Samstag, 29. November 2008

Advent




Es ist nicht die Zeit,
um zu ernten.
Es ist auch nicht die Zeit,
um zu säen.

An uns ist es,
in winterlicher Zeit uns
eng ums Feuer zu scharen
und den gefrorenen Acker
in Treue geduldig zu hüten.

Andere vor uns haben gesät.
Andere nach uns werden ernten.

An uns ist es,
in Kälte und Dunkelheit
beieinander zu bleiben und,
während es schneit, unentwegt
wach zu halten die Hoffnung.

Das ist es.
Das ist uns aufgegeben
in winterlicher Zeit.

Lothar Zenetti

Ich wünsche Euch allen von ganzem Herzen eine friedvolle, vom Licht erwärmte Adventszeit!

Noch eine Lehre...


Freitag, 28. November 2008

Message in a bottle


R - wie Ruhe!

„Ich weiß nicht, ob die Toten auf die Erde zurückkehren und sich unbemerkt von denen, die sie lieben, umherbewegen können, aber wenn sie es können, dann weiß ich, dass du immer bei mir sein wirst. Im Rauschen des Meeres werde ich deine Stimme vernehmen, in jedem Windhauch wird dein Geist meine Wange liebkosen. Wer auch immer in mein Leben treten wird, du wirst stets bei mir bleiben. Dein Geist wird mich in eine mir noch unbekannte Zukunft begleiten.
Dies, mein Liebling ist mein Dank an dich. Ich danke dir, dass du mein Leben bereichert hast, dass du mich geliebt und meine Liebe angenommen hast. Danke für die Erinnerungen, die ich stets bewahren werde....“


Aus "Message in a bottle"


Mit diesen Zeilen verabschiede ich mich hier von der See. Noch einmal allen Dank, die mich begleitet haben (und hoffentlich weiter begleiten), die mir ZEIT schenken, das wichtigste Gut, das schönste Geschenk, das wir uns machen können.

Diese Seite weiter zu führen ist mir Verpflichtung. Danke!

In den Sand geschrieben



In Sand geschrieben

Dass das Schöne und Berückende
Nur ein Hauch und Schauer sei,
Dass das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglase
Und viel andre wunderbare Sachen,
Dass sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblickes Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
Ach, wir wissen es mit Trauer,
Und das Dauerhafte, Starre
Ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarre;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen,
Bleiben fern und fremd, sie gleichen
Uns Vergänglichen nicht, erreichen
Nicht das Innerste der Seelen.
Nein, es scheint das innigst Schöne,
Liebenswerte dem Verderben
Zugeneigt, stets nah dem Sterben,
Und das Köstlichste: die Töne
Der Musik, die im Entstehen
Schon enteilen, schon vergehen,
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen
Und umweht von leiser Trauer,
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
Lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
Schwindet schon und rinnt von dannen.
So ist unser Herz dem Flüchtigen,
Ist dem Fließenden, dem Leben
Treu und brüderlich ergeben,
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen,
Uns in ewigem Wandel treibende
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
Denen Tau am Blatt der Rose,
Denen eines Vogels Werben,
Eines Wolkenspieles Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweg geflogen,
Denen eines Lachens Läuten,
Das uns im Vorübergehen
Kaum gestreift, ein Fest bedeuten
Oder wehtun kann. Wir lieben,
Was uns gleich ist, und verstehen,
Was der Wind in Sand geschrieben.

Hermann Hesse, 16./17.9. 1929

Donnerstag, 27. November 2008

Am Ufer des Augenblicks




Was hat mich die See gelehrt?

