Sonntag, 7. Juni 2009

Buch des Abschieds 3



Donnerstag, der 8. Juni 2001

Florian, liebster Sohn,

gestern abend las ich zum ersten Mal im Bett im Tagebuch, in dem ich im Juli letzten Jahres meine Briefe an Dich zu schreiben begann. Es war unglaublich: alles erschien mir, als sei es gerade vor einigen Wochen geschrieben und machte mir noch einmal deutlich, wie unglaub-
lich nah der letzte Sommer mit Dir ist!

Habe ich Dir schon gesagt, daß vor Deinem Häuschen der Topf mit der irischen Heide zu blühen begonnen hat und daß die Fuchsie, die wir Dir schon im letzten Jahr dorthin gestellt hatten, wieder voller Blüten ist? Fuchsien sind für mich so sehr mit Irland verbunden. In Hecken säumen sie dort die Wege. Ich konnte es kaum glauben. Auf den Stufen der Treppe blüht noch immer das Vergißmeinnicht, das einfach aus dem Nichts dort aus dem Stein wächst.....

Ach Florian, es ist soviel Magie um uns seit Du gegangen bist.

„... und andere Dinge werden mit Deiner Sprache sprechen....“ (Pablo Neruda)

Ich erlebe, auch in meiner Verbindung zu den Menschen, die mein Schicksal teilen, daß
Phantasie, Erinnerungen und Magie sich verbinden. Vielen macht dies angst, doch ich glaube fest daran uns erlebe ja, daß solche Dinge geschehen und daß wir sie nicht erklären können, liegt an unserer Begrenztheit. Unsere Unfähigkeit, sie zu begreifen, ist unser Problem und hat nichts mit der Authentizität der Geschehnisse zu tun. Ich habe begonnen, „das Buch der Wunder“ anzulegen. Wir haben noch einmal zurückverfolgt, was alles geschehen ist, seit Du „weitergegangen“ bist. Ja, mein Liebes, Du hast viel Magie in unser Leben gebracht und wir danken Dir von ganzem Herzen dafür.
Dies ist ein unbeschreiblicher Reichtum, eine neue Dimension, die wir niemals sonst erlebt hätten.

Gestern kam ein lieber Brief von Astrid aus Irland und sie, die uns den Weg in die spirituelle Welt gewiesen hat, schreibt....

„Ich habe gerade angefangen, Florian zu fragen, wie wir seinen „Geburtstag“ (in die geistige Welt...) begehen sollen. Der Tod, die Transformation ist, wenn es stimmt, was Rudolf Steiner
schreibt, der Moment, in dem man auf die ganze Zeit zwischen Geburt und Wiedergeburt zurückblickt, er beschreibt ihn als den wunderbarsten, befreiendsten und beglückendsten Moment überhaupt....“

Wenn wir das glauben können, es ist auch das was ich bei Kübler-Ross lese, dann muß es uns helfen, Deinen Tod mit weniger Verzweiflung hinzunehmen: Du bist dort im geistigen Leben jetzt glücklich, denn dort herrscht nur noch Liebe. Wenn wir Dein „Weiterreisen“ am 1. Juli so sehen könnten, dann würde es uns vielleicht mehr Ruhe geben.... und dennoch: wir besitzen nicht soviel an Selbstloskeit, unseren Schmerz über Deinen Verlust dieser Tatsache, wenn wir sie glauben, unterzuordnen.

Das, was Du uns warst, Florian, das Licht, das Du unserem Leben gegeben hast, ist und bleibt ausgelöscht in diesen Tagen, ich kann die Sonne nicht sehen und die Helligkeit blendet meine Augen. Es ist soviel an Schmerz in mir und die Erinnerungen tun noch zu weh!

Er war mein Norden und Süden, mein Ost und West
Meine Arbeitswoche und mein Sonntagsfest
Mein Licht, meine Mitternacht, mein Wort, mein Gedicht,
Ich dachte, diese Liebe wäre ewig, doch sie war es nicht....


In meinem Kalender 2000 liegt beim heutigen Tag ein Zettel von Dir:
„Hi Mum, wir sind nur schnell in Köpenick rumschauen. Bis später Florian
Wir gehen heute abend ins Kino“
Ihr wart Einkaufen, Eimear war so begeistert von den niedrigen Preisen hier – verglichen mit Irland hatte sie Recht. Letztlich warst Du es, der sich einige Dinge kaufte, Eimear konnte sich nicht entscheiden. Du kauftest Dir blaue Sommer-Stoff-Schuhe. Ich erinnere mich an sie..... Schuhe aus einem anderen Leben.
Täglich kamen Freunde vorbei, um Dich zu sehen- und Eimear zu bestaunen. Alle waren begeistert von ihr, ihrer Offenheit, Natürlichkeit, Spontaneität und nicht zuletzt ihrer Schönheit, über die sie sich nicht bewusst zu sein schien. Sie war immer ungeschminkt,
rieb sich, wie ein Kind, mit den Fäusten die Augen. Sie war oft müde. Vielleicht war ihr manches zuviel. Aber sie schien einfach zu Dir zu gehören. Ein wunderschönes Bild, Ihr beiden!

In Deinem Zimmer neben mir stehen Schuhe – Deine alten Basketballschuhe, die Du noch mitgenommen hast nach Irland. Du hast Dich nie von ihnen trennen können, hattest immer vor, wieder Basketball zu spielen. Du hast mir erzählt, Du hättest Dich bereit in der Uni angemeldet und ein Zehbruch war Dir dazwischen gekommen.... Nun stehen sie hier und wenn ich auf sie schaue, bricht mein Herz! All Deine Sachen, die ich bisher zurückbekommen habe, sind mir soviel Wert. Ich stehe fast täglich in Deinem Zimmer und ich habe manchmal Deinen Geruch in der Nase, ganz kurz, bevor Du wieder entschwindest....

Hilf mir durch diese Tage, Florian, beschütze mich, gib mir Kraft und Mut!
Ich liebe Dich von ganzem Herzen – mehr geht nicht!

Deine Mum
Neben mir auf dem Schreibtisch liegt Florians Geldbeutel. Ich atme seinen Ledergeruch ein und meine Hände berühren ihn in der Hoffnung, dort noch Abdrücke von Florians Händen zu finden..
Ich höre Enya und erinnere, wenn ich die Bilder dieses clips sehe, wie Florian mir von dem Film erzählte. Sie haben beide Bäche von Tränen geweint... (manchmal denke ich, dass ihre Seelen ihren bevorstehenden Abschied spürten...) die Filmmelodie kann ich heute nicht hören.. sie bräche mir das Herz. Eimear wählte sie - neben einem anderen Lied - zu ihrem wichtigsten im Gedenken an Florian. Wie mag es ihr in diesen Tagen gehen?

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