"Und manchmal, während wir so schmerzhaft reifen, dass wir beinahe daran sterben, erhebt sich aus allem, was wir nicht begreifen, ein Gesicht und sieht uns strahlend an" Rainer Maria Rilke
Freitag, 5. Juni 2009
Buch des Abschieds 1
....“Daß die Trennung so weh tut, liegt daran, daß unsere Seelen verbunden sind. Vielleicht waren sie es immer schon und werden es immer bleiben. Vielleicht haben wir tausend Leben vor diesem gelebt und haben uns in jedem Leben gefunden. Und vielleicht sind wir in jedem dieser Leben aus dem gleichen Grunde getrennt worden. ...Wenn ich an Dich denke, sehe ich die Schönheit und Anmut und weiß, daß du mit jedem gelebten Leben stärker geworden bist. Ich weiß, daß ich dich in jedem Leben gesucht habe. Nicht jemanden wie dich, sondern dich, denn deine Seele und die meine sind dazu bestimmt, sich immer wiederzufinden. Doch aus einem Grund, den keiner von uns versteht, sind wir gezwungen, Abschied zu ehmen.....:“ (aus: Message in a bottle)
Liebster Florian,
heute ist der 6. Juni in einem neuen Leben. Heute ist mir, als seien alle 6. Juni, die ich schon erlebt habe, nicht mehr existent, mit Deinem Tod sind die Daten meines bisherigen Lebens auf eine Art verwischt, nicht ausgelöscht, aber sie sind nur noch schemenhaft und in diesen Tagen nicht von Bedeutung. Sie sind wie die Ringe des Baumes in mir eingegraben, mein Baum hat einen seiner tragenden Äste verloren und der Schmerz erschüttert ihn bis tief in die Wurzeln.
Gestern vor einem Jahr kamst Du mit Eimear abends um 22.30 in Schönefeld an.....
Als ich Dich dort in die Arme schloß, mein Florian, da trennten uns nur noch 26 Tage von Deinem Tod? Nur noch 26 kurze, winzige Tage waren Dir noch bestimmt und Du ahntest nichts von Deinem Schicksal und ich ahnte nichts davon, niemand ahnte etwas und wir genossen die Tage miteinander, als hätten wir noch ein ganzes Leben vor uns....
Ich hatte ein Jahr, um mich auf diese schreckliche Zeit jetzt vorzubereiten – ein Jahr der Trauer und des Schmerzes, ein Jahr, um diesem neuen Leben eine Chance zu geben, ein Jahr um die Kraft zu haben, Dich nun noch einmal auf dieser letzten Reise, die uns noch miteinder gegönnt war, zu begleiten.
Gelang es bisher, die Bilder wegzuwischen, die sich in meinen Kopf und in mein Herz drängten, so ist dies nun nicht mehr möglich: Du bist so präsent in mir, in uns. Auch für Hans-Jürgen sind diese Tage schwer, ich spüre es und ich sehe es ihm an. Er empfindet wie ich:
Alles ist noch einmal ganz nah!
Ich sehe Euch beide nebeneinander auf dem Flughafen stehen, Ihr wart etwas früher angekommen. Neben Euch ein großer Koffer und Eimear an einer Krücke. Ich erinnere mich, daß ich zuerst auf sie zuging und sie in meine Arme schloß, was mich dann später irritierte.
Eimear sah so erwachsen aus, sie trug einen hellen Mantel und helle Hosen – ich weiß nicht, was Du anhattest, ich weiß es leider nicht mehr.
Du warst gereift, Du warst erwachsener geworden, männlicher. Ich spürte, daß ich mehr körperliche Distanz zu Dir hielt, eine gewisse Scheu hatte, Dich so, wie ich es früher immer getan habe, zu berühren, zu streicheln, zu küssen, in die Arme zu nehmen.. Du gehörtest jetzt einfach mehr zu Eimear. Dies ist ein seltsamer Gedanke, aber ich glaube, ich habe es so empfunden. Ich mußte mich zurücknehmen und ich tat es auch. Dennoch spürte ich diese Liebe und diese Freude über Dich und über Euch beide. Ihr wart zusammen auch reifer und erwachsener, sicherer geworden. Vor allem Du strömtest eine große Ruhe und Sicherheit aus. Du hattest Dein Leben im Griff, die Beziehung hatte sich weiterentwickelt. Als ich Dich danach fragte, meintest Du.....“Sie ist gut, jetzt ist sie eigentlich erst richtig gut.“...
Ich will die Tage nicht vorwegnehmen – ich möchte eine Brücke schlagen zwischen den Erinnerungen an damals und dem, was heute unser Leben ist, was diese Erinnerungen in mir auslösen.
Gestern war ich an einem Punkt, an dem ich dachte, daß ein Weiterkommen nicht mehr möglich sei... ich spürte einen Zusammenbruch meiner Kräfte, meines Willens, diesen Schmerz, der in mir seit Tagen lodert und brennt, weiter zu ertragen und die Angst, er könne nur noch schlimmer werden... im count down der Tage, die wir Dich noch auf dieser Erde hatten....
Ich habe über Pfingsten den 1. Juli vorbereitet: eine Cassette mit Liedern aufgenommen, die wir an diesem Tag zu Deiner Todesstunde zusammen mit den engsten Freunden, Deinen und unseren hören werden. Ich habe die Texte und Lieder gut ausgewählt, hatte manchmal aber auch das Gefühl, als würdest Du mir die Hand führen. Jedes Lied erzählt eine Geschichte
aus unserem gemeinsamen Leben, nur wenige habe ich nach Deinem Tod erst gefunden, sie begleiten mich nun und ich kann sie Dir widmen und an diesem Tag für Dich spielen.