Die kleine Reise an die See neigt sich ihrem Ende. Zeit für einen Rückblick – und einen Ausblick:
Diese Tage der Ruhe, der inneren Einkehr, der Abwesenheit von Alltag haben mich erneut daran erinnert, wie wichtig es im Leben ist, das Wesentliches vom Unwesentlichen zu unterscheiden . Sehen Trauernde nicht vieles klarer, aus völlig verändertem Blickwinkel? Häufig erlebte Situationen erfahren wir anders, messen ihnen andere Bedeutung zu. Selbst die Augen öffnen sich für unbekannte Bilder.
Ich fühle mich bestärkt in meinem Wissen, dass dies Leben nur ein Teil, ein kleiner Ausschnitt unseres Seins ist und ich Florian wieder begegnen werde, wie und wo auch immer. Dafür bin ich dankbar, und so verstehe ich auch die Worte von Hilde Domin. wenn sie schreibt, "....nur einmal sterben sie für uns - nie wieder. Was wüßten wir nur ohne sie...". Dann fühle ich in mir, dass ich dafür sorgen muss, dieses Wissen, das Bewusstsein des Erfahrenen in mir wach zu halten muss um nicht wieder in alte Denkweisen, Wertigkeiten zu gleiten. Denn dann verliere ich die Verbundenheit zu Forians Wesenheit, zu seinem Sein , das ich mir bildlich nicht vorzustellen vermag.
Unser aller Sein bedarf keiner Körperlichkeit. Doch diese Vorstellung übersteigt unseren Verstand, und gerade das ist es, wovon wir uns lösen müssen. Der Verstand, das Denken, entfernt uns von der Wahrnehmung unseres Seins, von der Wahrnehmung der Gesamtheit, dem Sinn des Seins, denn nur unser Geist und unsere Seele (er)kennen die Wahrheit.
In unserem tiefsten Inneren liegt dieses Geheimnis, unsere aller Geheimnis.....auch vor uns selbst. "Am Ufer des Augenblicks" finden unsere Seelen zusammen, wenn wir es zulassen können.

Oder anders ausgedrückt:

„Die Segnungen, nach denen wir uns sehnen, sind an keinem anderen Ort und in keinem anderen Menschen zu finden. Nur unser Selbst kann sie uns gewähren. Sie sind am Herdfeuer unserer Seele zu Hause.“

John O’Donohue
„Anam Cara“
**************
Und das oben zitierte Gedicht von Hilde Domin
UNTERRICHT
Jeder der geht
belehrt uns ein wenig
über uns selber.
Kostbarster Unterricht
an den Sterbebetten.
Alle Spiegel so klar
wie ein See nach großem Regen,
ehe der dunstige Tag
die Bilder wieder verwischt.
Nur einmal sterben sie für uns,
nie wieder.
Was wüssten wir je
ohne sie?
Ohne die sicheren Waagen
auf die wir gelegt sind
wenn wir verlassen werden.
Diese Waagen ohne die nicht
ssein Gewicht hat.
Wir, deren Worte sich verfehlen,
wir vergessen es.
Und sie?
Sie können die Lehre nicht wiederholen.
Dein Tod oder meiner
der nächste Unterricht:
so hell, so deutlich,
dass es gleich dunkel wird.
(Hilde Domin

Mittwoch, 26. November 2008

Träume


Es sind meine Nächte
durchflochten von Träumen,
die süß sind wie junger Wein.
Ich träume, es fallen die Blüten von Bäumen
und hüllen und decken mich ein.

Und alle diese Blüten,
sie werden zu Küssen,
die heiß sind wie roter Wein
und traurig wie Falter, die wissen: sie müssen
verlöschen im sterbenden Schein.

Es sind meine Nächte
durchflochten von Träumen,
die schwer sind wie müder Sand.
Ich träume, es fallen von sterbenden Bäumen
die Blätter in meine Hand.

Und alle diese Blätter,
sie werden zu Händen,
die zärteln wie rollender Sand
und müd sind wie Falter, die wissen: sie enden
noch eh' sie ein Sonnenstrahl fand.

Es sind meine Nächte
durchflochten von Träumen,
die blau sind wie Sehnsuchtsweh.
Ich träume, es fallen von allen Bäumen
Flocken von klingendem Schnee.

Und all diese Flocken
sie werden zu Tränen.
Ich weinte sie heiß und wirr -
begreif meine Träume, Geliebter, sie sehnen
sich alle nur ewig nach Dir.

Selma Meerbaum-Eisinger

Sonntag, 23. November 2008

Kennst du das auch?

Kennst du das auch, daß manchesmal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plötzlich schweigen und hinweggehn mußt?

Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf
Wie Einer, den ein plötzlich Herzweh traf;
Lust und Gelächter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, weinst ohne Halt - Kennst du das auch?

Hermann Hesse

Lascia ch'io pianga


Heute habe ich Musik im Kopf und in den Ohren. Dieses wundervolle Stück Musik liebe ich sehr. Ich habe den Text herausgesucht - und war äußerst berührt!

http://de.youtube.com/watch?v=NjPRGSemV3s

Lascia ch'io pianga
la dura sorte,
E che sospiri la libertà!
E che sospiri,
e che sospiri la libertà!


Let me weep
Let me weep over my cruel fate,
And that I long for freedom!
And that I long,
and that I long for freedom!


Lass mich dir klagen,
dass mir hiernieden
mein grausames Los beschieden ist
und ich mir Frieden wünsche

Sacrifice


Während ich heute einen langen Spaziergang am Strand machte, hatte ich ein Lied im Kopf, das mich nicht mehr verlies. http://de.youtube.com/watch?v=PrRAlhyfdhI&feature=related
Es ist ein altes Lied - aber heute war es eine Textzeile, die ich vor mich hin sang: "And it's no sacrifice just a simple word it's two heart living in two separate worlds"..
"Sacrifice" heißt der Titel - Opfer!
"...Und es ist kein Opfer
Nur ein einfaches Wort
Es ist das Leben von zwei Herzen
In zwei verschiedenen Welten...."
Über dieses Wort "Opfer" dachte ich nach. Bringen wir ein Opfer, in dem wir weiterleben? War der Tod unserer Kinder eine Art Opfer? An wen und warum? Und zugleich fand ich Trost in dem Wissen, dass unsere Herzen (Seelen) in verschiedenen Welten LEBEN!
Und, während ich dies Lied gedankenverloren wiederholte, stieß mein Fuß an zahllose Herzen aus Stein. Es war magisch - nie habe ich so viele Herzen gefunden.
Ich weiß in solchen Augenblicken nicht, ob das Finden der Herzen diese Gedanken (Musik) in mir entstehen läßt, oder die Melodie mich für das Auffinden der Herzen empfänglich macht...
Und noch etwas: Ich fand gestern eine Karte mit einem Text, den ich schon einmal las:
Wohin die Reise geht,
hängt nicht davon ab,
woher der Wind weht,
sondern wie man die Segel setzt
Ja, die See - sie gibt mir wie immer Rätsel auf, die zu lösen meine Aufgabe ist. Sie ist aber zugleich inspirierend und tröstet mich!

Samstag, 22. November 2008

Wolkenspiele

Wolkenspiele vor meinem Fenster. Ich kann mich nicht satt sehen an ihnen. Wie "wunder"voll ist das Leben am Meer. Ruhe kehrt ein - Einklang, Ergebenheit, Demut und Frieden!


Düstere Wolke,
die du, ein Riesenfalter,
um der abendrotglühenden Berge
starrende Tannen
wie um die Staubfäden
blutiger Lilien schwebst:
Dein Dunkel redet
vom Leid der Welt.
Welchen Tales Tränen
hast du gesogen?
Wie viel angstvoller Seufzer
heißen Hauch
trankst du in dich?
Düstere Wolke,
wohin
schüttest die Zähren
du wieder aus?
Schütte sie doch
hinaus in die Ewigkeit!
Denn wenn sie wieder
zur Erde fallen,
zeugen sie neue
aus ihrem Samen.
Nie dann
bleiben der Sterblichen
Augen trocken.
Ach! da wirfst du sie schon
in den Abgrund ...
Arme Erde,
immer wieder aufs Neue
getauft
in den eigenen Tränen!

Ch. Morgenstern

Donnerstag, 20. November 2008

Am Strande

Am Strande

Heute sah ich wieder dich am Strand,
Schaum der Wellen dir zu Füßen trieb.
Mit dem Finger grubst du in den Sand
Zeichen ein, von denen keines blieb.
Ganz versunken warst du in dein Spiel
Mit der ewigen Vergänglichkeit.
Welle kam und Stern und Kreis zerfiel,
Welle ging und du warst neu bereit.
Lachend hast du dich zu mir gewandt,
Ahntest nicht den Schmerz, den ich erfuhr:
Denn die schönste Welle zog zum Strand,
Und sie löschte deiner Füße Spur.

