kopf, als ich meine Sinne vorhin schweifen ließ. Der Garten ist voller Vogelstimmen. Sie sind das erste, das ich morgens wahrnehme, wenn ich aufwache und oft das letzte, das mich abends an Geräusch in den Schlaf begleitet. Nachts, wenn ich wach liege, irritiert mich die Stille draußen und ich vermisse diese zarten Stimmen.
Kürzlich hörte ich einen zauberhaft schönen Gesang. Es muß eine Nachtigall nebenan im großen Park leben. Ich werde mich bemühen, sie wieder zu hören...

Meine Blicke gingen zu den Wolken, suchten nach Formen, die als Zeichen von Dir verstanden werden könnten, suchten im Wind nach einer Nachricht. Sanft bewegt er heute die Blätter, ich sah durch sie hindurch auf den Himmel – ein berührender Blick. Dein Windspiel im Pflaumenbaum ist ganz zart nur zu hören, der Wind haucht es an. Mein Blick verlor sich im Himmel, den Wolken, der Unendlichkeit – dann durchkreuzte ein Flugzeug den Blick und die Gedanken und wie ein Faustschlag treffen die auftauchenden Bilder mein Herz und meine Seele.

Nur noch wenige Tage hatten wir im letzten Sommer um diese Zeit zusammen vor uns.
Dann seid Ihr zurückgeflogen und Eimear erzählte mir, ihr hättet auf den Plätzen E und F gesessen, die Reihe habe ich vergessen, aber Ihr habt es als Zeichen gewertet und dadurch hatte sie sich alles gemerkt. Als sie mit Dir am 6. Juli zurückkam saß sie mit ihren Eltern in der gleichen Reihe auf den gleichen Plätzen.....Sie hatte von Sitz aus beobachtet, wie man Deinen Sarg mit großer Sorgfalt und Ruhe verlud....
Dann ist alles wieder in mir, Florian, alle Ruhe ist weg und Schmerz und Verzweiflung ziehen dort ein. Sie sind meine ständigen Begleiter dieser Tage.
Eimear erzählte auch noch, daß, als Euer Flugzeug durch die Wolken in die unendliche blaue Weite des Himmels aufstieg, Du sagtest: „This is what heaven must be like....“

Nun suche ich Dich dort, mein Engel, dort in der Weite, dort in der Unendlichkeit und weiß, daß ich Dich nicht finden kann – nicht außerhalb – ich kann Dich nur in mir finden, Dich in mir tragen, Dich mit mir tragen.

Ich höre Hans-Jürgen in der Küche klappern und werde zu ihm gehen – immerhin ist „Beziehungs-Tag“ heute und vielleicht hast Du auch schon genug gelesen, sind Deine Augen müde!

Ich streichle Dein Haar, mein liebster Sohn in Gedanken.

Deine Mom

Foto: Himmel über dem Slievenamon - dem heiligen Berg - auf den Du aus Deinem Küchenfenster in Camphill geschaut hast

Keine Kommentare: