Sonntag, 30. September 2012

Der Stern der Mitternacht




Der Stern der Mitternacht ist aufgegangen
alle anderen Gestirne sind nicht mehr
der Wind hat aufgehört zu wehen
die Tiere atmen nicht mehr
Mein Leib ist nur noch Auge
das starrt zum unendlichen Himmel
in seinen einzigen Stern.

Paula Ludwig

Samstag, 29. September 2012

Shakespeare Sonnett XI



Sonnet XI
As fast as thou shalt wane, so fast thou grow'st
In one of thine, from that which thou departest;
And that fresh blood which youngly thou bestow'st
Thou mayst call thine when thou from youth convertest.
Herein lives wisdom, beauty and increase;
Without this, folly, age and cold decay:
If all were minded so, the times should cease
And threescore year would make the world away.
Let those whom Nature hath not made for store,
Harsh, featureless and rude, barrenly perish:
Look, whom she best endow'd she gave the more;
Which bounteous gift thou shouldst in bounty cherish:
She carved thee for her seal, and meant thereby
Thou shouldst print more, not let that copy die.

William Shakespeare

XI. SONETT

So schnell du abblühst, sprossest du heran
Aus dem, was dir entging, in deinen Zweigen,
Und was du jugendlich an Blut vertan,
Das nennst du, wenn die Jugend schwand, dein eigen.
Hierin lebt Weisheit, Schönheit, Nachwuchs fort;
Sonst, Torheit, Alter, eisiges Gerinnen.
Dächt' alles so, die Zeit wär längst verdorrt,
In sechzig Jahren diese Welt von hinnen.
Laß sterben unfruchtbar, die anmutleer,
Rauh von Natur und wüst nicht zur Vermehrung taugen;
Sieh ihre Bestbegabten; dir ward mehr;
So reiche Gabe sollst du reichlich brauchen!
Natur schnitt ihren Stempel dich, und sprach:
Laß ihn nicht untergehen, präg' ihn nach.

Bild: Charles Sims

Freitag, 28. September 2012



"Wie ist es denn dort, wo du jetzt bist?" ...
"Es ist nicht gut, es ist nicht schlecht. Es ist ganz anders."

Ödön von Horvath

Donnerstag, 27. September 2012

Ich weiss nicht, wo Du bist, mein Kind

 Garten der Sternenkinder II
auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof



Ich weiss nicht, wo Du bist, mein Kind,
wo Deine Seele jetzt verweilt,
wer Deine Sternenfreunde sind,
und wie Ihr Euch den Alltag teilt...

Ich hoffe, dass Du lachst, mein Schatz,
und tobst und spielst den ganzen Tag
auf dem schönsten bunten Platz
den man sich nur erträumen mag...

Ich wünsche Dir, mein Engelein,
die wunderschönste Kuschelwelt,
und alles soll vorhanden sein,
was Sternenkindern gut gefällt...

Ich möchte gern, mein Schmetterling,
dass Du bei allem, was Du tust,
weisst, welche Liebe Dich umfing,
und Du in unseren Herzen ruhst...


Ralf Korrek, 13.06.2011



Mittwoch, 26. September 2012

Abendlied


Warum, ach sag, warum
geht nun die Sonne fort?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da geht die Sonne fort.

Warum, ach sag, warum
wird unsere Stadt so still?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
weil sie dann schlafen will.

Warum, ach sag, warum
brennt die Laterne so?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da brennt sie lichterloh!

Warum, ach sag, warum
gehn manche Hand in Hand?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da geht man Hand in Hand.

Warum, ach sag, warum
ist unser Herz so klein?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da sind wir ganz allein. 


Wolfgang Borchert 

Noch immer berühren mich diese Abendlieder sehr.. Noch immer kann ich die inneren Bilder
zurückholen.. Mein kleiner blonder Junge - frisch gebadet, duftend, in seinem Bett sitzend,
das von ihm ausgesuchte Buch auf der Decke -  einandergekuschelt lese ich eine Nachtgeschichte...
 



Dienstag, 25. September 2012

In der Bretagne besteht der Glaube...



In der Bretagne besteht der Glaube, dass die jugendlichen Toten in Wahrheit nicht sterben: Sie schweben weiter um die Orte, wo sie lebten, bis sie die vorgesehene Dauer ihres Daseins vollendet haben.

Romain Rolland

Montag, 24. September 2012

Wer weiß schon


Wer weiß schon
wie viel Wissen
ein sterbendes Blatt
um seine unzerstörbare
Seele hat?
Wer weiß schon
warum soviel
von ihm übrig bleibt
wenn sich die Zeit
in Sehnsucht auflöst?
Wer weiß schon
wohin der Wind
es behutsam trägt
wenn die Weltenuhren
ihre Zeiger anhalten?
Wer weiß schon
um dieses Sprechen
im ewigen Schweigen
und jene Lebendigkeit
im scheinbar Leblosen?


