Freitag, 19. März 2010

Ist Leid teilbar?



Ich schrieb vor einigen Wochen einen Beitrag für den Rundbrief der "Verwaisten Eltern" und stelle ihn hier gerne auch zur Diskussion:

Weil Du einmalig bist….

Den Weg, den Du vor Dir hast, kennt keiner.
Nie ist ihn einer so gegangen, wie Du ihn gehen wirst.
Es ist Dein Weg.
Unauswechselbar.
Du kannst Dir Rat holen,
aber entscheiden musst Du.
…..

Auch Deine Schmerzen und Ängste sind ganz Deine eigenen.
Niemand erlebt sie so wie Du.
Doch durch sie wirst Du verstehen,
warum andere so leiden.
In Deinen Schmerzen und Ängsten sind Möglichkeiten und Angebote,
die Tiefe des Lebens zu begreifen.
Du lebst nicht allein.
Sprachlos leiden viele um dich
und wünschen sich sehnlichst die Stimme eines Menschen,
der sich selbst entdeckt hat
und etwas versteht von den Zusammenhängen
zwischen Leiden und Wachsen.
Geh in Deine Schmerzen und Ängste.
Wenn Du sie verstehst,
bist du andern ein Stück näher.
….

Zur Frage der Teilbarkeit des Leids stieß ich auf den Text von Ulrich Schaffer,
der sich mit der Einmaligkeit unseres (Da)seins beschäftigt.

Denn so, wie jedes Individuum einmalig ist, ist auch die Trauer und das Leid um den Verlust eines Menschen einmalig.
Keine Biografie ist wie die andere. Keine Beziehung gleicht der anderen. Jedes Leben, jede Beziehung ist einmalig.
Keiner geht den gleichen Lebensweg, den ein anderer geht.. jeder Weg ist individuell.

Meine eigene Erfahrung in zehn Trauerjahren ist die, dass mitgeteiltes Leid eine Unterstützung ist. Nicht das Leid selbst ist teilbar – aber sich mitzuteilen, sich nicht alleine, sich verstanden zu fühlen im eigenen Verlust und der Trauer, das ist eine Hilfe.
….doch durch sie (die Schmerzen und Ängste) wirst Du verstehen, warum andere so leiden.
Das erlebte Leid öffnet das Herz und die Bereitschaft, sich dem Schmerz der anderen zuzuwenden, zuzuhören – eine ausgestreckt Hand zu reichen.

Vielleicht ist mit dem Satz: „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ einfach genau so falsch wie der, dass „..die Zeit alle Wunden heilt“..

Ich glaube, dass der „Volksmund“ Zusammenhänge verkürzt, die Geschehnisse schwatzend begleitet, eine Antwort auf so komplexe Dinge wie hier die Trauer und den Verlust sucht, ohne sich die Mühe zu machen, tiefer in die Materie einzudringen.
Schnelle Antworten – das ist nichts, womit man der Trauer gerecht werden kann!

Durch erlebtes, durchlebtes Leid erhalten wir eine Art Kompetenz, die die meisten Menschen nicht besitzen, eine Tiefe in der Fähigkeit des Mitfühlens, die auch uns sonst wohl verborgen geblieben wäre.

Auffallend ist doch, wie sehr Menschen (und da nehme ich mich natürlich nicht aus), die Leid durchleben und Trauer tragen müssen, den Wunsch haben, diese mitzuteilen, weiterzugeben, denen zu helfen, die noch am Anfang des langen Weges stehen
…..“und wünschen sich sehnlichst die Stimme eines Menschen,
der sich selbst entdeckt hat und etwas versteht von den Zusammenhängen
zwischen Leiden und Wachsen.“

Und weiter schreibt Schaffer:

Was Du erlebt hast, hat Dich geprägt
und Dir Deine unauswechselbare Sicht gegeben.
Die Entscheidungen, die Du getroffen hast,
haben Dir Wege geöffnet
und dafür andere verschlossen.
Die offenen Türen sind nur für Dich.
Nur Deine Unentschiedenheit wird sie schließen.
Deinen Beitrag zur Welt wird keiner leisten,
weil niemand die Welt so sieht wie Du.


Trauer und Leid sind so individuell wie wir Menschen, die sie tragen und ich denke, dass dies gut ist – und wir nicht versuchen sollten, Leid gegen Leid zu stellen.
Ich bin in der Begleitung zahlreicher trauernder Väter und Mütter immer wieder auch auf konkurrierendes Verhalten gestoßen, was mich sehr erschreckt hat. Da wurde nicht „geteilt“ – sondern aufgerechnet.

Ein sehr wichtiger Gedanke ist folgender:

Einmalig zu sein
bringt auch Einsamsein mit sich.
Du spürst, dass niemand Dich versteht.
Du sinkst auf den Grund in Dir
wie ein Kiesel im kalten Bach.
Das ist der Preis.
Doch im Einsamsein wirst Du reicher.
In den Stunden allein mit Dir selbst entdeckst Du,
wer Du bist.
In den Schmerzen wirst Du fester.
Das ist der Kampf.
Oder willst Du lieber so tun,
als wärst Du der Freund aller.
Und dabei die Freundschaft mit Dir selbst verlieren?
Sei Dir treu.

Vielleicht drückt sich in dem Satz „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ einfach eine tiefe Sehnsucht aus, Leid – wie die Liebe – teilen zu können. Die Liebe verdoppelt sich – aber das Leid ist nicht halbierbar und das ist wohl auch nicht gewollt!

Richtig könnte der Satz vielleicht so heißen: „Mitge-teiltes Leid ist gelindertes Leid“

Gabriele Gérard
www.trauer-um-florian.de
http://trauerumflorian.blogspot.com/

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Der Kummer, der nicht spricht, raunt leise zu dem Herzen, bis es bricht."

William Shakespeare.


Vielen Dank für den schönen und wahren Text.

Christine