Dienstag, 15. Oktober 2024

There is a crack in everything

 

 

"There is a crack in everything That's where the light gets in..." Der kanadische Sänger und Songschreiber Leonard Cohen hat eine Zeile gedichtet, die so etwas wie die Baseline meines Lebens ist: "There is a crack in everything / that’s how the light gets in", singt er in seiner Ballade Anthem – "In allem gibt es einen Riss, so kommt das Licht herein." Für mich haben diese Worte etwas Heiliges, weil sie eine Perspektive auf unser menschliches Dasein zeigen, die mir nahegeht: Es gibt nichts, das ganz und gar heil ist, es gibt Risse und Brüche. Sie sind erst die Voraussetzung dafür, dass wir Licht sehen können. ...Es hat keinen Sinn, die bitteren Momente zu retuschieren, denn sie sind da. Und sie prägen uns – die Frage ist nur, auf welche Weise. Wir können unsere Sorgen und Nöte verdrängen, weil wir Angst vor ihnen und vor unserer Reaktion haben. Oder wir können auf sie schauen, wie Leonard Cohen es beschreibt, als einen natürlichen Teil des Lebens, durch den etwas Helles aufscheint. ...Wut, Enttäuschungen, Verletzungen, Trauer – sie brauchen Platz. Sie drängen danach, bearbeitet und verarbeitet zu werden. Wenn wir ihnen diesen Raum nicht geben, wenn wir denken, wir müssen weitermachen, dann kann es bitter enden. ....Man darf sich nicht umhauen lassen von den Emotionen, sondern muss lernen, auf ihnen zu surfen wie auf einer Welle. Das habe ich mir immer wieder gesagt, wenn die Welle über mich schwappte und ich Wasser schluckte. Ich versuchte, auf einem Tsunami zu surfen. Gar nicht so einfach." Manche Menschen zerbrechen daran, entgegneten wir. "Du zerbrichst, wenn du nicht mehr weißt, wo oben und unten ist", sagte sie. "Ich muss nach oben streben, zum Licht und zur Luft, um atmen zu können." Da scheint es auf, das Licht, das Leonard Cohen besungen hat. Ein Licht, das in den Rissen und Brüchen schimmert – selbst in denen, die so heftig sind, dass sie nie zu kitten sein werden. Kilian Trotier "ZEIT" 7.10.24

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