Marie Luise Kaschnitz
Foto: Florian in Irland 1999

Das Leben + die Wellen

Das Leben und die Wellen haben eines gemeinsam: sie treiben etwas an und spülen etwas anderes weg, denn wenn die Flut kommt, spülen die Wellen die Sandburgen weg, aber sie treiben vielleicht auch ein Stück Holz an, mit dem jemand das Dach seiner Hütte ausbessern kann. -

(Unbekannt)

Meer v. Erich Fried


Mittwoch, 19. November 2008

Im Mondenglanze ruht das Meer

Im Mondenglanze ruht das Meer,
Die Wogen murmeln leise;
Mir wird das Herz so bang und schwer,
Ich denk der alten Weise,
Der alten Weise,
die uns singt
Von den verlornen Städten,
Wo aus dem Meeresgrunde klingt
Glockengeläut und Beten -
Das Läuten und das Beten, wisst,
Wird nicht den Städten frommen,
Denn was einmal begraben ist,
Das kann nicht wiederkommen.

Heinrich Heine

Ich stand am Strand

Ich stand
am Strand
bewunderte
das Spiel
der Wellen
schrieb
deinen Namen
in den Sand.
Das Wasser
hat ihn weggetragen
und in sein
ewiges Gedächtnis
aufgenommen
Hans Winkler

Das Meer


Das Meer

Wieder war ich
am Meerund lauschte
seinem verzauberten Gesang.
Und die Wellen
sprachen mit mir
über die Unsterblichkeit
unserer Liebe.

Hans Winkler


Dienstag, 18. November 2008

Gedichte vom Meer

"Time out" - oder besser "Carpe Diem"

Ich verbringe einige Tage an der Ostsee - gebe meinem Körper und meiner Seele eine Auszeit.
Zeit für mich - ganz alleine - ein Geschenk!

Trauer ist Schwerstarbeit für die Seele und Trauer umfaßt den gesamten Körper, hinterläßt Spuren, nicht nur die, die man in unseren Gesichtern sieht. Trauernde leben mit Schmerzen, Stress, Blockaden und Trauernde leben statistisch kürzer.
Trauer braucht Zeit und Raum.

Beides schenke ich mir in diesen Tagen - Tage am Meer!

Zeit, Gedichte zu lesen!
*****


Nähe des Geliebten

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;

In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Wege
Der Wandrer bebt.
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.
Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten die Sterne.
O wärst du da!

Johann Wolfgang von Goethe


Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
in Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
der Staub sich hebt;
in tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
der Wandrer bebt.
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
die Welle steigt.
Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen,
wenn alles schweigt.
Ich bin bei Dir, Du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne -oh wärst du da!

Johann Wolfgang von Goethe



Nacht ist wie ein stilles Meer,
Lust u. Leid u. Liebesklagen
Kommen so verworren her
In dem linden Wellenschlagen.
Wünsche wie die Wolken sind,
Schiffen durch die stillen Räume,
Wer erkennt im lauen Wind,
Ob´s Gedanken oder Träume?
Schliess` ich nun auch Herz u. Mund,
Die so gern den Sternen klagen:
Leise doch im Herzensgrund
Bleibt das linde Wellenschlagen.

Joseph von Eichendorff

Donnerstag, 13. November 2008

Abschied (R. Tagore)




Abschied

Ich laß dich allein, ganz allein.
Wenn du am Morgen mit leerem Schoß
mich rufst: „Kindlein, wo bist du bloß?“
werd ich sagen: „Nein – da ist kein Kindlein.“
Mama, ich laß dich allein.


Im Winde werde ich als Wind
wehen, Mama, anrühren deine Brust gelind –
mit deiner Hand kannst du nicht fangen mich.
Im Wasser wird ich, Mama, eine Welle sein,
damit niemand erkennen kann dein Kindlein –
werde mit dir spielen, wenn du badest dich.

