Samstag, 6. Juni 2009

Buch des Abschieds 2


Mittwoch, der 7. Juni 01


Liebster Sohn,

ich habe mein Ritual des letzten Jahres wieder aufgenommen: ich laufe barfuß durch den Garten, spreche mit der Natur und bitte sie um Kraft und Stärke für diese schwere Zeit.

Es ist noch früh, Hans-Jürgen ist gerade aus dem Haus. Ich schaue jeden Tag voller Hoffnung in meinen Briefkasten im Laptop in der Erwartung von einer Nachricht von Eimear. Sie ist nicht mehr da für mich, Liebes und das tut weh. Ich vermisse sie oft so sehr, hätte sie gerne jetzt an meiner Seite. Wir könnten über Dich sprechen, über unseren Schmerz, über unser gemeinsames Leid, wir könnten vielleicht ein wenig davon teilen.... ich weiß nichts mehr von ihr, ich kenne ihr Leben nicht mehr, ich habe das Gefühl, als hätte ich sie verloren.

Du hast mir auch heute schon ein kleines Zeichen geschickt. Als ich am Wasser stand und mit Dir sprach, da schwamm wieder eine kleine graue Feder an mir vorbei.
Ich schreie wieder, Florian, ich schreie Deinen Namen in die Welt, ins Universum, dort, wo Du, mein ‚free spirit’ bist, wo Du wirkst, wo Du Deinen neuen Aufgaben nachgehst.
Vergiß uns nicht hier, Florian, halte Deine Hände schützend über uns, über mich!

Heute vor einem Jahr....
Ihr würdet um diese Zeit noch schlafen, Ihr hättet Pech mit dem Wetter in diesem Jahr. Der Sommer hat sich versteckt, lugt nur manchmal hervor, vielleicht besser so. Es ist das selbe Wetter wie im letzten Jahr nach dem 1. Juli. Der Sommer war mit Deinem Tod zu Ende –
für lange Wochen. Nur zum 7. Juli, dem Tag, an dem wir Deinen Körper der Erde übergaben, da schien noch einmal die Sonne und wärmte all die gebrochenen Herzen, die sich dort
versammelt hatten – und wir dachten, daß Du Kind der Sonne uns Dein Strahlen schickst.

Hans-Jürgen und ich gingen zur Arbeit – ich hatte mir absichtlich keinen Urlaub für die ersten Tage genommen, wollte Euch ungestört , Euch Euren verdienten Urlaub genießen lassen. Du warst ziemlich erschöpft, die Uni hat Dich sehr beansprucht und Du warst neben Deiner Erschöpfung auch sehr zufrieden mit Dir. Deine Arbeiten waren gut gelaufen – Du erwartetest gute Noten!

Ich ließ mir mit dem Nach-Hause-Kommen nachmittags Zeit, obwohl es mich so sehr zu Dir zog. Ich wollte nicht aufdringlich sein, ich glaube, ich war wirklich sehr rücksichtsvoll.
Wenn ich ins Haus kam, dann fiel mein Blick durch die großen Fenster wieder hinaus in den Garten und meist wart Ihr dort: ihr spieltet Federball, saßt auf den Liegen und spracht miteinander, oder ich fand Euch im Wasser – mit der Luftmatratze paddelnd, lachend, Ihr habt mir zugewinkt.

Du kamst meist dann zu mir und fragtest, ob Du mir behilflich sein könntest: unsere „heilige
Stunde“ – Kaffeetrinken! Mein Gott, Florian, dieses Ritual hat unser beider Leben so lange begleitet, so lange wir zusammen leben durften. Schon als Du klein warst und wir Dich am Kindergarten abholten, hielten wir unterwegs, um Kuchen zu kaufen und dann saßen wir in der Monumentenstraße und erzählten von unserem Tag: Toni von der Uni, ich vom Büro und Du vom Kindergarten. Später, als wir beide in der Rauchstraße alleine wohnten, blieb diese
Tägliche Begegnung unsere „Mutter-Sohn-Stunde“. Wir haben uns ausgetauscht, Du hast mir viel erzählt, manchmal lagst Du in meinen Armen und weintest mir Deinen Kummer in die Schulter – Trennungen, Dich schmerzten, Enttäuschungen. Meine Schulter, mein Herz und meine Ohren waren da für Dich, jeden Tag, wenn Du sie benötigtest, was in den letzten Jahren seltener wurde, ich bekam Dich immer weniger zu sehen, aber ich war da und das wußtest Du. Vielleicht hat dies ausgereicht......und dann gingst Du nach Irland. Wir hielten unsere Beziehung fest, sie war ein festes, unauflösbares Band und wir fanden neue Wege der Verbindung, neue Rituale. Deine wunderschönen Briefe sind ein unauslöschbares, wertvolles Dokument dieser Zeit. ...“Wish you were here“..... läuft gerade hinter mir auf dem Band für Dich.

Ich wünschte so unendlich, das Rad des Lebens und des Schicksals zurückdrehen zu können
Und einen Pakt schließen zu können, der Dein Leben retten würde. Alles hätte ich getan, Florian, alles, ich hätte nicht gezögert, mein eigenes Leben für Deines zu geben, nicht einen Moment hätte ich gezögert. Es wäre die natürliche Reihenfolge gewesen – kein Kind darf vor seinen Eltern sterben.... Nichts wünschte ich mehr in diesen Tagen.

„Es galt nur, bis zu dem Punkt weiterzumachen, an dem alle Kräfte erschöpft waren.Genau da, wo die Erschöpfung sich in einen eisernen Griff um die letzten Reste des Willens verwandelt hat, wartet das Zuhause, von dem Du nicht wußtest, daß Du es hast.....“
(aus „Der Chronist der Winde“)

Dieser Satz geht mir wieder und wieder durch den Kopf - er ist eine Hoffnung dafür, daß es ein Leben nach diesem Schmerz gibt – ein neues Zuhause, in dem ich mich einrichten kann, das all dem seinen Raum gibt, was ich nun erlebe, das mir aber auch wieder die Freiheit gibt, nach vorn zu schauen und Sinn in dem Rest meines Lebens zu erkennen, den ich noch zu leben habe. Ich muß mehr tun, als nur zu überleben!

Diese Zeit gleicht einem Ritt durch die Hölle und dennoch fühle ich mich dem Himmel um so vieles näher, denn dort bist Du!

Deine Mom

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