Montag, 8. Juni 2009

Buch des Abschieds 4


Freitag, der 9. Juni 2001

Liebster Florian,

Post von Eimear und ich weine. Sie ist so weit weg. Sie ist kaum mehr erreichbar für mich.
„Back to her life....“, ja sie lebt wieder in Dublin, hat ihren alten Job wieder angenommen, lebt bei einer/m FreundIn. Die Auskünfte sind vage, sie will nicht mehr von sich preisgeben. Sie wird nicht kommen zum 1. Juli – ich habe sie nicht mehr erwartet – und dennoch macht mich diese Nachricht traurig, ich spürte, daß ich sie verlieren werde – vielleicht habe ich sie längst verloren!

Ich stand eben in Deinem Zimmer, vor Deinem Foto steht eine Rose, sie reicht bis an Dein Kinn. Ich bin mit meinen Fingerspitzen die Konturen Deines Gesichtes nachgefahren. Noch immer ist dieses Gesicht für mich ganz lebendig – ich sehe Dich ganz deutlich hinter diesem Foto. Dein Blick ist manchmal so direkt, daß er einen tief ins Herz trifft. Damals, als wir dieses Foto aufnahmen, waren wir gerade ein paar Stunden in Irland angekommen und setzten unsere Reise mit Dir – entlang der Westküste Irlands – fort! Es war unser erster Stopp.
Ein hübscher, kleiner Ort, Du hattest von ihm gehört und als wir uns dort umsahen begegnete uns ein Brautpaar. Es war windig, wie meist in Irland und ihr Schleier drohte wegzufliegen.
Damals hatten wir die Vision, wie es sein wird, wenn Eimear und Du eines Tages heiraten werden.....Du sagtest, daß Eimear gerne auch in einem dieser Stroh gedeckten Häuschen wohnen würde und Du fändest sie auch so schön, so heimelig.... Ja, Florian, damals dachten wir, es stünden alle Tore noch offen, dabei war schon in diesen unbeschwerten Tagen mit Dir unser ganzes Schicksal besiegelt.

Wenn wir es gewußt, geahnt hätten, mein Flori, was hätten wir gemacht; hätten wir die Zeit anders, besser genutzt? Ich denke oft darüber nach, ob ich nicht doch etwas versäumt habe,
ob wir nicht mehr aus unserer Zeit hätten machen können – noch mehr!
Es war Deine Zeit, in der die Entscheidungen über Deine Zukunft getroffen waren: Du wußtest, daß Du mit Eimear im Sommer nach Dublin ziehen würdest, Du hattest Dich für
Psychologie entschieden. Es waren die Weichen gestellt. Wir waren gespannt auf Eimear, die Du uns einige Tage später in Dungarven brachtest....sie hatte ihre Schuluniform noch im Auto gegen „zivile“ Kleidung vertauscht.... Your school-girl! Sie war so unendlich jung, so zart,
so unsicher. Man wagte kaum, sie anzuschauen und doch mußte man sie einfach anschauen, denn wir fanden sie sofort wunderschön: eine irische Schönheit!

Vielleicht braucht sie nur eine Auszeit, um in ihr Leben zu finden, vielleicht taucht sie eines Tages wieder auf und erinnert sich an uns. Hast Du Einfluß darauf, mein Sohn?
Sie schien nie mit Dir im Kontakt zu sein, träumte nicht von Dir oder nur ein einziges Mal?
Warum? Kannst Du sie nicht erreichen? Erwartet sie zuviel von Dir? Ich fand es immer so traurig, daß sie nicht teilhaben kann an der Magie, die man mit Dir erlebt......

Heute vor einem Jahr. Wir waren auf dem Weg in den Schwarzwald: Zwei Familienfeiern standen an. Ihr beide saßt hinten im Auto – bei 32 ° - eine anstrengende Fahrt von 10 Stunden.
Eimear schlief fast die ganze Zeit- Du hielst sie im Arm.

In den folgenden zwei Tagen versammelte sich um Dich – wie ich es heute denke – meine gesamte Familie. Die, die Dich noch nicht kannten (was bei unserer Patch-work-famly) leider der Fall war) lernten Dich nun kennen. Du sahst meine (leibliche) Mutter zum ersten Mal und sie war berührt von Eurer Begegnung. Deine Cousinen, deren Kinder – alle waren noch einmal um Dich – zu einem großen Abschied… nur wussten wir es alle nicht.
Ich habe diese Fotos noch immer in den Tüten, in denen ich sie damals abgeholt habe.
Du hattest eine Brille bekommen.. ich weine, wenn ich diese Fotos sehe. Eimear liebte Dich mit Brille: „He looks even more intelligent“ – sagte sie lachend und küsste Dich. Diese Fotos sind so bedeutsam – ich habe sie nur in dieser Zeit in der Hand – die letzten Fotos von Dir.

Berlin begeisterte Euch nach der Rückkehr mit seinem Sommer. Unbeschwerte Tage.
Und Ihr habt sie wirklich genossen.. Es gibt kleine Filmaufnahmen, die Hans-Jürgen machte.Ihr tobt durch den Garten – Eimear verfolgt Dich mit dem Gartenschlauch. Dein Lachen, Eure Ausgelassenheit… heute bricht mein Herz, wenn ich es sehe.

Du trafst Dich einen Abend mit Deinen Freunden. Eimear blieb bei uns. Wir kochten zusammen und saßen bis in die Nacht draußen. Eimear erzählte aus ihrer Kindheit. „I really was a wild child“… und wir lauschten ihrer wundervollen Sprache und lachten herzhaft über ihre Erzählungen. Vielleicht haben wir uns in dieser Nacht erst richtig in sie verliebt.
Wie gut verstanden wir Deine Liebe zu ihr! Sie ist ein ganz besonderes Mädchen.

Ich zünde nun die Kerzen wieder an, die zwischenzeitlich ausgegangen sind..
Meine Gedanken, meine Liebe schicke ich auf die Reise zu Dir – wissend, dass sie nicht weit zu fliegen brauchen… nur um die nächste Ecke.. Dort bist Du!
Deine Mom

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Es singt das Lied der Liebe, die Trauer des Wissens spricht, des Verlangens Schwermut flüstert, und der Schmerz der Armut weint. Doch gibt es eine Trauer, die tiefer ist als Liebe, erhabener als Wissen, stärker als das Verlangen und bitterer als die Armut. Sprachlos ist sie und stumm, doch glitzern ihre Augen wie die Sterne.
Khalil Gibran

Danke, liebe Birgit!