Wenn der Regen vom Himmel rinnt,
wachst du nachts und denkst an dein Kind.
Mein Lied will ich in Schauern von jenem Walde singen.
Von den Wolken durch das Fenster werde ich
im Leuchten des Blitzes besuchen dich –
wird dann in deinen Sinnen mein Lachen erklingen?

Mama, wenn des Kindleins wegen
nachts noch spät du wach gelegen,
werde ich ein Stern und sag: „Schlaf ein.“
Bist du eingeschlafen dann,
tret ich als Mondschein an dein Bett heran –
auf denen Augen werde meine Küsse sein.

Durch den Schlitz der Augen werde ich
als Traum besuchen, Mama, dich
und leben in deinem Schlafe mittendrin.
Erwachend wirst du mit der Hand
in falscher Hoffnung tasten an des Bettes Rand –
verschwinden werde ich, wer weiß wohin.

Wenn zur Festtagszeit vor unserm Haus
viele Kinder spielend rennen ein und aus,
wirst du sagen: „Nein – Kindlein ist nicht da.“
Ich will dann in Flötenmelodien
durch den Himmel auf und nieder ziehen –
und bei dir sein, sein jeder Arbeit fern und nah.

In der Hand ein Festtagshemd für mich
kommt und fragt die Tante dich:
„Wo ist dein Kindlein hingegangen?“
Sag dann: „Kindlein kann doch nicht verloren sein!
In den Sternen dieser Augen mein
Wohnt es, im Schoß, in meiner Brust gefangen.“


Rabindranath Tagore

Wenn du nicht sprichst


Rabindranath Tagore (1861-1941)

Wenn Du nicht sprichst,
will ich mein Herz
In Schweigen hüllen und es dulden.
Stille will ich sein und harren
Wie die Nacht, so sternenwach, und,
Tief das Haupt gebeugt, geduldig warten.
Ganz sicher wird der Morgen tagen,
Das Dunkel wird in Nichts zergehen,
Und Deine Stimme strömt hernieder,
Wie goldne Quellen bricht sie aus dem Himmel.
Dann wachsen Flügel Deinen Worten,
Aus allen meinen Vogelnestern
Schwingt sich Dein Lied,
und Deine Melodien brechen in Blumen
Hervor aus allen meinen Waldesgründen


Mittwoch, 12. November 2008

In memoriam Peter


Es kommt eine Zeit,
da lassen die Bäume
ihre Blätter fallen.
Die Häuser rücken
enger zusammen.
Aus den Schornsteinen
kommt Rauch.

Es kommt eine Zeit,
da werden die Tage klein
und die Nächte groß,
und jeder Abend hat
einen schönen Namen.

Auf der Fensterbank
im Dunkeln,
das ihn keiner sieht,
sitzt ein kleiner Stern
und hört zu.......



Im Gedenken an Peter und in Gedanken an Irene, Bernd und Judith

(Foto: "Ankunft des Seelenschiffs" - Skulptur für Peters Grabmal)

Der November




Der November


Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor...
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.
Die Wälder weinten. Und die Farben starben.
Nun sind die Tage grau wie nie zuvor.
Und der November trägt den Trauerflor.

Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor.
Die letzten Kränze werden feilgeboten.
Die Lebenden besuchen ihre Toten.
In der Kapelle klagt ein Männerchor.

Was man besaß, weiß man, wenn man's verlor.
Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen.
Es regnet, Freunde. Und der Rest ist Schweigen.
Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor.
Und der November trägt den Trauerflor.

Erich Kästner

Sonntag, 9. November 2008

Die Toten starben nicht


Die Toten starben nicht.

Es starb ihr Kleid.
Ihr Leib zerfiel,
es lebt ihr Geist und Wille.
Vereinigt sind sie dir zu jeder Zeit
In deiner Seele tiefer Tempelstille.