Musik war immer ein wichtiges Bindeglied zwischen uns beiden. Sie wird es bleiben. Es wird immer wieder Stücke geben, die ich mit Dir verbinde, in Gedanken an Dich hören werde, für Dich spielen und fest daran glauben, daß Du Musik hören kannst, dort, wo Du bist.
Ich habe das Häuschen gesäubert, die Vorhänge gewaschen. Ich habe unter Tränen geputzt und immer wieder vor mich hin gesagt: „Ich weiß, daß Du nicht kommen wirst – I know that you are not going to come....I know!“
Gestern habe ich Dir Blumen hineingestellt und viele Kerzen. Dein Foto steht dort wieder - wie im letzten Jahr bis spät in den Herbst hinein. Es war unser Ort der Stille und der Trauer für Dich, bis wir Dich hier in das Haus zu uns nahmen. Nun ist der Ort wieder einer, an dem ich versuche, Dir nah zu sein, der letzte Ort hier bei uns, an dem Du fröhlich, glücklich, ausgelassen warst, Euer Häuschen!
Es war Euer zweiter Sommer in Köpenick – beide male mit wunderbarem Sommerwetter.
Arme Eimear, sie litt unter der Sonne, das Regenkind. Sie lehrte Dich den Regen lieben, mein Florian. Du, der Du ein Kind der Sonne warst, wolltest sie mitnehmen nach Griechenland in diesem Sommer - dies war ein ganz kleiner Punkt, an dem wir eine Meinungsverschiedenheit hatten. In Säckingen, aber das ist nicht wichtig, war nicht wichtig.
Am Ende Eurer Ferien hattest Du ohnehin eingesehen, daß Griechenland im Sommer nichts für Eimear sei.... Vielleicht wärt Ihr nach Florida – Eimear’s Traum – geflogen..... Auch diese Gedanken sind nicht mehr wichtig, mein Sohn!
Du hattest heute nur noch 25 Tage zu leben!
Ich habe mich krank schreiben lassen, ich muß mit meinen Kräften haushalten, muß auf mich aufpassen. Ich bin wieder einmal an meinen Grenzen!
In meinen Gedanken und Gefühlen herrscht zum Teil ein chaotischer Zustand, alles wirbelt durcheinander, übereinander, dann ist alles wieder ganz klar und ich sehe den Weg, ich sehe den Weg, von dem Du in Deinem Gedicht sprichst.... „Wenn Du den Weg siehst, dann zögere nicht, geh!“ Ich sehe einen Weg, der steinig ist, der beschwerlich und steil ist, der mir aber auch Blicke in neue Dimensionen eröffnet, die ich bisher kaum wahrnehmen konnte. .
Ich sehe den Weg, den ich nicht alleine gehen muß und ich weiß, daß – sollte ich stolpern, fallen und unter der Beschwerlichkeit zerbrechen wollen, Hände sein werden, die mich stützen. Ich weiß auch, daß Du mich auf diesem Lebensweg begleiten wirst und mir immer wieder Deine Zeichen schicken wirst, sollte ich kleinmütig werden und zweifeln.
So ging es mir gestern. In all diesem Schmerz, der mich völlig übermannte, der mich lähmte und der mich zu Boden warf, suchte ich nach einem Zeichen von Dir und fand keines.
Ich erinnerte mich, daß ich las, daß wir Zeichen nicht finden, wenn wir sie suchen, sie kommen zu uns und sie kommen dann, wenn wir sie brauchen. „Wir bekommen nicht das, was wir wollen, wir bekommen da, was wir benötigen“... Ich benötigte sie so....
Heute, als ich das Haus verließ, lag neben mir im Kies eine Feder. Eine schwarze, schillernde Feder. Ich hob sie auf und dankte Dir.
Später stand ich am Wasser – ich liebe diese Ruhe und diese Beständigkeit, mit der der Fluß sich bewegt, immer fließen wird, es gibt keinen Stillstand, keine Pause – er ist wie unser Herz, dachte ich und daran, warum Deines aufhören mußte zu schlagen. Warum?
Ich schaute dem Fluß des Wassers zu und sah plötzlich kleine Federn, solche Federn wie damals im letzten Jahr, als Du mir das erste Zeichen gabst, kleine graue Federn, die über dem Wasser liegen. Ich sah 5 Stück und ich zögerte keinen Moment: F L O R I war dies. Flori, der Name, den nur ich Dir geben durfte, niemand sonst (außer Hans-Jürgen) durfte Dich FLORI nennen und diese fünf Federn waren Dein Name! Ich weinte, ich dankte Dir und ich hatte von diesem Moment an Ruhe, mehr Ruhe als gestern und ich wußte sicher und deutlich, daß
DU DA BIST!
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1 Kommentar:
Mein geliebter Sohn
Wie ein verlorenes Wort
suche ich dich
wie Töne
aus der Melodie meines Lebens gefallen
wie einen Reim
der sich davongeschlichen
immerzu suche ich dich
und finde im Schatten des Glücks
nichts als den Schmerz
Deine Hände halten
und mit dir weinen im Schmerz deines Lebens,
liebe Gabi,
tief bewegt und voll Mitgefühl.
Deine
Anna Maria
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