Donnerstag, 30. Juli 2009

Das Unglück von Überlingen



"...Ich fiel von der Mondsichel
von deren schmalem Zipfel,
dann flog ich furchtbar lange
und erreichte den Himmel."

Tagebucheintrag der 14jährigen
Soja Fedotowa Sergeewna*20.8.1988 1.7.2002
Aus Tagebuchnotizen vor der Reise in Richtung Spanien

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Nicht rückgängig zu machen und vergessen nicht möglich
Mit Eisen auf Stein sind gezeichnet die Worte
Und du hörst eine Mutter untröstlich weinen
Um den Sohn: er ist nicht mehr zu umarmen...

Nicht rückgängig zu machen, doch Gedächtnis noch frisch
Die Träne rollt wieder die Wange hinab
Das, was war, wiederkehren möchte ich
Und die Zeit soll laufen zurück

Nicht rückgängig zu machen und vergessen nicht möglich,
dem Tode trotzen die Worte wieder
der Gedanke an jemanden wühlt das Herz auf
dort; wo die Wunde gerade vernarbt...

vom 29.05.02
Jelena Jewgenjewna Neljubina
*27.4.1987 † 1.7.2002
Eines ihrer letzten Gedichte

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"Ich flog, natürlich, flog ich
Große Flügel verlieh mir das Glück,
Zuwenig Zeit hat das Leben gegeben,
Unterbrach diesen wundervollen Ritt ..."

Dascha Koslowa am 8.April 2002,
nun in Ihren Grabstein graviert.

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Vielleicht habt Ihr gestern den Film "Flug in die Nacht" gesehen...
Der Himmel ist weit, am 1. Juli 2002 aber nicht weit genug. Kurz vor Mitternacht passiert über dem Bodensee das Unfassbare, zwei Flugzeuge kollidieren. 71 Menschen sterben, mehr als die Hälfte Kinder. Wen trifft die Schuld? Allein den diensthabenden Lotsen der Flugsicherung? - Der SWR-Fernsehfilm "Flug in die Nacht - Das Unglück von Überlingen" verarbeitet die Katastrophe zu einem eindringlichen Drama über persönliche Verantwortung, die Suche nach Erklärungen und dem Wunsch nach Vergebung.
Für mich hat dieser Film besondere Bedeutung. Nicht nur das Entsetzen über dieses Unglück - das Datum - es ist der 1. Juli - der Todestag von Florian - zwei Jahre später.
In der Nacht rief mich eine Freundin von Florian an, vor deren Augen sich dieses Grauen abspielte: Katharina lebte in einem Camphill bei Überlingen und in diese Idylle stürzten die Trümmer und die Menschen fielen in jener Nacht vom Himmel.. Unfassbar, unmittelbar Zeuge zu werden von dieser Katastrophe..
Allen Hinterbliebenen und auch Katha gelten heute meine Gedanken!


WIR ER-INNERN

Ihre Körper sind alle gefunden worden,

aber die vielen Helfer sind hilflos geblieben

und die Retter

konnten niemand mehr retten.


Nur noch bergen konnten sie,

und wir sind aus der Geborgenheit

unserer schönen Landschaft gerissen worden

und sahen

den blutenden Himmel

und hörten

die schmerzenden Einschläge

und spürten

das zerstückelnde Zerstören.


Verstört waren wir,

entsetzt, erschüttert,

aber selbst glückhaft

davongekommen.


Dann lernten wir, woher sie kamen:

Piloten aus Kanada,

Großbritannien und Russland.

Kinder aus Baschkirien.


Zwei Vätern

konnte ich für eine Nacht

Obdach bieten.


Jetzt will ich die Seelen ihrer Töchter

in meinem Herzen aufnehmen,


denn manche sagen,

die Seelen bleiben hier.


Wir werden die Seelen alle finden-


In den Wäldern

Zwischen den Feldblumen

In den Gärten

Unter den Bäumen

Über dem See


Wir werden sie alle heimholen

und

ganz

behutsam

gut

zu

ihnen

sein.


Gisela Munz-Schmidt

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