Manfred Kyber (1918)

Mehr nicht


Mehr nicht

Eine große Trockenheit war über das Land gekommen. Zuerst war das Gras braun und grau geworden. Dann starben die Büsche und die kleineren Bäume. Kein Regen fiel, der Morgen erwachte ohne die Erfrischung des Taues. Die Tiere waren in großer Anzahl verdurstet, denn nur wenige hatten noch die Kraft gehabt, aus der Wüse zu fliehen. Die Trockenheit dauerte an. Selbst die stärksten, ältesten Bäume, deren Wurzeln bis tief in die Erde reichten, verloren ihre Blätter. Alle Brunnen und Flüsse, die Quellen und Bäche waren vertrocknet. Eine einzige Blume war am Leben geblieben, denn eine kleine Quelle gab noch ein paar Tropfen Wasser. Doch die Quelle war am Verzweifeln: "Alles verdurstet und stirbt. Ich kann nichts mehr daran ändern. Wozu soll es sinnvoll sein, ein Paar Tropfen aus der Erde zu holen?" Ein alter kräftiger Baum in der Nähe hörte die Klage und sagte zur Quelle, bevor auch er starb: "Niemand erwartet von dir, die ganze Wüste zum Grünen zu bringen; deine Aufgabe ist es, einer Blume Leben zu geben. Mehr nicht."


(Afrikanisches Märchen)

Donnerstag, 6. November 2008

Einiges

Einiges

Einiges langweilt mich
Neuerdings:
Von mir selbst zu sprechen
Über mich selbst
Nachzudenken
Mich selbst
Zu beklagen
Ich schreibe das Leben
Seine Erscheinungen
Seine Verwerfungen
Die immer neuen
Dir in memoriam
Endlos...

Marie Luise Kaschnitz

Dienstag, 4. November 2008

Du weißt du ..


Du, weißt du, wie der Regen weint,
und wie ich geh' erschrocken bleich,
und nicht weiß, wohin zu flieh'n?
Wie ich verängstigt nicht mehr weiß:
Ist es mein Reich, ist es nicht mein Reich,
gehört die Nacht mir, oder ich, gehör' ich ihr,
und ist mein Mund, so blaß und wirr,
nicht der, der wirklich weint ... ?

Selma Meerbaum-Eisinger

Montag, 3. November 2008

Brücke

"Kinder knüpfen das Band zur Mutter, in dem sie die banalsten Fragen stellen und die obskursten Dinge wissen wollen. Ihre ganze Kindheit hindurch fragen sie, ohne zu ahnen, was sie einmal mit dem ganzen Wissen anfangen werden, ohne zu ahnen, dass jedes Wort, jede Erinnerung, die sie sich von ihrer Mutter holen, ein Glied der Brücke ist, die sie unbewusst bauen. Durch Jahre der Trennung und der Not, während der gesamten Jugend und darüber hinaus steht die unsichtbare Brücke, wird immer länger, je weiter das Kind reist, bis es eines Tages inne hält, die Jahre zählt und erkennt, dass es zum Mann/zur Frau geworden ist, doch nur die in der Kindheit gebaute Brücke aus Worten und Erinnerungen zu überqueren braucht, um zur Mutter zurückzukehren.

Ich hatte meinem Kind eine Geschichte zu erzählen. Ich hatte meine Geschichte vorbereitet. Und dann musste ich erleben, dass sie sich wie eine endlose Ödnis um mich herum ausbreitete, die zu nicht weiter dient, als mich daran zu erinnern, dass es meinen Sohn nicht mehr gibt...:"


(aus: die Schlangenprinzessen, Gina B. Nahai)
Foto: Florian, 3 Jahre alt in Campoussy (Frankreich)

Geh, wohin dein Herz dich trägt

".....Und wenn sich dann viele verschiedene Wege vor dir auftun werden und du nicht weißt, welchen du einschlagen sollst, dann überlasse es nicht dem Zufall, sondern setz dich, und warte. Atme so tief und vertrauensvoll, wie du an dem Tag geatmet hast, als du auf die Welt kamst, lass dich von nichts ablenken, warte, warte noch. Lausche still und schweigend auf dein Herz. Wenn es dann zu dir spricht, steh auf, und geh, wohin es dich trägt..."

Susanna Tamaro
„Geh, wohin dein Herz dich trägt“