Text und Foto © Ute Leser

Sonntag, 23. September 2012

In Sand geschrieben


Daß das Schöne und Berückende Nur ein Hauch und Schauer sei, Daß das Köstliche, Entzückende, Holde ohne Dauer sei: Wolke, Blume, Seifenblase, Feuerwerk und Kinderlachen, Frauenblick im Spiegelglase Und viel andre wunderbare Sachen, Daß sie, kaum entdeckt, vergehen, Nur von Augenblickes Dauer, Nur ein Duft und Windeswehen, Ach, wir wissen es mit Trauer, Und das Dauerhafte, Starre Ist uns nicht so innig teuer: Edelstein mit kühlem Feuer, Glänzendschwere Goldesbarre; Selbst die Sterne, nicht zu zählen, Bleiben fern und fremd, sie gleichen Uns Vergänglichen nicht, erreichen Nicht das Innerste der Seelen. Nein, es scheint das innigst Schöne, Liebenswerte dem Verderben Zugeneigt, stets nah dem Sterben, Und das Köstlichste: die Töne Der Musik, die im Entstehen Schon enteilen, schon vergehen, Sind nur Wehen, Strömen, Jagen Und umweht von leiser Trauer, Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer Lassen sie sich halten, bannen; Ton um Ton, kaum angeschlagen, Schwindet schon und rinnt von dannen. So ist unser Herz dem Flüchtigen, Ist dem Fließenden, dem Leben Treu und brüderlich ergeben, Nicht dem Festen, Dauertüchtigen. Bald ermüdet uns das Bleibende, Fels und Sternwelt und Juwelen, Uns in ewigem Wandel treibende Wind- und Seifenblasenseelen, Zeitvermählte, Dauerlose, Denen Tau am Blatt der Rose, Denen eines Vogels Werben, Eines Wolkenspieles Sterben, Schneegeflimmer, Regenbogen, Falter, schon hinweg geflogen, Denen eines Lachens Läuten, Das uns im Vorübergehen Kaum gestreift, ein Fest bedeuten Oder wehtun kann. Wir lieben, Was uns gleich ist, und verstehen, Was der Wind in Sand geschrieben.


 Hermann Hesse

Samstag, 22. September 2012

Vorübung für ein Wunder


Vor dem leeren Baugrund
mit geschlossenen Augen warten
bis das alte Haus
wieder dasteht und offen ist

Die stillstehende Uhr
so lange ansehen
bis der Sekundenzeiger
sich wieder bewegt

An Dich denken
bis die Liebe
zu dir
wieder glücklich sein darf

Das Wiedererwecken
von Toten
ist dann
ganz einfach

Erich Fried

Tears in Heaven



Lang saßen sie dort und
hatten es schwer,
doch sie hatten es gemeinsam
schwer,
und das war ein Trost.
Leicht war es trotzdem nicht.

Astrid Lindgren

 Für Dich, kleiner Jan, der Du hoffentlich sicher an Florians großer Hand den Himmel durchwanderst.



Freitag, 21. September 2012

Nun schlummert meine Seele

Noch einnmal für Dich, liebe Christiane


Nun schlummert meine Seele
Der Sturm hat ihre Stämme gefällt,
O, meine Seele war ein Wald.
Hast du mich weinen gehört?
Weil deine Augen bang geöffnet stehn.
Sterne streuen Nacht
In mein vergossenes Blut.
Nun schlummert meine Seele
Zagend auf Zehen.
O, meine Seele war ein Wald;
Palmen schatteten,
An den Ästen hing die Liebe.
Tröste meine Seele im Schlummer.


(Else Lasker-Schüler)

Donnerstag, 20. September 2012

Was heißt stimmig sein


Was heißt stimmig sein 

in einer unstimmigen Zeit
wem gelingt es
rund zu sein
den Horizont einzubetten
tief in sein Wesen
auszuhalten
die wetterwendische Welt
frei zu werden
von Fesseln  die schnüren
dazustehen
stimmig im Raum

Annemarie Schnitt 

Foto: Irland /Connemara 2012

Wohin führt dein Weg



Skellig Michael, Ireland

Wohin führt dein Weg
im Lauf durchs Leben
wohin zieht dich der Fluss
der forteilenden Zeit
wohin treibt dich der Wind
wegweit fort in die Ferne
wo hältst du an
auszumachen das Ziel
gradwegs im Heute

Annemarie Schnitt

Montag, 17. September 2012

Alles was schön ist


Alles was schön ist,
bleibt auch schön,
auch wenn es welkt.
Und unsere Liebe bleibt Liebe,
auch wenn wir sterben.
Maxim Gorki

Für Dich,
liebe Christiane.
Du fehlst!

Diesseitig...



Diesseitig bin ich gar nicht faßbar. Denn ich wohne grad so gut bei den Toten wie bei den Ungeborenen. Etwas näher der Schöpfung als üblich und noch lange nicht nahe genug.“

Paul Klee

Foto: Birgit B.-M. 

Sonntag, 16. September 2012

Dein Platz



Dein Platz 

zwischen Tür und Angel
immer im Aufbruch
zwischen Gestern und Heute
immer unterwegs
zwischen Tag und Nacht
halb träumend halb wach
dein Platz ein Leben lang
zwischen Heute und Morgen
zwischen Himmel und Erde
festen Fußes  flügelleicht
anzukommen bei dir 

Annemarie Schnitt 

Foto: Der Morgen meines Geburtstages in Connemara. Das erwartet gute Wetter hatte uns im Stich gelassen :)