Donnerstag, 11. Juni 2009

Buch des Abschieds 7



Dienstag, der 12. Jun.2001

Flori, mein liebster Flori,

ist es die Tatsache, daß der Tag näher rückt, daß ich ein Gefühl entwickle, als rücke noch einmal der Abschied näher.... als würde ich nicht seit einem Jahr Abschied nehmen....
Ist es der Regen, der mich noch trauriger macht, mich an das Haus fesselt, mir selbst die kleinen Gänge durch den Garten unmöglich macht?

Ich fühle mich heute leer, ich fühle mich so ausgebrannt, so sehr meines Lebenswillens beraubt.... Wie soll dies Leben denn sein, warum zwingst Du mich, es zu leben?
Heute will ich es nicht. Es ist mir zu schwer. Es drückt mich zu Boden und ich sehe das Licht am Ende des Tunnels nicht. Wo mein Herz ist, ruht ein schwerer Klumpen Blei. Ich kann nicht spüren außer dieser unendlichen Leere. Ich will dies Leben nicht – ich kann es nicht ohne Dich leben, will es nicht ohne Dich leben – heute nicht! Ich spüre auch Wut, viel Wut, nicht auf Dich, mein Sohn, Du kannst nichts an diesem Schicksal ändern. Es ist eine Wut, die ins Leere geht, oder durch die diese Leere entsteht. Ich weiß es nicht. Es gibt keinen Adressaten, ich selbst bin offenbar das Opfer....

Immer näher kommt der Moment.... und mit dieser enstehenden Nähe die Erinnerungen.

Der 1. Juli 2000 – der Schicksalstag in unserem Leben, der zum Schicksalstag für viele Leben wurde....

Immer wieder versuche ich, mich zu erinnern, was in mir geschah, als ich die Nachricht erhielt.... Ich habe es einfach nicht an mich heran gelassen, Florian, ich habe mein Herz ganz schnell verschlossen, meine Seele umhüllt: Alle meine Sinne waren durch den Schmerz betäubt und ich ging wie in einem Vakuum. Mein Geist war voller Gedanken und Erinnerungen, Stimmen und Schreie, es war eine unendliche Rastlosigkeit in meinen Gedanken und suchte tastend nach einem Weg durch dieses Labyrinth in meinem Inneren.
Ich konnte nur ahnen, was dieses Leben nunmehr für mich bedeuten würde. Ich wußte
noch nicht um die Stille und den Schmerz Deiner ewigen Abwesenheit, die meine Träume und Hoffnungen, von der Zukunft, die nie sein würde, zunichte machte. Ich wußte noch nicht!

Dies, mein Engel ist der Unterschied zu diesem Jahr. Ich muß mich dem Tag Deines
Gehens, Deines Weitergehens stellen, ich habe diesen Schutz nicht mehr – heute weiß ich!
Ich spüre es so deutlich, ich kann dem Schmerz nicht ausweichen, ich kann nicht fliehen, ich muß mich ihm stellen, weil ich auch weiß, daß ich sonst zerbreche. Nicht am Schmerz zerbreche ich, ich würde zerbrechen, würde ich mich nicht vorbehaltlos stellen!

Manchmal wünschte ich, es gäbe ein Fliehen, irgend eine Fluchtburg, die ich noch nicht kenne und dann spüre ich, daß ich ja um DICH trauere und um DICH weine.
Wie könnte ich davor fliehen? Sollte ich nicht um Dich weinen und trauern, der Du doch so viele Jahre mein Lebensmittelpunkt warst? „I built my world around you....“ War es so, Florian? Ein wenig schon, aber auch nicht ganz.... Ich verlor Dich aber niemals aus meinem Blick, Du bliebst immer im Zentrum meiner Gedanken, meines Lebens. Und das bist Du nun noch mehr als jemals zuvor!

Meinen die Menschen mit LOSLASSEN dies – ich sollte Dich an die Peripherie meines Lebens, meiner Gedanken, meiner Liebe stellen???? Wie soll dies gehen? Ich will Dich nicht loslassen, ich will Dich nicht an irgendeinen Rand in meinem Leben stellen – nicht jetzt jedenfalls. Ich denke, dies kann nur in einem Prozeß geschehen..... nicht per Beschluß und per Wille.

Letztes Jahr nach dem 1. Juli:
Ich schwamm, als ob ich durch die Ermüdung meines Körpers meine Seele heilen könnte.
„Ich spürte, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt: Man kann ganz unten bleiben und sich an die Qual dieser lähmenden Tiefe gewöhnen, den stechenden Schmerz betäuben,
für den man in seinem Inneren kein Gegenmittel findet, man kann sich das Leben nehmen, oder man kann beschließen, wieder an die Oberfläche zu steigen und das Leben erneut zu beginnen. Diese Entscheidung verlangt eine bewußte Anstrengung, denn es ist eine aktive Entscheidung und sie kann nur gelingen, wenn man sich seinen Problemen wirklich stellt.
Sie verlangt Ausdauer und Tatkraft, sie durchzusetzen und sie bedeutet Veränderung.“
(Kuki Gallmann)

Ja, Florian, ich habe mich verändert. Ich bin nicht mehr „im Herzen jugendlich gebliebene“
Mutter, ich bin erwachsen geworden. Dein Tod hat mich dazu gezwungen und ich will auch nicht mehr zurück. Ich konnte mit Dir noch einmal so wunderbar durch diese Zeit gehen.
Du hast mich mitgenommen zurück in eine Jugend, die ich so unbeschwert wie mit Dir nicht gekannt hatte. Ich danke Dir für diese Zeit, mein Florian!

Jetzt bin ich erwachsen und nun trage ich eine schwere Last und die Erinnerung und die Sehnsucht nach diesem alten Leben mit Dir, der Unbeschwertheit, der Leichtigkeit......hallen
wie ein Echo in mir nach – weit weg, in einem anderen Leben. Ich kann die Sehnsucht spüren, aber sie ist es auch, die den Schmerz bringt, diesen stechenden, bohrenden, betäubenden Schmerz darüber daß dies alles geendet hat!

Gestern überspielte Hans-Jürgen hier nebenan im Zimmer eine Cassette – aus dem letzten Sommer für Mutter Ilse, deren Geburtstag wir morgen ..... gefeiert haben.... Ich hörte plötzlich Dein Lachen, hörte Dich lachen, Florian, Dich, der Du doch nicht mehr da bist..... Mein Gott, es durchfuhr mich und ich weiß, daß ich mich davor schützen muß..... dies geht nicht zusammen in mir....Ich weiß, daß diese Dokumente Deines Lebens unendlich wertvoll sind und vielleicht kommt der Tag, an dem ich mich ihnen nähern kann – jetzt muß ich erst einmal Abschied nehmen von Dir – von den Bildern des letzten Sommers.....

Mit unendlicher Traurigkeit bin ich heute

Deine Mom

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Von Annegret Kronenberg

Irrtum

Du kamst zu mir,
in der Hand einen
Strauß Vergißmeinnicht.
Ich glaubte, du brächtest
mir den Frühling ins Haus
und umarmte dich vor Freude.
Du aber kamst,
um Abschied zu nehmen.

Ungestillte Sehnsucht

Es hört nicht auf,
dieses Denken und Sehnen.
Du bist gegangen,
für immer gegangen.
In meinem Herzen ist
etwas zerbrochen,
irreparabel zerstört.
Darum kann diese Sehnsucht
auf Erden nie gestillt werden.

Liebe Gabi,
tief mitfühlend dir verbunden im unstillbaren Verlustschmerz

Still und innig

Deine
Anna Maria