Sonntag, 18. Juli 2021

Gesucht: Ein Irgendwo von dazumal …



Irgendwo, in diesem vom Lärm erdrosselten Leben,
Muss es, so träume ich dann und wann, ein schweigendes
Wärterhaus geben,
Mit ein paar Bäumen davor, und einem Vogel, der singt.
Von fern, das Gebirg. Man meint, in den Wolken zu schweben.
Und die Stille ringsum! Es ist eine Stille, die klingt.

Wieder beglückt mich der Duft der blühenden alten
Kastanien,
Den ich, unvergessen, so lang über Länder und Meere hin
trug …
Rosen zieh ich mir nicht, auch keine verwöhnten Geranien.
Feldblumen frisch auf den Tisch im bäuerlich irdenen
Krug!

Nachbarlich grüßt mich vom Dorf zur Vesperstunde das
Läuten.
Das Eichhorn erkennt meinen Gang. Und es flieht vor mir
nicht mehr das Reh.
Vier Mal spiegelt der Bach mir das wechselnde Antlitz der
Zeiten.
Mein Kompass: Sonne und Wind. Meine Zeitungen: Spuren
im Schnee.

– Wie seltsam: der erste Tag, und ich fühle mich selig,
zuhause!
Vertraut ist mir die Landschaft längst. Sah alles so oft schon
im Traum:
Den Brunnen, den Urväterrat und den offnen Kamin in der
Klause;
Petroleumlampe zur Nacht und Bänke aus knorrigem Baum.

… Irgendwo, in diesem vom Fortschritt zertretenen Leben,
Muss es – ich träume es gar zu oft – ein solches Wärterhaus
geben.
Dort sitze ich öfters, im Geist, an dem himmlischen Frieden
mich labend,
Und Blicke, schweigend zumeist, in den sinkenden
Lebensabend.

Mascha Kaléko


 

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